3.3.1 Prozessziel

Lieferanten sind Kreditgeber

"Ein erfolgreiches Verbindlichkeitenmanagement greift in vielen Punkten auf "umgekehrte" Empfehlungen des Forderungsmanagements zurück,"[1] da primär ein späterer Auszahlungszeitpunkt durch prozessverlängernde Vereinbarungen angestrebt wird. Viele Optimierungsmaßnahmen belasten dabei den Lieferanten und sollten mit ihm abgestimmt sein, denn: Lieferanten sind Kreditgeber. Über die Ausreichung eines Zahlungsziels gewähren sie ihrem Kunden einen definierten Zeitraum bis zur Bezahlung der ausstehenden Rechnung, obwohl Lieferung oder Leistung bereits erbracht wurden. Zwar strebt man im Verbindlichkeitenprozess an, diesen Kredit so lange wie möglich auszuweiten. Dies sollte jedoch nicht dazu führen, dass sich Optimierungsmaßnahmen allein darauf konzentrieren, Zahlungsziele zu maximieren oder auch bewusst verspätet zu zahlen. Dies wäre weder ein fairer noch ganzheitlich-vollständiger Ansatz. Optimales Verbindlichkeitsmanagement bietet weitere Aspekte und Möglichkeiten, den Purchase-to-Pay-Prozess und damit das Working Capital Management zu verbessern. Der Fokus sollte auf Maßnahmen liegen, die zu Win-Win-Situationen führen, in denen die Lieferanten für die zusätzliche Vorfinanzierung anderweitige Vorteile, z. B. zur Reduktion ihres Vorratsbestands, erhalten.

[1] Bail/Schneider, 2013, S. 271.

3.3.2 Prozessdarstellung

Der Purchase-to-Pay-Prozess besteht wie der Forecast-to-Fulfill- und der Order-to-Cash-Prozess aus Teilprozessen (s. Abb. 15). Ansatzpunkte für Optimierungen finden sich entlang der gesamten Prozesskette, von der Auftragserteilung über den Rechnungseingang und die Geschäftsbedingungen hin zum eigentlichen Zahlungsverhalten und dem Geldabfluss. Der Überblick über den Gesamtprozess bzw. die Teilprozessschritte hilft dabei, wesentliche Aspekte ihrem zeitlichen Verlauf entsprechend zu identifizieren und an die jeweiligen Prozessbeteiligten zu adressieren. Auch werden Abhängigkeiten zwischen den Prozessschritten aufgedeckt, die beim Ableiten von Optimierungsmaßnahmen zu berücksichtigen sind.

Abb. 15: Purchase-to-Pay-Teilprozessschritte[1]

Prozessbegleitende oder -erklärende Elemente wie z. B. Zielvereinbarungen, Berichtswege und -wesen, Dokumentationen, die technische Arbeitsausstattung oder die Rollen- und Kompetenzverteilung, etc. müssen benutzer- und situationsgerecht ausgearbeitet sein.

[1] Quelle: Ernst & Young, 2013a.

3.3.3 Optimierungsmöglichkeiten

Zu jedem Teilprozess gibt es spezielle Optimierungsmöglichkeiten.

Segmentierung, Reduzierung und Harmonisierung des Lieferantenportfolios

Die bei Beginn der Zusammenarbeit bzw. bei Auftragserteilung mit den Lieferanten ausverhandelten Bedingungen haben langfristige und direkte Auswirkungen auf den Kapitalabfluss aus dem Unternehmen. Um die eigene Verhandlungsposition und -strategie festzulegen sowie den mit dem Lieferantenmanagement verbundenen Aufwand möglichst effizient zu gestalten, empfiehlt es sich daher, Lieferanten zu segmentieren und zu clustern. Mit besonders wichtigen Lieferanten sind intensivere Beziehungen zu pflegen sowie individuellere Konditionen zu vereinbaren als mit weniger bedeutenden bzw. leicht ersetzbaren. Die Segmentierung der Lieferanten sollte sich vornehmlich an ihrer strategischen Relevanz orientieren, d. h. dem potenziellen Schadensausmaß im Falle einer Unterbrechung oder eines Abrisses des Lieferverhältnisses. Als weitere Dimension bietet sich die Einteilung der Lieferanten nach Produkt- oder Servicegruppen an. Hierdurch werden eindeutig vergleichbare Lieferantengruppen gebildet, für welche standardisierte Konditionen und Servicelevels angelegt werden können. "Gleichzeitig zeigt sich, ob das Lieferantenportfolio innerhalb einer Gruppe eine angemessene Größe hat, also die Anzahl der Lieferanten gerechtfertigt ist."[1] Eine Konzentration auf wenige Anbieter stärkt oftmals über höhere Bezugsmengen die eigene Verhandlungsposition und reduziert Komplexität, darf umgekehrt jedoch nicht zu Abhängigkeiten führen.

Eine effiziente Bearbeitung von Eingangsrechnungen ist die Voraussetzung für ein verlässliches Zahlungsverhalten. Gleichzeitig ist die Rechnungsprüfung jedoch auch der Schlüssel zur Vermeidung ungerechtfertigter bzw. zu früher Zahlungen (z. B. Identifikation ungerechtfertigter Rechnungspositionen oder Bestimmung des Zahlungsziels auf Basis des Rechnungseingangsdatums anstatt des Ausstellungsdatums).

In der Praxis zeigt sich in den letzten Jahren, dass es zu Schwierigkeiten kommen kann, sofern Unternehmen einzelne Prozessbestandteile von Rechnungseingang und -bearbeitung in Shared Service Center verlagert haben; dies gilt insbesondere in Fällen, in denen die betroffenen Prozessschritte ins Ausland verlagert wurden.

Offizielle und "versteckte" Kredittage vereinbart über Geschäfts­bedingungen

Im Teilprozess Geschäftsbedingungen liegt der Schwerpunkt üblicherweise auf der optimalen Gestaltung der Zahlungsziele, welche keinesfalls durch Preiszugeständnisse "erkauft" werden sollten. Es ist zu berücksichtigen, dass Zahlungsziele aus direkten Kredittagen, d. h. gemäß dem Wor...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge