Dr. Hendrik Vater, Elena Bail
Die betriebliche Praxis zeigt, dass Unternehmen beim Working Capital Management vor zahlreichen Herausforderungen stehen. Diese bestehen in
- nicht adressierten Zielkonflikten zwischen den beteiligten Unternehmensbereichen,
- fehlendem Bewusstsein für die Wichtigkeit von Working Capital bzw. Liquidität,
- häufig nicht vollständig definierten Zuständigkeiten sowie
- einem rein situativen Working Capital Aktionismus.
Zielkonflikte müssen addressiert werden
Insbesondere der Adressierung und Lösung der Zielkonflikte kommt eine wesentliche Bedeutung zu, um eine erfolgreiche und nachhaltige Optimierung zu erreichen. Klassische Zielkonflikte zwischen einzelnen Unternehmensbereichen und dem Working Capital Management finden sich regelmäßig zwischen Bilanz- und GuV-Wirkung sowie in den Bereichen Vertrieb, Kredit & Inkasso, Produktion, Logistik und Transport sowie dem Einkauf.
Zielkonflikte im Vertrieb
Der Vertrieb verfolgt grundsätzlich das Ziel, möglichst viele und möglichst große Kundenaufträge zu akquirieren. Häufig ist der Fokus auf einen schnellen und großvolumigen Absatz gerichtet. Aspekte des Working Capital wie Kundenbonität, Zahlungsziele und tatsächlicher Zahlungseingang sind dagegen vielfach zweitrangig. Da diese jedoch für den Verhandlungspartner meist eher interessant sind, werden Aspekte des Working Capital schnell zum Spielball im Verhandlungspoker. Es gilt daher sicherzustellen, dass die Ziele des Vertriebs mit den Zielen des Working Capital Managements im Einklang stehen. In gleicher Weise ist der Vertrieb an einem hohen Servicelevel, d. h. ausreichender Verfügbarkeit der Produkte zur Absicherung des Umsatzes und weniger an der Minimierung der Bestände interessiert. Working Capital Top-Performer schaffen durch ihre Geschäftsprozessgestaltung hohe Verfügbarkeiten bei gleichzeitig niedrigen Beständen (Quadrant A in Abb. 8).
Zielkonflikte in der Produktion
Die Produktion verfolgt in der Regel das Ziel eines reibungslosen Produktionsablaufs mit möglichst hohen Stückzahlen. Dies erfordert, vergleichsweise hohe Sicherheitsbestände und Lagerbestände an Halb- und Fertigprodukten vorzuhalten. Aus der Perspektive des Working Capital Managements sind dagegen vielmehr effiziente Prozessabläufe mit klarem Schnittstellenmanagement sicherzustellen, um so geringere Vorratsbestände zu erreichen. Ziel des Working Capital Managements ist eine möglichst starke Reduzierung der Bestände.
Abb. 8: Trade-off zwischen Warenverfügbarkeit und Bestandshöhe
Zielkonflikte in der Logistik
Aus Sicht der Logistik und des Transportwesens ist es vorrangiges Ziel, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe einerseits und Halb- oder Fertigprodukte andererseits so schnell und sicher sowie so kostengünstig wie möglich an den benötigten unternehmensinternen Einsatzort zu bringen. Die Bereiche Logistik und Transportwesen haben daher ein Interesse an einem reibungslosen Logistikprozessablauf. Dieser wird erleichtert durch möglichst hohe Sicherheitsbestände, Puffer und optimierte Transporte, während aus Sicht des Working Capital Managements möglichst passgenaue Losgrößen ohne vorhergehende Lagerungen von Interesse sind.
Zielkonflikte im Einkauf
Zielkonflikte finden sich auch im Bereich Procurement (Einkauf). Primäres Bereichsziel des Einkaufs ist die Erzielung möglichst niedriger Beschaffungskosten. Häufig ist der Einkauf daher eher an einer schnellen Zahlung als an möglichst langen Zahlungszielen interessiert. Ähnliches gilt mit Blick auf lange Transportwege oder hohe einmalige Bestellmengen. Aspekte des Working Capital Managements wie lange Zahlungsziele und minimale Bestände stehen dem entgegen. Aus diesen Gründen sollte daher auch im Bereich Einkauf auf eine ausgewogene Berücksichtigung der Working Capital-Ziele geachtet werden.
Abb. 9: Fehlsteuerung durch Ertragsoptimierung in den Abteilungssilos
Komplexe Unternehmensstrukturen, divergierende Zielvorgaben für einzelne Bereiche sowie dezentrale Entscheidungsbefugnisse erschweren häufig ein nachhaltig erfolgreiches Working Capital Management zusätzlich.
Strategische Aspekte müssen bewertet werden
Das Management von Zielkonflikten betrifft indes nicht allein einzelne Unternehmens- und Zentralbereiche, sondern die Unternehmensstrategie als solche. Abhängig von Branche und Wettbewerbsintensität ist zu entscheiden, welche Strategie das Unternehmen hinsichtlich Produktion und Vertrieb verfolgen soll. So kann die Produktabsatzstrategie grundsätzlich auftrags- oder lagerorientiert ausgelegt sein. Bei einer auftragsorientierten Absatzstrategie werden Produkte erst produziert, sofern ein entsprechender Kundenauftrag vorliegt. Produktvariationen werden zu einem möglichst späten Produktionszeitpunkt vorgenommen. Damit können Bestandhaltungen in den Bereichen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe einerseits und Halb- oder Fertigprodukte andererseits vermieden bzw. zumindest reduziert werden. Andere Aspekte betreffen die Auswahl akzeptierter Zahlungsinstrumente bzw. die Gestaltung der Lieferantenbasis. Insgesamt ist daher bereits bei ...