BMF, Schreiben v. 12.11.2004, IV A 7 - S 0338 - 22/04, BStBl I 2004, 1026
Vorläufige Steuerfestsetzung im Hinblick auf anhängige Musterverfahren; Ruhen lassen von außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren (§ 363 Abs. 2 AO); Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO, § 69 Abs. 2 FGO)
Bezug: BMF-Schreiben vom 12.6.2003 (BStBl 2003 I S. 338) und vom 19.7.2004 (BStBl 2004 I S. 610); TOP 8 und TOP 9 der Sitzung AO III/2004 vom 8. bis 10.9.2004; TOP 9 der Sitzung AG AO II/2004 vom 3. bis 5.11.2004
Der BFH hat mit Urteil vom 19.11.2003 (BStBl 2004 II S. 773) entschieden, dass der Mindeststeuersatz gemäß § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG nicht gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht verstößt, sofern er nicht höher ist als der Steuersatz, der sich für den betroffenen Steuerpflichtigen tatsächlich aus der Anwendung des progressiven Steuertarifs auf die Nettoeinkünfte zuzüglich eines Betrages in Höhe des Grundfreibetrages ergeben würde. Zur Anwendung dieses BFH-Urteils ist das BMF-Schreiben vom 10.9.2004 (BStBl 2004 I S. 860) ergangen.
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt daher Folgendes:
Nummer 5 – Anwendung des Mindeststeuersatzes bei beschränkt Steuerpflichtigen (§ 50 Abs. 3 Satz 2 EStG) – der Anlage zum BMF-Schreiben vom 12.6.2003 (BStBl 2003 I S. 338), zuletzt neu gefasst durch BMF-Schreiben vom 19.7.2004 (BStBl 2004 I S. 610), wird mit sofortiger Wirkung gestrichen. Ein Ruhen lassen außergerichtlicher Rechtsbehelfsverfahren (§ 363 Abs. 2 AO) wegen der behaupteten Unvereinbarkeit des § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG mit Europäischem Gemeinschaftsrecht kommt nicht mehr in Betracht. Die hinsichtlich der Anwendung des Mindeststeuersatzes bisher vorläufig durchgeführten Steuerfestsetzungen sind nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO zu ändern, soweit nach Maßgabe des BMF-Schreibens vom 10.9.2004 (a.a.O.) die Einkommensteuer herabzusetzen ist. Kommt keine Steuerherabsetzung in Betracht und ist die Festsetzung der Einkommensteuer auch aus anderen Gründen nicht aufzuheben oder zu ändern, ist die Steuerfestsetzung insoweit nur auf Antrag des Steuerpflichtigen für endgültig zu erklären (§ 165 Abs. 2 Satz 3 AO). Die zweijährige Frist im Sinne des § 171 Abs. 8 Satz 2 AO wurde am 12.11.2004 (einen Monat nach dem Datum des Bundessteuerblatts, in dem das BFH-Urteil vom 19.11.2003 veröffentlicht wurde) in Lauf gesetzt. Ist gegen die Einkommensteuerfestsetzung ein zulässiger Rechtsbehelf (Einspruch, Klage, Nichtzulassungsbeschwerde, Revision) anhängig und ist nach Maßgabe des BMF-Schreibens vom 10.9.2004 (a.a.O.) die Einkommensteuer herabzusetzen, ist der Steuerbescheid nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a AO entsprechend zu ändern. Bei einem Rechtsbehelf gegen einen Bescheid, der einen unanfechtbaren und hinsichtlich der Anwendung des Mindeststeuersatzes nicht vorläufigen Bescheid geändert hat, ist die Anfechtungsbeschränkung nach § 351 Abs. 1 AO (ggf. in Verbindung mit § 42 FGO) zu beachten. Wird der Änderungsbescheid während eines gerichtlichen Verfahrens erlassen, ist dem Gericht eine Abschrift des neuen Verwaltungsaktes zu übersenden (§ 68 Satz 3 FGO).
Die Anlage zum BMF-Schreiben vom 12.6.2003 (BStBl 2003 I S. 338), zuletzt neu gefasst durch BMF-Schreiben vom 19.7.2004 (BStBl 2004 I S. 610), wird mit sofortiger Wirkung wie folgt gefasst:
„Festsetzungen der Einkommensteuer sind hinsichtlich folgender Punkte vorläufig vorzunehmen:
- Beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG)
- Anwendung des § 32 Abs. 7 EStG (Haushaltsfreibetrag) für die Veranlagungszeiträume 2002 und 2003
- Anwendung des § 32c EStG für die Veranlagungszeiträume 1994 bis 2000
- Höhe des Behinderten-Pauschbetrags (§ 33b Abs. 3 EStG).
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 2 ist sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen mit einer Günstigerprüfung nach § 31 EStG beizufügen. Er umfasst sowohl die Frage, ob die Abschmelzung des Haushaltsfreibetrags (§ 32 Abs. 7 EStG) verfassungswidrig ist, als auch die Frage, ob § 32 Abs. 7 EStG Ehegatten in verfassungswidriger Weise benachteiligt.
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 3 ist auch Bescheiden über die gesonderte (und ggf. einheitliche) Feststellung von Einkünften beizufügen. Abweichend von Abschnitt IV ist auf Antrag des Steuerpflichtigen Aussetzung der Vollziehung zu gewähren, soweit in dem angefochtenen Bescheid die einem Organträger zugerechneten Einkommen oder Einkommensteile der Organgesellschaft nicht in die Tarifbegrenzung nach § 32c EStG einbezogen worden sind (BFH-Beschlüsse vom 3.3.1998, BStBl 1998 II S. 608 und vom 11.6.2003, BStBl 2003 II S. 661).
Soweit in den vorgenannten Fällen eine Aussetzung der Vollziehung in Betracht kommt, sind abweichend von Abschnitt II Nr. 2 einschlägige Einsprüche nicht zurückzuweisen, sondern ruhen zu lassen, falls nicht der Steuerpflichtige ausdrücklich eine Einspruchsentscheidung begehrt.”
Ferner wird zu den Ausführungen im BMF-Schreiben vom 19.3.2004 (BStBl 2004 I S. 361) ergänzend darauf hingewiesen, dass die Vorschrift über die Beste...