Prof. Dr. Harald Kessler, Dr. Carola Rinker
Zur Vereinfachung der Teilwertschätzung in der Praxis hat die Finanzrechtsprechung Vermutungen aufgestellt, die als Ausdruck allgemeiner Erfahrungssätze gelten (vgl. Tab. 3).
Diese Vermutungen deuten den Teilwert ganz überwiegend beschaffungsorientiert. Der Grund liegt in der gesetzlichen Definition dieses Wertmaßstabs, die auf die Wertschätzung eines potenziellen Betriebserwerbers abstellt. Dieser würde – so die ständige Rechtsprechung – für ein Vorratsgut maximal die Wiederbeschaffungs- bzw. Wiederherstellungskosten vergüten.
Tab. 3: Teilwertvermutungen für das Vorratsvermögen
Ausgehend von den Teilwertvermutungen ergeben sich die in Tab. 4 dargestellten Ansätze zum Nachweis eines unter dem Buchwert liegenden Teilwerts als (Mindest-)Voraussetzung für eine steuerrechtliche Niederstwertabschreibung. Die neben den "üblichen" Tatbeständen (gesunkene Wiederbeschaffungs- oder Wiederherstellungskosten, nicht kostendeckender Verkaufswert) denkbaren Ansätze zur Rechtfertigung einer Teilwertabschreibung, der Nachweis einer Fehlmaßnahme oder eines negativen Geschäftswerts haben im Vorratsvermögen keine praktische Bedeutung. Da die Rechtsprechung als Fehlmaßnahmen nur unbewusste oder irrtümliche Fehleinschätzungen anerkennt, sollte in diesen Fällen eine Teilwertabschreibung regelmäßig auch über eine beschaffungs- oder absatzorientierte Bewertung des Vorratsguts möglich sein. Der Weg über den Nachweis einer unzureichenden Rentabilität des Gesamtbetriebs dürfte deshalb nicht zielführend sein, da auch hier die Teilwertabschreibung – soweit ihre Voraussetzungen überhaupt vorliegen – nach unten durch den Einzelveräußerungspreis des Vorratsguts begrenzt wird.
Tab. 4: Nachweis eines gesunkenen Teilwerts im Vorratsvermögen
Bei der Ableitung des Teilwerts vom Beschaffungs- bzw. Absatzmarkt gehen Handels- und Steuerbilanzrecht teilweise getrennte Wege. So sieht die Finanzrechtsprechung abweichend von der handelsrechtlichen Kommentarliteratur etwa in der Möglichkeit eines günstigeren Fremdbezugs keinen Abschreibungsgrund für fertige oder unfertige Erzeugnisse. Stattdessen orientiert sie sich insoweit allein an den aktuellen Wiederherstellungskosten. Unterschiede bestehen zum Teil auch bei der Ermittlung der einzelnen Wertmaßstäbe. Sie sind nachfolgend erläutert.