Leitsatz
1. Ist die Zollschuld für eine Ware einmal entstanden, sind nachfolgende Handlungen oder Unterlassungen in Bezug auf diese Ware zollschuldrechtlich grundsätzlich unerheblich. Eine Zollschuld kann daher nicht mehr durch ein Entziehen einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus der zollamtlichen Überwachung entstehen, wenn bereits zuvor hinsichtlich der nämlichen Ware eine Zollschuld durch eine Pflichtverletzung entstanden ist.
2. Wird eine Nichtgemeinschaftsware, die sich in der vorübergehenden Verwahrung befindet, nach Ablauf der vorgeschriebenen Frist zur Überführung in ein Zollverfahren angemeldet, kann dies nur dann zur Heilung der in der Fristüberschreitung liegenden Verfehlung führen, wenn eine nicht nur formell ordnungsgemäße, sondern auch inhaltlich richtige Zollanmeldung abgegeben wird.
Normenkette
Art. 49 Abs. 1 Buchst. b ZK , Art. 203 Abs. 1 ZK , rt. 204 Abs. 1 Buchst. a ZK , AArt. 204 Abs. 2 ZK , Art. 859 Anstrich 3 ZKDVO
Sachverhalt
Drittlandsware war beim Eingang in das Zollgebiet in das externe Versandverfahren übergeführt und einem Zollbeteiligten zur vorübergehenden Verwahrung überlassen worden; er sollte für die Ware bis zum zwanzigsten Tag nach Abgabe der summarischen Anmeldung eine Zollanmeldung abgeben. Ein Abfertigungsbeamter beim Zollamt nahm hierfür später eine Versandanmeldung an, mit der die Ware in das externe Versandverfahren übergeführt wurde, um sie auszuführen.
Die Unterschrift des Hauptverpflichteten in der Versandanmeldung war jedoch gefälscht, der Versandschein wurde bei der Bestimmungsstelle nicht registriert und nicht abgefertigt. Die auf dem für die Abgangsstelle bestimmten Exemplar des Versandscheins vermerkte Registriernummer war falsch und die Unterschrift des angeblichen Beamten der griechischen Zollverwaltung, bei der die Ware angeblich durchgeführt worden war, war ebenfalls gefälscht.
Das HZA ging deshalb davon aus, dass die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen worden und der Zollbeamte hieran beteiligt gewesen sei, weil er eine unrichtige Versandanmeldung angenommen habe. Es setzte deshalb gegen ihn Zoll und Einfuhrumsatzsteuer fest.
Entscheidung
Der BFH hat den Abgabenbescheid aufgehoben. Eine Zollschuld durch ein Entziehen einer Ware aus der zollamtlichen Überwachung (Art. 203 Abs. 1 ZK) ist nicht entstanden, weil bereits zuvor hinsichtlich der Ware eine Zollschuld durch eine Pflichtverletzung (Art. 204 Abs. 1 Buchst. a ZK) entstanden ist. Für die Ware ist eine Zollschuld nämlich dadurch entstanden, dass diese nicht fristgerecht (vgl. Art. 49 Abs. 1 Buchst. b ZK) innerhalb von zwanzig Tagen ab dem Tag der Abgabe der summarischen Anmeldung zur Überführung in das externe Versandverfahren angemeldet worden ist. Diese Pflichtverletzung hat sich auch auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung ausgewirkt. Art. 859 ZKDVO kann daher insofern nicht angewandt werden.
Ist die Zollschuld einmal entstanden, sind nachfolgende Handlungen oder Unterlassungen – wie die des Abfertigungsbeamten – zollschuldrechtlich grundsätzlich nicht mehr (erneut) zollschuldbegründend. Zollschuldner ist folglich (nur) derjenige, dem die Ware überlassen worden war.
Hinweis
1. Die Tatbestände, bei deren Verwirklichung eine Zollschuld entsteht, sind im Wesentlichen in Art. 201 ff. ZK geregelt. Eine Zollschuld kann u.a. durch die Annahme einer Zollanmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr (Art. 201 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 2 ZK) entstehen. Wenn für die Ware bereits zuvor eine Zollschuld durch ein vorschriftswidriges Verbringen in das Zollgebiet der Gemeinschaft (Art. 202 Abs. 1 Buchst. a ZK) entstanden ist oder z.B. durch ein Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung (Art. 203 Abs. 1 ZK) oder eine Pflichtverletzung (Art. 204 Abs. 1 Buchst. a ZK), verdrängen diese Tatbestände den zeitlich nachfolgenden. Die Zollschuld entsteht also insofern nur einmal.
2. Die Voraussetzungen, unter denen die Abgabenschuld nach Art. 204 Abs. 1 ZK ausnahmsweise nicht entsteht, sind in Art. 859 ZKDVO – abschließend – geregelt (vgl. EuGH, Urteil vom 11.11.1999, Rs. C-48/98, EuGHE 1999, I-7877). Eine allgemeine, unspezifische Billigkeitsregelung kennt das gemeinschaftsrechtliche Zollrecht nicht. Im Besprechungsfall griff Art. 859 ZKDVO nicht ein, weil nicht alle notwendigen Förmlichkeiten erfüllt worden waren, um die Situation der Waren nach Unterlassen einer rechtzeitigen Zollanmeldung zu bereinigen (Art. 859 Anstrich 3 ZKDVO). Hierzu hätten nämlich die Folgen der Verfehlung beseitigt werden müssen. Durch Abgabe einer nur formell ordnungsgemäßen, inhaltlich aber unrichtigen Zollanmeldung konnte dies nicht geschehen. Da in der abgegebenen Anmeldung die Unterschrift des Hauptverpflichteten, also des Inhabers des gemeinschaftlichen Versandverfahrens (Art. 96 Abs. 1 Satz 1 ZK) und Garanten im Hinblick auf dessen ordnungsgemäße Durchführung gefälscht war, wurde die Verfehlung nicht geheilt.
3. Eine Versandanmeldung kann auch dann ordnungsgemäß sein – und deshalb geeignet, die Sit...