Leitsatz
1. Einen Prozessbevollmächtigten trifft an dem verspäteten Eingang eines fristgebundenen Schriftsatzes kein Verschulden, wenn er mit der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegerätes und der korrekten Eingabe der Sendenummer alles zur Fristwahrung Erforderliche getan und so rechtzeitig mit der Übermittlung begonnen hat, dass unter normalen Umständen mit deren Abschluss bis 24:00 Uhr gerechnet werden konnte (Anschluss an BGH-Beschluss vom 12.04.2016 ‐ VI ZB 7/15, NJW-RR 2016, 816).
2. Leistungen aufgrund eines Fördervertrags mit der "Stiftung zur Förderung der ambulanten ärztlichen Versorgung im Freistaat Thüringen" sind unter bestimmten Umständen nicht steuerbar.
Normenkette
§ 56 Abs. 1 FGO, § 22 Nr. 3 Satz 1 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin erhielt im Rahmen eines sog. "Thüringen Stipendiums" einmalig 15.000 EUR, die das FA der Besteuerung unterwarf. Einspruch und Klage (Thüringer FG, Urteil vom 14.3.2018, 3 K 737/17, Haufe-Index 12126298, EFG 2018, 1554) blieben erfolglos.
Entscheidung
Auf die Revision der Klägerin hat der BFH das angefochtene Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben.
Hinweis
1. Wiedereinsetzung: Immer wieder misslingt die fristwahrende Übermittlung fristgebundener Schriftsätze, wenn mit der Übermittlung sprichwörtlich in letzter Minute begonnen wird. Da bestimmende Schriftsätze unterschrieben sein müssen, kommt es darauf an, dass die unterschriebene letzte Seite des Schriftsatzes vollständig noch vor Fristablauf vom Empfängerfax aufgezeichnet wird. Geht die letzte Seite erst nach Fristablauf ein, ist die Frist versäumt. Dann hilft nur noch die Wiedereinsetzung.
Grundsätzlich darf eine gesetzliche Frist vollständig ausgenutzt werden. Mit der Übermittlung des Schriftsatzes per Fax muss aber so rechtzeitig begonnen werden, dass mit ihrem Abschluss noch vor Fristablauf gerechnet werden kann. Mit einem außergewöhnlichen Verlauf braucht der Absender nicht zu rechnen. Für die hypothetische Betrachtung kommt es auf den tatsächlich verwirklichten Sachverhalt an:
a) Scheitert die rechtzeitige Übermittlung daran, dass das Empfängerfax kurz vor Fristablauf (Mitternacht) überlastet ist, liegt eine unverschuldete Fristversäumung nur vor, wenn ein angemessener zeitlicher Sicherheitszuschlag eingeplant und eingehalten worden ist. Dass die Faxgeräte von Gerichten kurz vor Mitternacht häufig überlastet sind, ist nämlich per se nicht außergewöhnlich. Ein solcher Fall lag allerdings nicht vor.
b) Dagegen braucht der Absender mit einer außergewöhnlichen technischen Störung oder Verzögerung nicht zu rechnen. Lässt sich anhand der Faxprotokolle nachvollziehen, dass die Übermittlung (aus letztlich nicht aufgeklärten technischen Gründen) ungewöhnlich langsam war, kommt es nicht darauf an, ob der zeitliche Sicherheitspuffer beachtet worden ist.
So lag der Streitfall. Zwar war ein zeitlicher Sicherheitszuschlag bei Beginn der Übermittlung nicht berücksichtigt und dem Bevollmächtigten war noch ein zusätzlicher Fehler unterlaufen, weil er den Schriftsatz zweimal ausgedruckt und somit doppelt abgesandt hatte, wobei nur die letzte Seite des zweiten Ausdrucks unterschrieben war. Beide Fehler begründeten jedoch im konkreten Fall kein Verschulden, denn sie hätten sich unter normalen Umständen nicht ausgewirkt. Bei normaler Übertragungsgeschwindigkeit wäre das Konvolut noch insgesamt rechtzeitig übermittelt worden.
2. Einige Bundesländer fördern die Niederlassung von Hausärzten im ländlichen Raum durch finanzielle Anreize im Rahmen der Facharztausbildung (sog. Facharztstipendium). Die Teilnehmer erklären, sich zum Facharzt ausbilden und nach Abschluss der Ausbildung für eine gewisse Zeit im Land als Hausarzt niederlassen und praktizieren zu wollen, und erhalten "dafür" einen Geldbetrag. Schließen sie die Ausbildung nicht ab oder halten sie ihre Niederlassungszusage nicht (vollständig) ein, müssen sie den Förderbetrag in voller Höhe zurückzahlen. Sind die erhaltenen Zahlungen steuerbar?
Dies hat der BFH im konkreten Fall verneint. Der Leitsatz bleibt aber offen und die Lösung hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab:
a) Der BFH stellt zunächst fest, dass die Zahlung weder ein zusätzliches Entgelt für die Ausbildung zum Facharzt (§ 19 EStG) noch eine (erste) Einnahme aus der zukünftigen selbstständigen Tätigkeit als niedergelassener Arzt sei. Zwar ist der angehende Facharzt im Rahmen der Ausbildung angestellt und erzielt Einnahmen aus § 19 EStG. Das Facharztstipendium wird jedoch nicht "für" diese Tätigkeit gezahlt. Ein hinreichender wirtschaftlicher Zusammenhang fehlt auch zu der noch nicht begonnenen freiberuflichen Tätigkeit als niedergelassener Arzt. Nach dieser Einordnung verbleibt nur der Steuertatbestand des § 22 Nr. 3 EStG.
b) Insofern erweitert das Besprechungsurteil zwar nicht den abstrakten Formelkanon der Rechtsprechung. Aber der Tatbestand wird in der Rechtsprechung ohnehin kasuistisch ausgeformt, sodass jeder entschiedene Fall zumindest einen Mosaikstein hinzufügt. Entscheidend stellt d...