1 Überblick
Im Vergleich zu den bisher behandelten Aktivposten fallen die IFRS-Regelungen zum Vorratsvermögen kurz und eher einfach aus. Alle Grundfragen sind in IAS 2 "Inventories" auf wenigen Seiten geregelt. Probleme bereitet allerdings die Abgrenzung zu IFRS 15 "Revenue form Contracts with Customers". Ein Teil der Sachverhalte, die nach handelsrechtlichem Verständnis noch als (un-)fertige Erzeugnisse/Leistungen, also Vorräte auszuweisen sind, führt nach IFRS 15 bereits zu Umsätzen und damit zu Forderungen gegenüber dem Kunden.
IAS 2 befasst sich überraschenderweise nur mit Bewertungs- und Ausweisfragen. Die vorgeschaltete Ansatzfrage lässt sich nur indirekt aus den allgemeinen Regeln (Conceptual Framework) sowie den korrespondierenden Regelungen der Umsatzrealisation (IFRS 15) ableiten.
Die Zugangsbewertung und Folgebewertung der Vorräte weicht nicht stark vom HGB ab: Ein Vollkostenansatz unter Einbeziehung von Gemeinkosten ist bei der Zugangsbewertung verpflichtend. Bei der Folgebewertung ist das Niederstwertprinzip zu beachten. Beim Ausweis ist eine Untergliederung der Position Vorräte in der Bilanz selbst nicht vorgeschrieben. Eine dem HGB vergleichbare Untergliederung wird nur in den notes verlangt.
2 Engerer Begriff der (un-)fertigen Erzeugnisse und Leistungen
Eine bedeutsame Abweichung zum HGB ergibt sich bei dem Sonderproblem der kundenspezifischen Auftragsfertigung. Hier sind nach IFRS 15 schon im Verlauf des Fertigungsprozesses nicht mehr Vorräte (unfertige Erzeugnisse) auszuweisen, sondern ist der Umsatz nach Maß des Fertigungsfortschritts bereits realisiert (GuV) und deshalb bilanziell bereits als forderungsähnlicher sog. vertraglicher Vermögenswert auszuweisen.
Beispiel
Die Hammer GmbH errichtet in 01 bis 03 einen hydraulischen Schmiedehammer für einen Automobilproduzenten nach dessen genauer Spezifikation. Installation vor Ort und Abnahme des Hammers erfolgen Anfang 04. Erst danach ist der Kaufpreis fällig, Anzahlungen sind nicht vereinbart. Aus dem Auftrag resultiert bei einem Umsatz von 1 Mio. EUR insgesamt ein Gewinn von 200 TEUR.
Nach HGB entstehen Umsatz und Gewinn in der Periode 04. Bis dahin erfolgt der Ausweis unter den (un-)fertigen Erzeugnissen. Nach IFRS 15 sind Umsatz und Gewinn entsprechend des Baufortschritts (percentage of completion) auf die Jahre 01 bis 03 zu verteilen. Dies impliziert im Fall fehlender oder hinter dem Fertigungsfortschritt zurückbleibender Anzahlungen auch: Bilanziell ist bereits in 01, 02 und 03 ein forderungsähnlicher sog. vertraglicher Vermögenswert auszuweisen (IFRS 15.105).
3 Ansatz von Vorräten
IAS 2 "Vorräte" befasst sich anders als etwa IAS 16 "Sachanlagen" nicht mit dem Ansatz, sondern geht nach den Definitionen gleich zum Bewertungsaspekt über.
Angesichts dieser Regelabstinenz gelten zunächst die allgemeinen Regeln des Conceptual Framework, insbesondere nach dem substance-over-form-Prinzip das Kriterium des wirtschaftlichen Eigentums.
Als typische Anwendungsfälle des (vom rechtlichen abweichenden) wirtschaftlichen Eigentums sind die auch nach deutschem Bilanzrecht bekannten Sachverhalte des Eigentumsvorbehalts und des Konsignationslagers zu erwähnen.
Für die Zwecke der Erlösrealisierung stellt IFRS 15 darauf ab, ob die Kontrolle am zu liefernden Vermögenswert bereits ganz oder in Teilen auf den Kunden übergegangen ist. Bei der Lieferung von nicht kundenspezifischen Standardgütern, aus spiegelbildlicher Sicht des Kunden, also beim Kauf von Handelswaren und Rohstoffen gilt dabei in der Regel: die Erlösrealisation beim Lieferanten erfolgt mit Übergang der Verfügungsmacht und der Risiken und Chancen auf den Kunden. Korrespondierend hat der Kunde daher zum gleichen Zeitpunkt die Rohstoffe oder Waren einzubuchen.
Beispiel
Kunststoffhersteller K bezieht Flüssigchemikalien von X. Die Lieferung erfolgt in Schienentankwagen. Ein solcher Wagen enthält den Rohmaterialbedarf des K für ca. drei Monate und bleibt bei planmäßigem Verlauf des Geschäfts auf dem Werksgelände des K stehen. Rechtlicher Eigentümer ist bis zur jeweiligen Entnahme X. K entnimmt dem Tankwagen laufend die benötigte Menge und teilt per Monatsende den Verbrauch dem X mit. Die Zahlung erfolgt innerhalb von zehn Tagen nach Monatsende auf der Grundlage des jeweils aktuellen Marktpreises. Jeweils mit einer Kündigungsfrist von einem Monat kann K die Rücknahme des Tankwagens, X die Rückgabe verlangen.
Zur Lösung kann zunächst auf IFRS 15.38(c) zurückgegriffen werden. Danach kommt es u. a. darauf an, wer den physischen Besitz am Liefergegenstand hat. Dieser liegt allerdings nur so lange bei K, bis X nicht gekündigt hat.
Weiterhin ist IFRS 15.38(d) von Bedeutung, wonach es für die Umsatzrealisation beim Lieferanten auf den Transfer der Chancen und Risiken ankommt. Hier führt die Bindung an den jeweils aktuellen Marktpreis in isolierter Betrachtung dazu, dass K die Preisänderungsrisiken trägt. Allerdings kann durch die Kündigungsmöglichkeit auch dieses Ergebnis z. T. aufgehoben werden.
Insgesamt kommt es damit auf die Bedeutung der Kündigungsmöglichkeit an. Bei einer Kündigungsfrist von einem Monat im Verhä...