Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Der Anbau stellt nachträgliche Herstellungskosten dar, die umsatzsteuerrechtlich wie ein eigenständiges Wirtschaftsgut behandelt werden. Der Vorsteuerabzug aus diesen nachträglichen Herstellungskosten beurteilt sich bei jedem Leistungsbezug grundsätzlich danach, wie der Unternehmer die bezogene Leistung später für den Vorsteuerabzug nicht ausschließende Umsätze verwenden will. Dies gilt auch für geleistete Anzahlungen.
Da R den Anbau zumindest bis Mitte Mai 2023 für eigene, den Vorsteuerabzug nicht ausschließende unternehmerische Zwecke verwenden möchte, ist er für die Anzahlungen aus März und April 2023 in vollem Umfang zum Vorsteuerabzug berechtigt. Da er nach dem Sachverhalt jeweils 200.000 EUR zuzüglich Umsatzsteuer (19 % = 38.000 EUR) zahlt, kann er für die Voranmeldungszeiträume März und April 2023 jeweils 38.000 EUR Vorsteuer abziehen.
Die Vermietung an den Versicherungsvermittler schließt dann aber den Vorsteuerabzug aus, da sie an einen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmer erfolgt. Damit ist die Option zur Steuerpflicht nach § 9 Abs. 2 UStG ausgeschlossen. Ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verwendungsabsicht Mitte Mai 2023 ist ein weiterer Vorsteuerabzug für R nicht mehr möglich. R hat damit aus der Schlusszahlung Mai 2023 keinen Vorsteuerabzug mehr.
Insgesamt sind aus dem Anbau Umsatzsteuerbeträge i. H. v. (600.000 EUR × 19 % =) 114.000 EUR entstanden. Von diesem Betrag hat R zulässigerweise entsprechend der jeweiligen Verwendungsabsicht 76.000 EUR als Vorsteuer abgezogen. Damit sollte das Objekt zu 76.000/114.000 für den Vorsteuerabzug berechtigende Umsätze verwendet werden. Dies entspricht einer geplanten steuerpflichtigen Verwendung von 2/3 = 66,67 %. Diese geplante Verwendung ist als Ausgangsverwendung für die Prüfung der Vorsteuerberichtigung für den Anbau maßgeblich.
Der 10-jährige Berichtigungszeitraum beginnt mit der erstmaligen unternehmerischen Verwendung am 1.6.2023 und endet am 31.5.2033. Da die Vermietung von Beginn an steuerfrei erfolgt, haben sich schon in 2023 die Verhältnisse geändert, die für den Vorsteuerabzug maßgeblich waren. Da die Vermietung nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG steuerfrei erfolgt, hat sich die Verwendung des Anbaus (von geplant 66,67 % steuerpflichtige Verwendung auf tatsächlich 0 % steuerpflichtige Verwendung) um ./. 66,67 % geändert.
Von dem gesamten Vorsteuerbetrag i. H. v. 114.000 EUR entfällt auf jedes volle Kalenderjahr ein Betrag von 1/10 = 11.400 EUR. Da der Anbau in 2023 aber nur 7 Monate (Juni bis Dezember) verwendet wird, entfällt auf diesen Zeitraum ein Betrag von (7/12 =) 6.650 EUR. Da sich die Verwendung um ./. 66,67 % geändert hat, ergibt sich für 2023 ein Berichtigungsbetrag i. H. v. 4.433 EUR (6.650 EUR × 0,6667) zulasten des R. Diesen Betrag muss R in seiner Jahressteuererklärung angeben.
Soweit die Vermietung an den Versicherungsvertreter auch in 2024 und den Folgejahren erfolgt, ist bis zum Ende des maßgeblichen Berichtigungszeitraums am 31.5.2033 jeweils in den einzelnen Kalenderjahren eine Vorsteuerberichtigung durchzuführen. Soweit weiterhin von einer vollständig vorsteuerabzugsschädlichen Verwendung des Anbaus ausgegangen wird, ergeben sich in den Folgejahren ebenfalls Verwendungsänderungen i. H. v. ./. 66,67 %. Auf jedes volle Kalenderjahr des 10-jährigen Berichtigungszeitraums (dies sind die Jahre 2024 bis 2032) entfallen (1/10 von 114.000 EUR =) 11.400 EUR. Von diesem Betrag sind zulasten des R 66,67 % = 7.600 EUR zu berichtigen. Da der voraussichtliche Berichtigungsbetrag jetzt 6.000 EUR übersteigt, muss R die Vorsteuerberichtigung schon zeitanteilig in den einzelnen Voranmeldungszeiträumen vornehmen.