Leitsatz
Zur Auslegung der Begriffe "ansässig" und "Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit" (§ 18 Abs. 9 UStG 1993).
Mit dem Verfahren zur Vorsteuervergütung für nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässige Steuerpflichtige nach § 18 Abs. 9 Sätze 6 und 7 UStG 1993 i.V.m. §§ 59 ff. UStDV 1993 hat der Gesetz- und Verordnungsgeber Art. 17 Abs. 4 der 6. EG-RL i.V.m. Art. 1 der 13. EG-RL umgesetzt. Die in § 18 Abs. 9 UStG 1993 enthaltenen Begriffe "ansässig" bzw. "Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit" sind daher richtlinienkonform auszulegen.
Normenkette
§ 18 Abs. 9 UStG , Art. 17 Abs. 4 der 6. EG-RL , Art. 1 der 13. EG-RL , §§ 59 ff. UStDV
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH nach luxemburgischem Recht (S.à.r.l.), betreibt ein Transportunternehmen. Bei deren Alleingesellschafterin – einer in der Schweiz ansässigen AG – handelt es sich ebenfalls um ein Transportunternehmen. Geschäftsführer der Klägerin waren Angestellte der Schweizer AG mit Wohnung in der Schweiz bzw. Italien.
Das BfF lehnte die Vergütung von Vorsteuerbeträgen für Kraftstoff-Aufwendungen ab, weil am sog. statutarischen Sitz – dem Ort, der als Sitz in Satzung, Gesellschaftsvertrag o.Ä. angegeben ist – in Luxemburg nur eine sog. Briefkastengesellschaft bestanden habe und die vorgelegte Bescheinigung nach § 61 Abs. 3 UStDV nur den Nachweis erbringe, dass der Betreffende "Mehrwertsteuerpflichtiger" des Sitzstaats sei; dies impliziere nicht zwingend die – nach § 2 UStG zu prüfende – Unternehmereigenschaft.
Die Klage hatte Erfolg. Das FG meinte, die Klägerin sei im Gemeinschaftsgebiet ansässig, weil sie ihren "statutarischen" Sitz i.S.d. § 11 AO in Luxemburg und damit im Gemeinschaftsgebiet habe. Dies genüge.
Entscheidung
Die Revision führte zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Für die noch erforderliche Auslegung der Begriffe durch den EuGH könnten folgende Kriterien u.a. entscheidungserheblich sein:
- War der Steuerpflichtige unter seiner Firma am Sitzort im Telefonbuch eingetragen?
- Hatte er unter ihrer Firma Büroräume angemietet?
- Hatte er Arbeitsverträge abgeschlossen?
- Wo und wann waren etwaige Arbeitnehmer für ihn am statutarischen Sitz tätig?
- Wo wurden die Rechnungen für die erbrachten Umsätze erstellt?
- Hat der Steuerpflichtige am Sitzort Luxemburg Umsatzsteuererklärungen abgegeben?
- Haben die zuständigen Luxemburger Behörden ihr gegenüber Umsatzsteuerbescheide erlassen?
Bei einem Transportunternehmen – wie im Streitfall:
- Wo waren die Transportmittel zugelassen?
- Wo befand sich der Standort der Transportmittel, wenn sie nicht für Transportleistungen eingesetzt wurden? Hierzu hatte das FG keine Feststellungen getroffen.
Hinweis
Für die Vergütung von Vorsteuerbeträgen für Unternehmer, die im Ausland ansässig sind und im Inland keine Umsätze tätigen, ist nach § 18 Abs. 9 UStG i.V.m. §§ 59 ff. UStDV ein besonderes Verfahren vorgesehen. Bei Unternehmern, die nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässig sind, ist die Vergütung von Vorsteuerbeträgen ausgeschlossen, wenn diese für den Bezug von Kraftstoffen angefallen sind.
Noch nicht geklärt ist, ob die Begriffe "ansässig" bzw. "Sitz" i.S.v. § 18 Abs. 9 Sätze 6 und 7 UStG anhand der Sitz-Regelung in § 11 AO auszulegen sind – also der Ort, der durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Satzung, Stiftungsgeschäft oder dergleichen bestimmt ist – oder ob der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit maßgebend ist.
Gemeinschaftsrechtliche Vorgabe für § 18 Abs. 9 UStG ist Art. 17 Abs. 4 der 6. EG-RL. Danach erfolgen Mehrwertsteuererstattungen bei im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmern nach der 8. EG-RL und bei nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmern nach der 13. EG-RL. Da § 18 Abs. 9 UStG die 8. EG-RL bzw. 13. EG-RL umsetzt, ist richtlinienkonform auszulegen.
Art. 1 der 13. EG-RL bestimmt, dass als nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässiger Steuerpflichtiger gilt, wer in diesem Gebiet "weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung, von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind, noch – in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer festen Niederlassung – seinen Wohnsitz oder üblichen Aufenthaltsort gehabt hat". Der EuGH hat die Begriffe "ansässig" und "Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit" bisher noch nicht ausgelegt.
Die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit ist hier nicht maßgeblich, denn sie betrifft nur die Zugehörigkeit einer Gesellschaft zur Rechtsordnung eines Mitgliedstaats, während der "Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit" für die Bestimmung von wirtschaftlichen Folgen (z.B. Ort von Dienstleistungen, Vorsteuervergütungsberechtigung) ausschlaggebend ist. Der zur Ansässigkeit bedeutsamen Voraussetzung der "festen Niederlassung" ergangenen Rechtsprechung ist aber zu entnehmen, dass diese einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur besitzen muss, die eine Erbringung von Umsätzen ermöglicht (vgl. EuGH, Urteil vom 17.7.1997, Rs. C?190/95 – ARO Lease BV –, UR 1998, 185).
Für die Auslegung der Richtlinienbegriffe ist eine Entscheidung des EuGH erforderlich. Erst nach des...