Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
§ 20 Abs. 6 Satz 1 EStG steht der Verrechnung von Altverlusten i.S. des § 23 EStG in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (EStG a.F.) mit positiven Kapitaleinkünften i.S. des § 20 Abs. 2 EStG bei der (Antrags‐)Veranlagung gemäß § 32d Abs. 4 EStG nicht entgegen, da die depotbezogene unterjährige Verlustverrechnung der auszahlenden Stelle i.S. des § 43a Abs. 3 EStG zwar zeitlich vorrangig, aber nicht endgültig ist (Anschluss an Senatsurteil vom 29.08.2017 – VIII R 23/15, BFHE 259, 336, BStBl II 2019, 54, Rz 11 ff.).
Normenkette
§ 32d Abs. 4, § 20 Abs. 6 Satz 1, § 43a Abs. 3, § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG, § 68 FGO
Sachverhalt
Die zusammenveranlagten Kläger erzielten Einkünfte aus der Veräußerung von Kapitalanlagen i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG. Die Depotbank stellte über die hierbei erzielten Gewinne nach der Verrechnung mit den im jeweiligen Streitjahr erlittenen Verlusten eine Steuerbescheinigung aus. Bei der Einkommensteuerveranlagung beantragten sie, die Gewinne aus der Veräußerung der Kapitalanlagen i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG vorrangig mit den Altverlusten i.S.d. § 23 EStG a.F. und erst anschließend mit den Verlusten aus Kapitalvermögen des jeweiligen Streitjahrs zu verrechnen und die danach verbleibenden Verluste aus Kapitalvermögen der Streitjahre gesondert festzustellen. Das FA lehnte dies ab. Die hiergegen erhobene Klage hat das FG (FG Düsseldorf, Urteil vom 6.5.2015, 7 K 3885/14 E, Haufe-Index 9730063, EFG 2016, 1696) zurückgewiesen.
Entscheidung
Der BFH hat der Revision stattgegeben. Er hat den Rechtsstreit an das FG zurückverwiesen, da das FG keine Feststellungen zur Höhe der Gewinne und Verluste der Kläger aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG vor deren Verrechnung durch die auszahlende Stelle nach § 43a Abs. 3 EStG getroffen hat.
Hinweis
1. Die Streitfrage, ob Altverluste i.S.d. § 23 EStG a.F. unabhängig von der depotbezogenen Verlustverrechnung der Kapitaleinkünfte auf Antrag nach § 32d Abs. 4 EStG mit im VZ erzielten Aktiengewinnen nach § 20 Abs. 2 EStG verrechnet werden können, hat der BFH bereits in seinem Urteil vom 29.8.2017 (BFH, Urteil vom 29.8.2017, VIII R 23/15, BFH/NV 2018, 104, BStBl II 2019, 54, Rz. 11 ff.) entschieden. Danach ist die depotbezogene unterjährige Verlustverrechnung der Kapitaleinkünfte durch die auszahlende Stelle i.S.d. § 43a Abs. 3 EStG zwar zeitlich vorrangig, aber nicht endgültig.
Stellt der Steuerpflichtige einen Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG und auf Verrechnung der Altverluste aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 23 EStG a.F., sind die positiven Einkünfte i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG vorrangig mit Altverlusten i.S.d. § 23 EStG a.F. zu verrechnen.
2. Bei der Verlustverrechnung ist allerdings § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG i.d.F. des JStG 2010 zu beachten. Danach dürfen Verluste aus Kapitalvermögen, die der Kapitalertragsteuer unterliegen, nur verrechnet werden, wenn eine Bescheinigung der auszahlenden Stelle i.S.d. § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG vorliegt. Diese Regelung dient der Vermeidung eines doppelten Verlustabzugs. Eine solche Gefahr ist nur dann nicht gegeben, wenn ausgeschlossen werden kann, dass ein nicht ausgeglichener Verlust i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG von der auszahlenden Stelle gemäß § 43a Abs. 3 Satz 3 EStG auf das nächste Kalenderjahr übertragen wird. Dies kann durch geeignete Unterlagen, insbesondere durch Erträgnisaufstellungen der Depotbank, nachgewiesen werden.
3. Verfahrensrechtlich ist zu beachten, dass der Steuerpflichtige seine Einwendungen gegen die aus seiner Sicht unzutreffende Verlustverrechnung durch Einspruch bzw. Klage gegen den Einkommensteuerbescheid und nicht gegen den Verlustfeststellungsbescheid geltend machen muss. Dies folgt aus der inhaltlichen Bindungswirkung des Einkommensteuerbescheids auf die Verlustfeststellung nach § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010. Die Regelung ist gemäß § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG auf Verluste aus Kapitalvermögen entsprechend anzuwenden. Danach ist der Steuerpflichtige durch einen Einkommensteuerbescheid auch dann beschwert, wenn es sich um einen sog. Nullbescheid handelt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 3.12.2019 – VIII R 8/16