Der Jahresabschluss (ob nach IFRS, HGB oder anderen Regeln) besteht primär aus bestimmten Rechenwerken (Bilanz, GuV, Kapitalflussrechnung, Eigenkapitalveränderungsrechnung). Diese Rechenwerke enthalten
- Größen, die nach bestimmten Ansatz- und Bewertungsmethoden zustande gekommen sind,
- dabei in bestimmter Weise zu Posten aggregiert wurden und
- insgesamt die Verhältnisse (Lage usw.) des Unternehmens nur unter einschränkenden Prämissen (z. B. Stichtagsprinzip, Beschränkung auf in Geldeinheiten messbare Größen, going-concern-Prinzip) wiedergeben.
Aus diesen Eigenschaften und Grenzen der buchhalterischen Abbildung der Unternehmenswirklichkeit ergibt sich die Hauptfunktion des Anhangs. Er soll die anderen Abschlussbestandteile erläutern, entlasten und ergänzen, indem er insbesondere Antworten auf folgende Fragen gibt:
- Wie sind die Zahlen der Rechenwerke zustande gekommen? (Methoden und ggf. Prämissen; IAS 1.112(a)).
- Was enthalten die Zahlen in den Rechenwerken? (Erläuterung bzw. Disaggregierung der Posten; IAS 1.112(c)).
- Was enthalten die Zahlen der Rechenwerke demgegenüber (noch) nicht? (Ereignisse nach dem Stichtag, Eventualverbindlichkeiten, nicht quantifizierbare oder monetär nicht quantifizierbare Größen; IAS 1.112(b)).
Abb. 2: Funktionen des Anhangs
Hinweise auf die Gliederung und notwendige Inhalte des Anhangs finden sich in IAS 1.114 und den einzelnen Standards. Der folgende Vorschlag folgt einem in der Praxis gebräuchlichen Aufbau.
Abb. 3: Aufbau des Anhangs (Vorschlag)
Eine Erweiterung des Gliederungsvorschlags um notes zur Kapitalflussrechnung und zur Eigenkapitalveränderungsrechnung ist in der Praxis nicht die Regel. Die Erläuterungen sind teils so kurz, dass sie unter den entsprechenden Rechenwerken angebracht werden können. Falls längere Angaben erforderlich sind, können diese in anderen Abschnitten vorgenommen werden, etwa hinsichtlich der Eigenkapitalveränderungsrechnung bei der Erläuterung der Bilanzposition Eigenkapital.
Die Bezeichnung notes (Anmerkungen) ist durchaus wörtlich zu verstehen. Jeder in den notes erläuterte Posten der Bilanz, der GuV und der Kapitalflussrechnung muss gemäß IAS 1.113 mit einem Querverweis zum Anhang versehen werden. Werden bspw. die aktiven und passiven latenten Steuern in Ziffer 24 des Anhangs erläutert, findet der Bilanzleser sowohl auf der Aktivseite der Bilanz als auch auf der Passivseite der Bilanz in einer zusätzlich zu den Text- und Zahlenspalten eingefügten Spalte "Anhang" die Ziffer 24.
Tipp
Im HGB sind die Anhangangaben in einem besonderen Abschnitt (§§ 284–288 HGB) geregelt. Auch inhaltlich und in der Bilanzierungspraxis führt der Anhang in gewisser Weise ein separates Dasein. Die Praxis "bilanziert deshalb erst einmal", bevor man sich "noch um den Anhang kümmern muss".
Im IFRS-System sind die notes und disclosures dort behandelt, wo auch die Bilanzierungs- und Bewertungsfragen geregelt sind. Auch inhaltlich besteht ein engerer Zusammenhang zwischen notes und Bilanz als nach HGB. Für die Untergliederung der Vorräte bspw. ist der HGB-Anhang weniger relevant, weil die Untergliederung schon in der Handelsbilanz selbst vollzogen wird. Die IFRS-Bilanz zeigt demgegenüber nur den Hauptposten. Seine Aufschlüsselung ist Sache des IFRS-Anhangs.
Für die praktische Jahresabschlusserstellung folgt daraus: eine Arbeitsteilung der Art "erst Bilanz, dann Anhang" oder "Meier Anlagevermögen, Müller Anhang" macht wenig Sinn. Der IFRS-Anhang will ernst genommen werden. Er muss integral mit dem jeweiligen Bilanzposten bearbeitet werden.
Bilanzierungsentscheidungen verlangen vielfach die Ausübung von Ermessen (management judgement). Zwei Hauptformen des Ermessens werden mit Angabepflichten belegt:
- Anwendung der Regeln: Viele Regeln enthalten unbestimmte Rechtsbegriffe. Bei der Zurechnung eines Leasinggegenstands hat der Leasinggeber zu entscheiden, ob die Vertragsdauer den "major part" der Nutzungsdauer abdeckt. Beim Factoring von Forderungen kommt es darauf an, ob "substantially all of the risks" auf den Factor übergehen. IAS 1.117 schreibt die Offenlegung der wichtigsten ("most significant") dieser Entscheidungen im Anhang vor. Das Anliegen, dem Bilanzadressaten zu zeigen, wo der Abschluss besonders ermessensbehaftet ist, erscheint ehrenwert. Dass die Regel aber selbst einen hoch ermessensbehafteten Begriff – "most significant" – verwenden muss, zeigt die praktische Schwierigkeit der Umsetzung.
- Vornahme von Schätzungen: Die Bemessung der Rückstellungen, die Bestimmung des fair value einer nicht börsennotierten Aktie, die Ermittlung des niedrigeren Stichtagswerts (recoverable amount) von Anlagegütern und viele andere Fragen verlangen zukunftsgerichtete und damit unsichere Schätzungen. IAS 1.125. schreibt vor, Kernquellen (key sources) solcher Unsicherheit offenzulegen. Art und Umfang der Information sollen den Umständen angepasst sein. Bei so viel Unbestimmtheit der Regeln selbst verwundert es nicht, wenn sich auch die Berichtspraxis häufig mit pauschalen Hinweisen auf die Unsicherheit d...