Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
Schuldzinsen für die Finanzierung nachträglicher Anschaffungskosten einer aufgegebenen Beteiligung i.S.v. § 17 EStG sind auch dann Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, wenn der Zeitpunkt der Aufgabe vor dem Veranlagungszeitraum 1999 lag.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 1, § 17 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG a.F.
Sachverhalt
Die Kläger sind Eheleute. Der Kläger war zu 99 % am Stammkapital einer GmbH beteiligt, die Klägerin zu 1 %. Die GmbH fiel 1995 in Konkurs. Zuvor hatte sich der Kläger selbstschuldnerisch und zeitlich unbegrenzt für die Schulden der GmbH bis zu einer Höhe von annähernd 350.000 DM verbürgt. Die Bürgschaft hatte unstrittig eigenkapitalersetzenden Charakter. Anfang 1998 nahm die Bank den Kläger aus dieser Bürgschaft in Anspruch, sodass ihm nachträgliche Anschaffungskosten der Beteiligung in Höhe der Verbindlichkeiten der GmbH gegenüber der Bank entstanden. Bereits 1995 war die GmbH vermögenslos und eine Auskehrung von Restvermögen ausgeschlossen. Um seine Bürgschaftsverpflichtung erfüllen zu können, nahm der Kläger ein Darlehen auf.
Die Kläger erklärten die hierfür entrichteten Zinsen in ihrer ESt-Erklärung für 2001 als Betriebsausgaben, die sie als Auflösungsverlust gem. § 17 EStG berücksichtigt wissen wollten.
Das FA folgte dem nicht. Indes hatte die Klage vor dem FG Erfolg (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.2.2011, 5 K 1503/10, Haufe-Index 2689928).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück. Zu Recht habe das FG die Zinsen auf das Darlehen der Bank, soweit sie im Streitjahr anteilig auf die Finanzierung der nachträglichen Anschaffungskosten der GmbH-Beteiligung – in Gestalt der Inanspruchnahme des Klägers als selbstschuldnerischen Bürgen für die Schulden der GmbH – entfielen, als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen berücksichtigt. Wegen der Begründung im Einzelnen kann auf die Praxis-Hinweise verwiesen werden.
Hinweis
1. Ab dem VZ 1999 hat der Gesetzgeber die Systematik des § 17 EStG umfassend verändert, indem er die maßgebliche Beteiligungsgrenze zunächst von 25 % auf 10 % und später auf 1 % abgesenkt hat. Der BFH nennt das etwas poetisch einen gesetzlichen "Paradigmenwechsel". Schon mit den Urteilen vom 16.3.2010, VIII R 20/08, BFH/NV 2010, 1697, BFHE 229, 151 und VIII R 36/07, BFH/NV 2010, 1795 hatte der BFH entschieden, dass nachlaufende Schuldzinsen aus der Finanzierung des Beteiligungserwerbs, die nicht durch den Veräußerungserlös oder die Verwertung zurückbehaltener Wirtschaftsgüter beglichen werden können, ab dem VZ 1999 grundsätzlich als nachträgliche Werbungskosten bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen abzuziehen sind.
2. Offen war bislang aber noch, ob solche Schuldzinsen auch dann als nachträgliche Werbungskosten abziehbar sind, wenn der Veräußerungs- oder Aufgabezeitpunkt i.S.v. § 17 EStG vor dem VZ 1999 lag.
3. Dazu hat nun der BFH entschieden: Maßgeblich kommt es auf die Verhältnisse des Streitjahres an, in dem die strittigen Schuldzinsen anfallen, d.h. darauf, ob der Steuerpflichtige im Streitjahr Zinsen gezahlt hat, die auf einer Darlehensverpflichtung beruhen, die entscheidend durch seine Beteiligung an der GmbH ausgelöst war.
aa) Der Veranlassungszusammenhang zwischen der Beteiligung an der GmbH und der zu ihrer Finanzierung eingegangenen Darlehensverbindlichkeit erstreckt sich auch auf die geleisteten Schuldzinsen.
Er entfällt erst, wenn nachträglich ein Ereignis eintritt, das den ursprünglich bestehenden Zusammenhang überlagert, insbesondere wenn eine neue Veranlassung durch die Erzielung anderer Einkünfte begründet wird.
bb) Die gegensätzliche ältere Rechtsprechung, nach der nachlaufende Schuldzinsen bis einschließlich 1998 steuerrechtlich nicht abziehbar waren (vgl. zuletzt BFH, Urteil vom 27.3.2007, VIII R 64/05, BFH/NV 2007, 1568, BFHE 217, 497) ist damit endgültig aufgegeben, jedenfalls für die Fälle der Veräußerung oder Aufgabe einer fremdfinanzierten, durchgängig steuerverstrickten Beteiligung.
Deshalb kommt es für den Abzug von Schuldzinsen als nachträgliche Werbungskosten nicht darauf an, ob eine Veräußerung oder Aufgabe i.S.v. § 17 EStG vor oder nach 1999 stattgefunden hat.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 29.10.2013 – VIII R 13/11