Leitsatz
Der endgültige Verlust eines Arbeitsmittels (hier: Violine einer Orchestermusikerin) durch Diebstahl oder Unterschlagung kann im Weg der Absetzung für außergewöhnliche Abnutzung zu Erwerbsaufwendungen führen. Nach den Umständen des Einzelfalls kann dies auch dann der Fall sein, wenn der Ehepartner des Steuerpflichtigen den Verlust herbeiführt.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 und 7 EStG , § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG , § 12 Nr. 1 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin erzielte im Streitjahr 1993 als Geigerin bei einem Orchester Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Ihr Instrument, eine italienische Meistergeige, war über ihren Arbeitgeber mit einer Deckungssumme i.H.v. rd. 650.000 DM versichert. Nach den Angaben der Klägerin hatte sie die Violine im Jahr 1988 für rd. 280.000 DM durch ihren früheren Ehemann ersteigern lassen.
In der ESt-Erklärung 1993 machte die Klägerin eine AfaA i.H.d. "Restbuchwerts" von rd. 240.000 DM als Werbungskosten geltend, weil ihr damaliger Ehemann die Violine aus ihrem Arbeitszimmer entwendet habe. Das FA berücksichtigte nur die gewöhnliche AfA, nicht jedoch die beantragte AfaA, weil sich das schädigende Ereignis in der steuerrechtlich unbeachtlichen Privatsphäre abgespielt habe.
Im Klageverfahren brachte die Klägerin weiter vor, eine Strafanzeige, ein Herausgabeverlangen und Vollstreckungsversuche gegen ihren nicht mehr auffindbaren Ehemann seien erfolglos geblieben; die Versicherung habe keinen Ersatz geleistet, weil Verluste durch Angehörige nicht versichert seien. Die Klage hatte Erfolg.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurück. Unklar sei u.a., ob der Verlust der Violine bereits im Streitjahr als endgültig eingetreten zu beurteilen sei. Insbesondere sei es erforderlich, die näheren Umstände der Entwendung der Violine durch den damaligen Ehemann aufzuklären, damit eine private, der Klägerin zuzurechnende Veranlassung mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Eine sorgfältige Prüfung der maßgeblichen Umstände erscheine schon deshalb geboten, da sich die Trennung zwischen beruflichem und privatem Aufwand bei (auch hier vorliegenden) familiären Gegebenheiten als schwierig erweise.
Hinweis
1. Die Frage, ob Wertverluste privater Wirtschaftsgüter zu Erwerbsaufwendungen führen können, stellt die Rechtsprechung immer wieder vor Schwierigkeiten. Unter Darlegung der bisherigen Rechtsprechung hat der BFH im Streitfall nochmals ausdrücklich hervorgehoben, dass auch in diesem Zusammenhang das Veranlassungsprinzip zu beachten ist. Damit der Verlust eines privaten Wirtschaftsguts zu Erwerbsaufwendungen führen kann, ist erforderlich, dass die Gründe für den Verlust in der Berufs- bzw. Erwerbssphäre liegen.
2. Ungeachtet des Umstands, dass bei den Überschusseinkunftsarten des § 2 Abs. 3 Nrn. 4 bis 7 EStG Veränderungen im Vermögensbereich grundsätzlich steuerlich unerheblich sind, hatte die Rechtsprechung (in Ansehung des objektiven Nettoprinzips) den Verlust privater Wirtschaftsgüter schon bisher anerkannt, wenn
- der Verlust bei einem Gegenstand, der kein Arbeitsmittel ist, bei dessen Verwendung für berufliche Zwecke eintritt,
- ein Gegenstand, der nicht beruflich genutzt wird, aus in der Berufssphäre des Arbeitnehmers liegenden Gründen entzogen wird (vgl. BFH, Urteil vom 19.3.1982, VI R 25/80, BStBl II 1982, 442: Zerstörung eines privaten Pkws eines Polizisten wegen dessen Berufstätigkeit),
- ein Arbeitsmittel verloren geht, sofern nicht ausnahmsweise das die AfaA auslösende Ereignis dem privaten Bereich zuzuordnen ist (BFH, Urteil vom 29.4.1983, VI R 139/80, BStBl II 1983, 586).
3. An diese Rechtsprechung, insbesondere an die zuletzt genannte Entscheidung, knüpft das Besprechungsurteil an. Der BFH präzisiert nochmals, dass auch bei der Entwendung eines Arbeitsmittels eine AfaA zulässig ist. Er betont, dass (entsprechend dem Individualprinzip) Übergriffe von Familienangehörigen nicht – wie das FA meinte – von vornherein dazu führen, dass Verluste von Arbeitsmitteln dem privaten Bereich zuzuordnen sind. Allein aufgrund der Motive des Täters ist der Verlust eines Arbeitsmittels nicht dem privaten Lebensbereich des Steuerpflichtigen zuzurechnen. Dies kann allerdings dann anders sein, wenn der Steuerpflichtige selbst eigene (private) Ursachen setzt. Detaillierte Ausführungen hat der BFH in diesem Zusammenhang angesichts der bisher weitgehend unklaren Tatumstände des Streitfalls unterlassen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 9.12.2003 VI R 185/97