Kommentar
Im Rahmen der sogenannten Überschußeinkünfte sind ( § 2 Abs. 1 Nr. 4 - 7 EStG ) einkommensteuerrechtlich anzusetzende Einnahmen alle Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen und dem Steuerpflichtigen zufließen ( § 8 Abs. 1 EStG ). Zeitpunkt der Vereinnahmung ist im allgemeinen das Kalenderjahr des Zuflusses ( § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG ).
Einnahmen i. S. des § 8 Abs. 1 EStG setzen grundsätzlich einen Vermögenszuwachs , d. h. eine objektive Bereicherung des Steuerpflichtigen voraus. Sie sind im Rahmen der Einkunftsart Kapitalvermögen zugeflossen , sobald der Steuerpflichtige wirtschaftlich über sie verfügen kann. Das ist bei einer bloßen Ansammlung (sog. „Thesaurierung”) von Kapitalerträgen bei deren Schuldner im allgemeinen noch nicht der Fall.
Durch eine Gutschrift in den Büchern des Schuldners kommt ein Zufluß von Kapitalerträgen in Betracht, wenn damit zum Ausdruck gebracht wird, daß der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verwendung zur Verfügung steht . Es genügt eine Gutschrift des leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners, der den für die Zahlung vorgesehenen Betrag von seinem Vermögen so separiert, daß der Gläubiger den Betrag „ohne weiteres” abholen, abrufen oder verrechnen kann.
Wird Kapital aufgrund eines „Verwaltungsvertrags” an ein ausländisches Unternehmen überlassen, das damit Warentermingeschäfte in den USA durchführen will, wobei die vereinbarten „Renditen” dem Kapitalgeber gutgeschrieben werden sollen, ist ernstlich zweifelhaft, ob die erteilten Gutschriften zu einem Zufluß von Kapitalerträgen beim Anleger führen, wenn das hoch überschuldete Unternehmen die gutgeschriebenen Beträge nur aus den Einlagen der Kapitalgeber leisten könnte (sog. Schneeballsystem).
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 20.12.1994, VIII B 143/94
Hinweise:
Es handelt sich um die erste BFH-Entscheidung zu einem Problembereich von hohen Verlusten , die mehr als 50.000 deutsche Anleger bei Schneeballgeschäften der inzwischen liquidierten Vaduzer Firma Ambros erlitten haben. Der BFH hat damit im Gegensatz zur Vorinstanz, dem FG Düsseldorf (Beschluß v. 15. 8. 1994, EFG 1995 S. 30) die Aussetzung der Vollziehung von Einkommensteuer-Bescheiden ausgesprochen, soweit damit bloße Gutschriften der seit 1987 überschuldeten Firma Ambros als zugeflossene Einnahmen aus Kapitalvermögen bei den Anlegern behandelt wurden. Ebenso hatte schon das FG Baden-Württemberg – Außensenate Freiburg – mit dem ausführlich begründeten Beschluß v. 20. 10. 1994 (EFG 1995 S.74), den der BFH inzwischen bestätigt hat, entschieden.
Diese Entscheidungen sollten Anlaß sein, auch andere mit der Ambros-Pleite zusammenhängende einkommensteuerliche Fragen sorgfältig zu prüfen und sich nicht mit der bisherigen, verhältnismäßig pauschalen Beurteilung durch die Finanzverwaltung und manche Finanzgerichte zu begnügen. Es ist also zu empfehlen , die Besteuerung solcher Fälle nicht bestandskräftig werden zu lassen. Wie die Rechtsfragen endgültig entschieden werden, bleibt freilich abzuwarten.