Sachverhalt
Bei dem bulgarischen Verfahren ging es um die Zuordnung einer Immobilie zum Unternehmensvermögen einer juristischen Person des Privatrechts und die Vorsteuerabzugsberechtigung nach Art. 168 Buchst. a MwStSystRL, wenn die Immobilie nach Anschaffung/Herstellung mangels gesetzlich vorgesehener Bewilligung nicht sofort genutzt werden kann bzw. wenn die Immobilie teilweise für private Zwecke genutzt wird.
Im Mai 2009 erwarb die Klägerin, deren Tätigkeit in der Vermietung eigener Immobilien (Hotels) besteht, eine Maisonettewohnung und machte den Vorsteuerabzug daraus geltend. Da für den Verkauf keine Steuererklärung nach dem Gesetz über kommunale Steuern und Abgaben abgegeben worden war und auch keine Lieferungen von elektrischer Energie und Wasser auf Rechnung der Klägerin festgestellt wurden, war die Finanzbehörde der Ansicht, dass die gekaufte Immobilie eine Wohnimmobilie darstelle, ihre Zweckbestimmung nicht auf Büronutzung umgewidmet sei und sie infolge dessen auch nicht für das Unternehmen der Klägerin genutzt werde. Die Finanzbehörde versagte deshalb den Vorsteuerabzug. nach Art. 68 Abs. 1 und Art. 69 Abs. 1 Nr. 2 des bulgarischen MwStG.
Im vorinstanzlichen Gerichtsverfahren wurden unterschiedliche Ansichten zur Vorsteuerabzugsberechtigung im vorliegenden Fall vertreten. Ein Teil der Kammern des Varhoven Administrativen Sad war der Ansicht, dass die Klägerin zum Vorsteuerabzug berechtigt sei, da erst nach der Inbetriebnahme beurteilt werden könne, zu welchem Zweck die Immobilie genutzt wird. Ein anderer Teil der Kammern des Varhoven Administrativen Sad war der Auffassung, dass, solange im Zuge des Steuerprüfungsverfahrens keine Beweise dafür vorgelegt wurden, dass die Immobilie für die Tätigkeit der Klägerin - unabhängig ob für den unternehmerischen oder für den privaten Bedarf - Verwendung findet, für den Unternehmer kein Recht auf Vorsteuerabzug entsteht.
Die Klägerin trug vor, dass die gekaufte Immobilie als Büro bei Vertragsverhandlungen mit Reiseveranstaltern in Zusammenhang mit der unternehmerischen Tätigkeit verwendet werden sollte. Hierfür legte sie eine Erklärung vor, auf deren Grundlage kommunale Steuern und Abgaben erhoben werden und in der die Immobilie als "Büro" ausgewiesen wurde. Nach Ansicht der Finanzbehörde hatte die Klägerin im Zuge des Steuerprüfungsverfahrens weder nachgewiesen, wie die Immobilie für ihre Tätigkeit verwendet wird, noch, dass sie künftig für ihre unternehmerische Tätigkeit verwendet werde.
Entscheidung
Der EuGH hat mit Bezug auf seine frühere Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Unternehmereigenschaft und des Vorsteuerabzugs entschieden, dass nach Art. 168 Buchst. a MwStSystRL ein Unternehmer, der als solcher ein Investitionsgut erworben und es dem Unternehmensvermögen zugeordnet hat, berechtigt ist, die auf den Erwerb dieses Gegenstands entrichtete MwSt in dem Steuerzeitraum abzuziehen, in dem der Steueranspruch entstanden ist, auch wenn der Gegenstand nicht sofort für unternehmerische Zwecke verwendet wird. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu ermitteln, ob der Unternehmer das Investitionsgut für die Zwecke seiner wirtschaftlichen Tätigkeit erworben hat, und gegebenenfalls zu prüfen, ob ein Betrugsfall vorlag. In Fällen von Betrug oder Missbrauch, in denen der Betreffende die Absicht, eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit aufzunehmen, nur vorgespiegelt, in Wirklichkeit jedoch versucht hat, Gegenstände, deren Erwerb zum Vorsteuerabzug berechtigen kann, seinem Privatvermögen zuzuführen, kann die Finanzbehörde rückwirkend die Erstattung der abgezogenen Beträge verlangen.
Hinweis
Dem Urteil lag, was die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs betrifft, ein spezifischer Einzelfall zugrunde und der EuGH hat lediglich die Grundsätze seiner früheren Rechtsprechung wiederholt. Das deutsche Recht war von dem Verfahren insoweit betroffen, als der EuGH auch um Entscheidung gebeten worden war, ob der Vorsteuerabzug bei Zweifeln über die unternehmerische Verwendungsabsicht bis zum Beweis des Gegenteils zu gewähren ist. Diese Frage hat der EuGH mangels Zuständigkeit nicht beantwortet, weil er im Rahmen von Art. 267 AEUV nicht befugt ist, die Normen des Unionsrechts auf einen Einzelfall anzuwenden. Der EuGH kann sich nur zur Auslegung der Verträge und der Rechtsakte der Unionsorgane äußern. Eine Bejahung dieser Frage durch den EuGH wäre gemessen an seiner bisherigen Rechtsprechung zum Wahlrecht der Zuordnung von Grundstücken zum Unternehmensvermögen und zum Vorsteuerabzug auch nicht zu erwarten gewesen, da dies zu einer Beweislastumkehr bei der Prüfung der Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs zu Lasten der Verwaltung geführt hätte. Der Unternehmer hat die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nachzuweisen und die Finanzbehörde kann diese Nachweise ggf. in Zweifel ziehen.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 22.03.2012, C-153/11