Dipl.-Finw. (FH) Helmut Lehr
Leitsatz
Vorsteuern aus der Errichtung/Sanierung eines aus mehreren Gebäuden bestehenden einheitlichen Komplexes können anhand des objektbezogenen Umsatzschlüssels aufgeteilt werden.
Sachverhalt
Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks, das ursprünglich mit einem zweigeschossigen Gebäude nebst seitlichem Anbau bebaut war; in unmittelbarer Nähe befindet sich ein weiteres, unter Denkmalschutz stehendes Objekt. In den Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2006 bis 2009 machte sie umfangreiche Vorsteuerbeträge aus der umfassenden Neugestaltung des gesamten Grundstücks geltend. Hierzu wurde das bisherige Gebäude nebst seitlichem Anbau, nicht jedoch das denkmalgeschützte Gebäude, abgerissen. Im hinteren Bereich des Grundstücks errichtete die Klägerin einen zweiteiligen Baukörper. Der Hauptkörper bestand aus einem fünfgeschossigen Wohn- und Geschäftshaus mit einem ausgebauten Dachgeschoss. An den Hauptkörper schloss sich ein Zwischenbau an, der aus drei Vollgeschossen mit Flachdach und einem Untergeschoss bestand. Hauptkörper und Zwischenbau bildeten zusammen den Neubau des Gebäudekomplexes, wobei der Zwischenbau eine Verbindung zu dem denkmalgeschützten Gebäude herstellte. Während die Klägerin erhebliche Vorsteuerbeträge unter Anwendung des objektbezogenen Umsatzschlüssels (knapp 69 %) geltend machte, berücksichtigte das Finanzamt Vorsteuerbeträge nur anhand des Flächenschlüssels (rund 39 %).
Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg. Gemäß § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG ist eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, nur zulässig, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist. In Ansehung der unionsrechtlichen Grundlagen in Art. 173 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL und Art. 173 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL ist § 15 Abs. 4 UStG nach ständiger Rechtsprechung des BFH richtlinienkonform auszulegen. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es sich vorliegend um ein einheitliches Aufteilungsobjekt handelt, da mehrere Gebäude auf einem Grundstück derart miteinander verbunden (verschachtelt) sind, dass sie Teil eines Gesamtbauwerks und Wirtschaftsguts darstellen. Unter Zugrundelegung der jüngeren Rechtsprechung hat die Aufteilung der auf das Gebäude entfallenden Vorsteuerbeträge nicht - wie vom Finanzamt vorgenommen - nach dem objektbezogenen Flächenschlüssel zu erfolgen, da dieser nicht präziser ist als der von der Klägerin gewählte objektbezogene Umsatzschlüssel. Es kann vorliegend aufgrund der völlig unterschiedlichen baulichen Gegebenheiten nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Eingangsleistungen gleichmäßig auf die Flächen verteilen, da in der Ausstattung der verschiedenen Zwecke dienenden Räume erhebliche Unterschiede bestehen.
Hinweis
Die Anwendung des objektbezogenen Umsatzschlüssels führte im Streitfall zu zusätzlichen Vorsteuerbeträgen in den Jahren 2006 bis 2009 von insgesamt rund 380.000 EUR. Aufgrund der jüngeren Rechtsprechung war absehbar, dass in einem solchen Fall der objektbezogene Umsatzschlüssel zur Anwendung kommt, schließlich gab es offenbar ganz erhebliche Unterschiede in der Bausubstanz sowie der Größe und Art der einzelnen Räumlichkeiten. So hat auch der BFH entschieden, dass die Vorsteuerbeträge nach dem (objektbezogenen) Umsatzschlüssel aufzuteilen sind, wenn bei einem gemischt genutzten Gebäude erhebliche Unterschiede in der Ausstattung der verschiedenen Zwecke dienenden Räume vorliegen BFH, Urteil v. 11.11.2020, XI R 7/20. Diese Rechtsprechung wurde im Ergebnis bereits von der Finanzverwaltung akzeptiert und vom BMF ausdrücklich für anwendbar erklärt (vgl. BMF, Schreiben v. 20.10.2022, III C 2 - S-7306 / 19 / 10001 :003, BStBl 2022 I S. 1497). Danach erfolgt zwar die Vorsteueraufteilung grundsätzlich nach dem Verhältnis der Nutzflächen des Gebäudes (objektbezogener Flächenschlüssel), da dies regelmäßig die wirtschaftlich präzisere Aufteilungsmethode gegenüber dem Umsatzschlüssel darstelle. In bestimmten Fällen, insbesondere bei stark abweichender Ausstattung bzw. Bauaufwand, ist jedoch der objektbezogene Umsatzschlüssel angezeigt. Daneben können im Einzelfall auch weitere Aufteilungsmethoden zu berücksichtigen sein.
Im vorliegenden Streitfall hat das Finanzgericht zugunsten des Klägers auch bestätigt, dass für das Recht auf Vorsteuerabzug die objektiv belegbare Absicht des Unternehmers maßgebend ist, die bezogenen Leistungen für besteuerte Ausgangsumsätze zu verwenden, sofern sie tatsächlich erst in einem späteren Besteuerungszeitraum verwendet werden. Der Kläger hatte zur Überzeugung des Finanzgerichts dargelegt, dass er in den Streitjahren ursprünglich die Absicht hatte, gewisse Räumlichkeiten als Büroflächen steuerpflichtig zu vermieten - später wurden diese allerdings tatsächlich steuerfrei vermietet.
Dieser Grundsatz gilt zwar bereits seit vielen Jahren, die Anwendung scheitert in der Praxis aber oftmals daran, dass die Absicht nicht ausr...