Prof. Dr. Lutz Richter, Prof. Dr. Stephan Meyering
3.1 Einordnung
Rz. 26
Ausgangspunkt für die steuerliche Gewinnermittlung von Kaufleuten ist § 5 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz EStG. Demgemäß ist zur Ermittlung des Gewinns für den Schluss eines Wirtschaftsjahrs das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) auszuweisende Betriebsvermögen anzusetzen. Anwendung findet diese Norm auf Gewerbetreibende, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu erstellen oder dieser Erstellung freiwillig nachkommen.
Der Verweis auf die handelsrechtlichen GoB wird als der (materielle) Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die steuerliche Gewinnermittlung bezeichnet. Allerdings enthält das Einkommensteuergesetz eigene ergänzende Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften. Als Bilanzierungsvorbehalt werden dabei die besonderen steuerlichen Bilanzierungsvorschriften in § 5 Abs. 2-5 EStG bezeichnet. Der sogenannte Bewertungsvorbehalt ist in § 5 Abs. 6 EStG kodifiziert.
3.2 Aktivierung von Zinsaufwendungen
3.2.1 Zinsen als Anschaffungskosten
Rz. 27
Durch den Verweis von H 6.2 EStR 2012 (Stichwort "Anschaffungskosten") auf § 255 Abs. 1 HGB hinsichtlich Begriff und Umfang der Anschaffungskosten resultiert eine begriffliche Übereinstimmung des Anschaffungskostenbegriffs in Handelsbilanz und steuerlicher Gewinnermittlung. Deswegen verkörpern auch Zinsaufwendungen im Steuerrecht grundsätzlich keine Anschaffungs(neben)kosten. Sie zählen als Kosten der Geldbeschaffung zu den Betriebsausgaben i. S. v. § 4 Abs. 4 EStG und sind steuerlich sofort abzugsfähig.
3.2.2 Zinsen als Herstellungskosten
Rz. 28
Die "Zinsen für Fremdkapital" i. S. v. § 255 Abs. 3 HGB erlangen über den Verweis in R 6.3 Abs. 5 EStR 2012 für steuerliche Zwecke sowohl im oben bereits beschriebenen sachlichen als auch im zeitlichen Umfang Geltung, sodass eine begriffliche Deckungsgleichheit zu konstatieren ist. Wurde das Aktivierungswahlrecht für Fremdkapitalzinsen nach § 255 Abs. 3 Satz 2 HGB ausgeübt, so sind jene nach Ansicht der Finanzverwaltung via § 5 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz EStG auch in der steuerlichen Gewinnermittlung in den Herstellungskostenumfang mit einzubeziehen (R 6.3 Abs. 5 Satz 2 EStR 2012).
Rz. 29
Vor Ergehen des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) bildete der Sachverhalt der Aktivierung von Fremdkapitalzinsen innerhalb der Herstellungskosten einen Anwendungsfall der umgekehrten Maßgeblichkeit, d. h. die Aktivierung von Fremdkapitalzinsen wurde steuerlich akzeptiert, falls handelsbilanziell die Bewertungshilfe in Anspruch genommen wurde. Aufgrund der Abschaffung der umgekehrten Maßgeblichkeit durch das BilMoG verfolgt die Finanzverwaltung nunmehr in R 6.3 Abs. 5 EStR 2012 ebenfalls die Abkehr von jener. Jedoch ist der Verweis auf § 5 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz EStG in diesem Zusammenhang verfehlt, da hiernach lediglich der steuerliche Bilanzausweis nach den GoB zu erfolgen hat. Die handelsbilanzielle Aktivierung von Fremdkapitalzinsen ist aufgrund der Fiktion des § 255 Abs. 3 Satz 2 HGB und dessen Qualifikation als Bewertungshilfe nicht GoB-konform und kann nicht für die steuerliche Gewinnermittlung maßgeblich sein. Darüber hinaus bleibt unklar, warum die Finanzverwaltung im Zuge des BilMoG den Paradigmenwechsel vom Bereich der umgekehrten Maßgeblichkeit hin zur materiellen Maßgeblichkeit vollzog. Insofern müsste sachgerecht das Aktivierungswahlrecht von Fremdkapitalzinsen in der Handelsbilanz sowie im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung unterschiedlich mit der Konsequenz der Möglichkeit einer eigenständigen Steuerbilanzpolitik ausgeübt werden können.
Rz. 30
Ein Unternehmen wird aus rein steuerlichen Gründen regelmäßig kein Interesse an der Inanspruchnahme des Wahlrechts besitzen, weil sich die sofortige Aufwandserfassung im Hinblick auf Steuerbarwertüberlegungen im Vergleich zur Aktivierung und (planmäßigen) Abschreibung (des Wirtschaftsguts) in den Folgeperioden als günstiger erweist. Eine (steuerliche) Aktivierung mit der Folge höherer Herstellungskosten kann jedoch in Sonderfällen geboten sein, wie bspw. zur Generierung von Investitionszulagen (§ 5 InvZulG 2010) oder zur besseren Nutzung der steuerfreien Rücklage gem. § 6b EStG.
Rz. 31
Die in Rz. 17 bereits angedeutete Problema...