Leitsatz
Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und b, Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. c und Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass einem Steuerpflichtigen, der einen Teil eines zu seinem Unternehmen gehörenden Investitionsgutes vorübergehend für seinen privaten Bedarf verwendet, nach diesen Bestimmungen das Recht auf Vorsteuerabzug für Ausgaben für dauerhafte Umgestaltungen auch dann zusteht, wenn die Umgestaltungen im Hinblick auf diese vorübergehende private Verwendung durchgeführt wurden, und dass ferner dieses Abzugsrecht unabhängig davon besteht, ob dem Steuerpflichtigen beim Erwerb des Investitionsgutes, an dem die Umgestaltungen vorgenommen wurden, Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt und ob diese Mehrwertsteuer von ihm abgezogen wurde.
Normenkette
Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und b, Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. c und Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-RL, § 3 Abs. 9a, § 10 Abs. 4 Nr. 2, § 15 UStG.
Sachverhalt
X, eine Lack-Großhandels-OHG, baute das Dachgeschoss einer Lagerhalle als Wohnräume für die Gesellschafter aus und dann nach 2-jähriger Nutzung als Bürorauräume um. Das FA versagte den Vorsteuerabzug, mit Ausnahme der Kosten von Bad und Toilette, die auch dem Unternehmen dienten. Ob der Vorsteuerabzug für die Umbaukosten zulässig ist, war Gegenstand des Verfahrens.
Entscheidung
Die wesentlichen Grundsätze ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen. Für die Beurteilung der objektiven Anhaltspunkte für die Verwendungsabsicht bei Leistungsbezug könnte die Entscheidung eine Akzentverschiebung erfordern: die spätere tatsächliche Verwendung erhält Gewicht.
Hinweis
Die Entscheidung betrifft den teilweisen Umbau eines Betriebsgebäudes für vorübergehend beabsichtigte private Wohnzwecke.
1.Verschiedene Teile eines einheitlichen Gegenstands können unterschiedlich dem Privat- oder Betriebsvermögen zugeordnet sein. Allein die Tatsache, dass ein Gebäude als solches dem unternehmerischen Bereich zugeordnet wurde, führt nicht automatisch dazu, dass auch Umgestaltungen ebenfalls dem unternehmerischen Bereich dienen. Für die Beurteilung, ob keine Erhaltungsaufwendungen, sondern ein Investitionsgut vorliegt, sind entscheidend die Langlebigkeit des Gutes und die gleichzeitige Abschreibung seiner Anschaffungs- oder Herstellungskosten. Der Ausbau eines Dachgeschosses führt jeweils mit der Herstellung jedes einzelnen Raumes (im Fall: Dachgaube und Diele) zu einem neuen Investitionsgut (vgl. BFH, Urteil vom 28.10.2012, V R 35/09, BFH/NV 2011, 687).
2. Unerheblich ist z.B., ob bei Erwerb des Gebäudes, in das ein neues Investitionsgut eingebaut wird (z.B. Dachgeschossausbau), Vorsteuer abgezogen werden konnte. Bedeutung hat dies aber für die Bemessungsgrundlage bei einer privaten Nutzung der neu hergestellten Räume in einem dem Unternehmen zugeordneten Gebäude. Ist beim Erwerb des Gebäudes Vorsteuer abgezogen worden, ermittelt sich die Bemessungsgrundlage für die vorübergehende Privatnutzung auf der Basis der anteiligen Anschaffungskosten für das Gesamtgebäude zuzüglich der privat veranlassten Umbaukosten.
3. Wer einen Gegenstand ausschließlich für seinen privaten Bedarf erwirbt, handelt als Privatperson und nicht als Unternehmer. Bei Leistungsbezug istgrundsätzlich die Verwendungsabsicht maßgebend. Allerdings ist z.B. bei einem nicht direkt und unmittelbar einem Ausgangsumsatz zuzurechnenden Eingangsumsatz (Gemeinkosten) der Besteuerungszeitraum (Kalenderjahr) maßgeblich und daher eine ex-post-Betrachtung erforderlich. Auch zur Objektivierung der behaupteten Verwendungsabsicht betont der EuGH zu Recht die Bedeutung der späteren tatsächlichen Verwendung.
4. Allein der Umstand, dass für unternehmerische Zwecke erworbene Gegenstände nicht sofort für das Unternehmen verwendet werden, steht dem Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich nicht entgegen. Die Nutzung eines (zu Recht) dem Unternehmen zugeordneten Gegenstandes für Zwecke außerhalb des Unternehmens hat eine Besteuerung als Verwendungsentnahme zur Folge. Die (steuerpflichtige) vorübergehende Nutzung für private Zwecke muss nicht in eine betriebliche Nutzung "eingebettet" sein; sie kann auch der unternehmerischen Nutzung vorausgehen. Auch diese EuGH-Grundsätze setzen die Berücksichtigung der späteren tatsächlichen Nutzung voraus.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 19.7.2012 – C-334/10