Leitsatz
1. Wurden in der Bundesrepublik Deutschland sichergestellte in das Zollgebiet der Union geschmuggelte Zigaretten über einen bestimmten anderen Mitgliedstaat in das deutsche Steuergebiet verbracht, hat die deutsche Zollverwaltung neben dem auf die Tabakwaren entfallenden Zoll und der Tabaksteuer auch die Einfuhrumsatzsteuer festzusetzen, falls die Zollschuld weniger als 5.000 EUR beträgt.
2. In diesem Fall ist die deutsche Einfuhrumsatzsteuer erst nach dem unzulässigen Verbringen der Tabakwaren in das deutsche Steuergebiet entstanden mit der Folge, dass die entstandene Tabaksteuer der Bemessungsgrundlage für die Einfuhrumsatzsteuer hinzuzurechnen ist.
3. Zur Frage, wer als "Empfänger" unzulässig in das deutsche Steuergebiet verbrachter Tabakwaren anzusehen ist.
Normenkette
§ 19 Satz 2 TabStG, Art. 202, Art. 215 Abs. 4 ZK, § 11 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 21 Abs. 2 UStG, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 RL 92/12/EWG
Sachverhalt
Zigaretten ohne Steuerzeichen waren in einem Fahrzeug und bei der anschließenden Durchsuchung der Wohnung des Fahrers gefunden worden. Dieser gab an, er habe die Zigaretten von einer Person mit dem Auftrag erhalten, diese mit seinem Kraftfahrzeug zu einem bestimmten Parkplatz zu bringen, das Fahrzeug dort stehen und den Fahrzeugschlüssel auf dem Vorderreifen liegen zu lassen. Er habe den Transport ausgeführt, weil er im Fall der Weigerung Repressalien befürchtet habe. Das Hauptzollamt hat die auf die Zigaretten entfallenden Einfuhrabgaben gegen den Fahrer festgesetzt.
Entscheidung
Der BFH hat die Klageabweisung des FG (FG Bremen, Urteil vom 23.3.2011, 4 K 136/08 (2)) bestätigt.
Hinweis
1. Eine Einfuhrzollschuld entsteht, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union verbracht wird (Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a ZK). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Weisen Zigarettenschachteln keine Steuerzeichen auf, kann im Allgemeinen daraus geschlossen werden, dass sie aus einem Drittland in das Zollgebiet der Union verbracht worden sind, ohne dass sie zu einer Zollstelle befördert und dort gestellt worden sind (Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 2, Art. 38 Abs. 1, Art. 40 ZK).
Auch wenn die Abgabeschuld in einem anderen Drittland entstanden ist, jedoch in Deutschland ihre Entstehung festgestellt wird und sie weniger als 5.000 EUR beträgt, kann sie von den deutschen Behörden erhoben werden (Art. 217 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 215 Abs. 3 ZK).
Zollschuldner ist, wer die Ware erworben oder im Besitz hat, obwohl er in dem Zeitpunkt des Erwerbs oder Erhalts der Ware wusste oder vernünftigerweise hätten wissen müssen, dass sie vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht worden ist (Art. 202 Abs. 3 Anstrich 3 ZK).
2. Die Befugnis zur Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer folgt grundsätzlich der Befugnis zur Erhebung des Zolls (vgl. § 21 Abs. 2 UStG und EuGH, Urteil vom 29.4.2010, C‐230/08, Slg. 2010, I‐3799, BFH/NV 2010, 1229).
3. Entsprechendes gilt für die Tabaksteuer. Diese entsteht nach § 19 Satz 1 TabStG (in der bis zum 31.3.2010 geltenden Fassung), wenn Zigaretten unzulässigerweise entgegen § 12 Abs. 1 TabStG, d.h. ohne Verwendung von Steuerzeichen, aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats zu gewerblichen Zwecken in das deutsche Steuergebiet verbracht worden sind.
4. Ist aber der Fahrer auch Steuerschuldner für die Tabaksteuer? Steuerschuldner ist nach § 19 Satz 2 TabStG der Empfänger von Tabakwaren, sobald er Besitz an ihnen erlangt hat. Als "Empfänger" im Sinne dieser Vorschrift ist derjenige anzusehen, der im Steuergebiet Tabakwaren in Empfang nimmt, indem er Sachherrschaft an ihnen begründet (Art. 9 Abs. 1 RL 92/12/EWG und BFH, Urteil vom 10.10.2007, VII R 49/06, BFH/NV 2008, 499). Denn bei der Bestimmung des verbrauchsteuerrechtlichen Abgabenschuldners geht es darum, denjenigen in Anspruch nehmen zu können, in dessen unmittelbarer Obhut eine Ware sich befindet und der deshalb anhand objektiver Umstände leicht ausgemacht werden kann. Allerdings hat der BGH als "Empfänger" nur angesehen, wer den Besitz schon im Rahmen des Verbringungs‐ bzw. Versendungsvorgangs erlangt hat, somit nicht denjenigen, in dessen Besitz die Tabakwaren erst gelangen, nachdem der Verbringungs‐ bzw. Versendungsvorgang bereits beendet worden ist (BGH, Urteil vom 2.2.2010, 1 StR 635/09, BFH/NV 2010, 1405). Der BFH deutet Zweifel an, ob das so zutrifft und mit der Richtlinie vereinbar ist. Er musste es nicht entscheiden: denn die Zigaretten waren noch nicht – wie es der BGH formuliert – "in Sicherheit gebracht" worden und "zur Ruhe gekommen", als der in Anspruch genommene Fahrer im Besprechungsfall Besitz an ihnen erlangte.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 22.5.2012 – VII R 50/11