Prof. Dr. Joachim S. Tanski
4.1 Zeitwerte in den IFRS
Rz. 112
Auch in den International Financial Reporting Standards (IFRS) spielen Zeitwerte als Ergänzung zu historischen Anschaffungs- oder Herstellungskosten eine bedeutende Rolle. Das Rahmenkonzept von 2018 gibt hierzu grundlegende Hinweise in CF 6.1 ff. Zu den Zeitwerten (current value) zählen danach
- Fair Value
- Nutzungswert (value in use) und Erfüllungsbetrag(fulfilment value)
- Wiederbeschaffungskosten (current cost)
Rz. 113
Im Gegensatz zum vorherigen Rahmenkonzept hat man jetzt die Darstellung des Bewertungskonzepts an die existierenden Standards angepasst. Besonders ist dies hinsichtlich des Fair Value (in der deutschen Übersetzung: beizulegender Zeitwert) bemerkenswert, der sowohl in den Standards als auch in der Diskussion über die internationale Rechnungslegung eine große Bedeutung hat und dem mit dem IFRS 13 bereits seit 2011 ein eigener Standard gewidmet ist.
Rz. 114
Auch wenn sich Definitionen im Rahmenkonzept und in den Standards wiederholen, so sind sie doch nicht immer identisch, wie beispielsweise der Herstellungskostenbegriff in IAS 2 (Vorräte) und IAS 16 (Sachanlagen). Auch bei den Zeitwerten der IFRS ist deshalb kontextbezogenen auf den anzuwendenden Standard abzustellen. Auf jeden Fall ist zu beachten, dass die Ausführungen im Rahmenkonzept unter dem Rang eines Standards stehen, d. h. die Festlegungen in einem Standard sind immer vorrangig zu beachten (SP1.1).
4.2 Die zentralen Zeitwerte in den IFRS
4.2.1 Fair Value
Rz. 115
Der Fair Value ist der wohl am meisten diskutierte Begriff bzw. Wertansatz in der angloamerikanisch geprägten Rechnungslegung. Während für die Befürworter mit diesem Wert für den Bilanzleser ein großer Sprung zu einer besseren, informationshaltigeren Berichterstattung der Unternehmen erfolgt, sehen die Kritiker in diesem Wert eine Minderung der Aussagefähigkeit von Jahresabschlüssen und vor allem eine Abnahme der gebotenen Verlässlichkeit. Tatsächlich gibt es bis heute keinen wissenschaftlich fundierten Beweis für eine hohe oder niedrige Aussagekraft des Fair Value. Bisherige Studien sind häufig zwiespältig oder verneinen den erwarteten höheren Nutzen, während nur wenige Studien für den Fair Value sprechen. Befürworter und Kritiker des Fair Value stehen sich teilweise feindlich wie in einem "Religionskrieg" gegenüber. Tatsache ist aber, dass die Fair-Value-Bewertung im Jahresabschluss zu einer sehr hohen Volatilität der Erfolgsdarstellung führen kann, welche bei Finanzdienstleistern dramatisch höher als in Industrieunternehmen ist; dies ist insbesondere bei Bilanzanalysen zu berücksichtigen und entspricht somit der wirtschaftlich teilweise sehr volatilen Entwicklung und Veränderung von Erwartungen der Marktteilnehmer.
Rz. 116
Da der Fair Value (in der deutschen Übersetzung: beizulegender Zeitwert) ist in IFRS 13.9 wie folgt definiert: "In diesem IFRS wird der beizulegende Zeitwert als der Preis definiert, der in einem geordneten Geschäftsvorfall zwischen Marktteilnehmern am Bemessungsstichtag für den Verkauf eines Vermögenswerts eingenommen bzw. für die Übertragung einer Schuld gezahlt würde." Die Ermittlung eines Fair Values besteht also in der Schätzung des Preises, zu dem unter aktuellen Marktbedingungen am Bemessungsstichtag ein geordneter Geschäftsvorfall zwischen Marktteilnehmern stattfinden würde, im Zuge dessen der Vermögenswert verkauft oder die Schuld übertragen würde. Dass es sich bei diesem Wert häufig nur um eine Schätzung handeln kann, ergibt sich aus der Tatsache, dass der zu bewertende Vermögensgegenstand eben nicht an einem Markt verkauft werden soll.
Mit dieser neuen Definition hat sich das IASB in die simple Definition eines Marktwertes geflüchtet, nachdem die alte Definition als offensichtlich realitätsfern erkannt wurde. Es wäre äußerst sinnvoll gewesen, mit Einführung der neuen Definition den nun (noch mehr) irreführenden Begriff "Fair Value" zu streichen.
Rz. 117
Nach der alten (aber letztlich weiterhin auch noch gültigen) Definition ist der Fair Value der Betrag, zu dem ein Vermögenswert zwischen
- sachverständigen,
- vertragswilligen und
- voneinander unabhängigen Geschäftspartnern
- getauscht werden könnte.
Sachverständig: Die Geschäftspartner haben dann diese Eigenschaft, wenn sie über alle für eine Transaktion benötigten Informationen verfügen. Dazu gehören u. a. Kenntnisse über alle Merkmale des Transaktionsgegenstands (z. B. Leistungsdaten, Einsatzfähigkeit, Mängel) und alles Wissen über den Markt (z. B. Vergleichspreise für vergleichbare Güter, Konditionen).
Vertragswillig: Vertragswilligkeit liegt vor, wenn Geschäftspartner weder zu einer Transaktion getrieben oder gedrängt (z. B. bei Notverkäufen zur Liquiditätsbeschaffung) noch hinsichtlich der Transaktion gehemmt sind (z. B. weil ein besseres Angebot erwartet wird oder weil man als Verkäufer den Prei...