Leitsatz
1. Vororganschaftlich verursachte Mehrabführungen im Sinne von § 14 Abs. 3 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 2002 i.d.F. des Richtlinien-Umsetzungsgesetzes (KStG 2002) sind als rein rechnerische Differenzbeträge zu verstehen. Daher ist eine solche Mehrabführung der Höhe nach nicht auf den Betrag des handelsbilanziellen Jahresüberschusses begrenzt, den die Organgesellschaft (tatsächlich) an den Organträger abgeführt hat, sie kann auch nicht durch Saldierung mit weiteren vororganschaftlichen und/oder organschaftlichen Mehr- und Minderabführungen dem Betrag nach begrenzt werden (sogenannte geschäftsvorfallbezogene Betrachtungsweise; Bestätigung der Rechtsprechung).
2. Indem die Mehrabführungen durch § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 als Gewinnausschüttungen fingiert werden, handelt es sich zugleich um entsprechende Leistungen im Sinne des § 38 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002, die die in § 38 Abs. 2 KStG 2002 angeordnete Körperschaftsteuererhöhung auslösen (Bestätigung der Rechtsprechung).
3. Zum Umfang der durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14.12.2022 – 2 BvL 7/13, 2 BvL 18/14 (BVerfGE 165, 103) ausgesprochenen Teil-Nichtigkeit des § 14 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG 2002.
Normenkette
§ 13 Abs. 3 Satz 1, § 14 Abs. 3 Sätze 1 und 4, § 34 Abs. 9 Nr. 4, § 38 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 KStG, § 78 Satz 1, § 82 Abs. 1 BVerfGG, Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG
Sachverhalt
Die Klägerin, eine ehemals gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft in der Rechtsform einer GmbH, schloss am 25.10.2002 mit der an ihr zu 94,9 % beteiligten T‐GmbH einen Ergebnisabführungsvertrag ab (mit Wirkung ab dem 1.1.2002). Die fünfjährige Mindestlaufzeit des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG endete am 31.12.2006. Nach dem Wegfall der persönlichen Steuerbefreiung für gemeinnützige Wohnungsbauunternehmen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 10 KStG 1984 durch das Steuerreformgesetz 1990 hatte die Klägerin in ihrer steuerlichen Anfangsbilanz zum 1.1.1991 abweichend von der Handelsbilanz ihre Wohnungsbestände gemäß § 13 Abs. 2 und 3 KStG 1984 auf die höheren Teilwerte aufgestockt.
Aus den Ansatzdifferenzen ergaben sich in den streitgegenständlichen VZ höhere Abschreibungen in der Steuerbilanz als in der Handelsbilanz (z. B. 2004: 2.227.891,11 EUR). Des Weiteren ergaben sich aufgrund der höheren Restbuchwerte in der Steuerbilanz zudem geringere Erträge aus dem Verkauf einzelner Grundstücke (z. B. 2004: 2.256.457,03 EUR). Insgesamt überstiegen damit die handelsbilanziellen Ergebnisse der Streitjahre die steuerbilanziellen Ergebnisse (z.B. im Jahr 2004 um 4.484.348,14 EUR).
Erstmals ab dem Jahr 2002 bildete die Klägerin in der Handelsbilanz Rückstellungen für Instandhaltungen gemäß § 249 Abs. 2 HGB (Zuführungen z.B. im Jahr 2004: 4.707.017 EUR), die in der Steuerbilanz wegen des Passivierungsverbots für Aufwandsrückstellungen nicht übernommen wurden. Nach Bildung dieser Rückstellungen wurden für die Streitjahre handelsrechtliche Gewinne i.H.v. 3.284.342 EUR (im Beispielsjahr 2004) an die T‐GmbH abgeführt. Unter Berücksichtigung weiterer – von der Vorinstanz im Einzelnen festgestellter – geringer Differenzen hinsichtlich des Personalaufwands glichen sich die handelsbilanziellen Mehrergebnisse und die handelsbilanziellen Minderergebnisse in den Streitjahren jeweils aus. Dies führte dazu, dass sich der an die T‐GmbH abgeführte Gewinn und der Gewinn in der Steuerbilanz betragsmäßig nicht unterschieden.
Das FA behandelte die Summe der Mehrabschreibungen und der Mindererlöse ("Mehrabführungen") als Gewinnausschüttungen i.S.d. § 14 Abs. 3 KStG 2002 und stellte dementsprechend bei der Klägerin die körperschaftsteuerliche Ausschüttungsbelastung gemäß § 38 KStG 2002 her. Die daraus resultierende KSt-Erhöhung führte in den KSt-Bescheiden für die Streitjahre zu einer entsprechend höheren Festsetzung von KSt. Die Rückstellungen für Bauinstandhaltung behandelte das FA als Gewinnrücklage nach § 14 Abs. 1 Nr. 4 KStG 2002.
Das FA erließ Bescheide über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gemäß §§ 27, 28, 37 und 38 Abs. 1 KStG, in denen es die Mehrabführungen sowie die darauf entfallenden KSt-Erhöhungen vom Einlagekonto abzog und das Einlagekonto um die in die Gewinnrücklage nach § 14 Abs. 1 Nr. 4 KStG 2002 eingestellten Beträge als Minderabführungen nach § 27 Abs. 6 Satz 2 KStG 2002 erhöhte.
Die dagegen gerichtete Klage blieb ohne Erfolg (FG Düsseldorf, Urteil vom 15.4.2013, 6 K 4270/10 K,F, Haufe-Index 4720243, EFG 2013, 1262). Die Klägerin legte daher Revision ein.
Entscheidung
Der BFH hat im Revisionsverfahren das BVerfG angerufen, weil er der Überzeugung war, dass die streitentscheidenden Regelungen in § 34 Abs. 9 Nr. 4 i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 infolge Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verfassungswidrig sind.
Das BVerfG hat mit Beschluss vom 14.12.2022, 2 BvL 7/13, 2 BvL 18/14 (BVerfGE 165, 103) festgestellt, dass § 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG"nur" in bestimmten Sachverhaltskonste...