Es ist erfreulich, dass erstmals auch das Bilanzsteuerrecht einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen wird. Ob die Fallgestaltung dazu geeignet ist, muss bezweifelt werden.
Man kann § 52 Abs. 6, § 5 Abs. 4 EStG auch als eine Übergangsregelung ansehen, mit der der Gesetzgeber auf eine überraschende, sehr unternehmerfreundliche Rechtsprechung des Jahres 1987 reagierte. Auch erscheint es nicht zwingend, eine Verletzung des Gleichheitssatzes darin zu finden, dass derjenige, der "zwischen 1988 und 1992 Jubiläumsrückstellungen gebildet" hat, schlechter behandelt wird als ein Steuerpflichtiger, der "außerhalb dieses Zeitraums" Jubiläumsrückstellungen gebildet hat als auch gegenüber einem Normadressaten, der innerhalb dieses Zeitraums gleichartige Rückstellungen (gemeint sind wohl Rückstellungen anderer Art) gebildet hat. Es ist eine petitio principii, anzunehmen, dass Rückstellungen jeder Art gleich behandelt werden müssten. Man vermisst eine Erklärung dazu, warum eine Jubiläumsrückstellung bereits im Zeitraum 1988 bis 1992 nach den Grundsätzen des § 5 Abs. 4 EStG 1993 bemessen werden soll. Schließlich ist allgemeine Ansicht, dass die Übernahme der handelsrechtlichen Rückstellungskriterien in das Steuerrecht auf dem Maßgeblichkeitsgrundsatz beruht und der einfache Gesetzgeber diesen jederzeit ändern, einschränken oder aufheben kann. Dabei wird der Gesetzgeber allerdings – wie der X. Senat zutreffend darlegt – folgerichtig verfahren müssen. Indessen erscheint es keineswegs zwingend und folgerichtig, alle Verbindlichkeitsrückstellungen über einen Kamm zu scheren. Es gibt Rückstellungen, bei denen die Verbindlichkeit schon Jahrzehnte vor der Auszahlung begründet wird. Es scheint gerechtfertigt, solchen die öffentlichen Haushalte besonders belastenden Rückstellungsmöglichkeiten mit Misstrauen zu begegnen und sie ggf. einzuschränken.
Der Österreichische Verfassungsgerichtshof hat § 9 Abs. 4 öEStG 1988, der Jubiläumsrückstellungen versagte, für verfassungswidrig gehalten (Entscheid v. 9. 12. 1997, G 403/97, Österreichische Steuerzeitung, Teil B 1998 S. 119). Die österreichische und die deutsche Rechtslage sind jedoch entgegen der Ansicht des BFH nicht identisch. In Österreich war die Jubiläumsrückstellung ausnahmslos verboten. In Deutschland wurde sie für Zusagen ab 1993 zugelassen; lediglich für die Zeit bis dahin wurde aus m. E. verständlichen fiskalischen Gründen das Inkrafttreten inhibiert.
Sollte die Vorlage Erfolg haben, werden die Folgen nicht sehr erheblich sein. Die meisten Veranlagungen der Jahre 1988 bis 1992 sind bereits bestandskräftig. Soweit sie offen sind, würden sich folgende Konsequenzen ergeben: Die gewinnerhöhende Auflösung der Rückstellungen, die vor 1988 gebildet sind, würde nicht mehr zulässig sein. Ferner würde die Bildung von Rückstellungen bereits während der Jahre 1988 bis 1992 nach Maßgabe des § 5 Abs. 4 EStG möglich sein. Die in § 52 Abs. 6 EStG genannte Voraussetzung, die Anwartschaft dürfe erst nach dem 31. 12. 1992 erworben worden sein, spielt nach Auffassung des BFH keine Rolle, weil diese Vorschrift insgesamt verfassungswidrig sein soll. Etwas komplizierter dürfte sich die Rechtslage ab 1999 gestalten. Die o. a. Voraussetzung befindet sich nunmehr in § 5 Abs. 4 EStG selbst (Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002).