Leitsatz
Hat die Finanzbehörde einen bei ihr gestellten, jedoch nicht näher begründeten Antrag auf AdV ohne weitere Sachprüfung abgelehnt, so ist für einen anschließenden, nunmehr aber mit Begründung versehenen Antrag auf AdV an das FG die Zugangsvoraussetzung nach § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO gleichwohl erfüllt (Anschluss an BFH, Beschluss vom 20.8.1998, VI B 157/97, BStBl II 1998, 744).
Normenkette
§ 69 Abs. 4 Satz 1 FGO, § 572 Abs. 3 ZPO
Sachverhalt
Im Anschluss an eine Außenprüfung änderte das FA, Antragsgegner und Beschwerdegegner, die ESt-Festsetzungen für 1996 bis 1998. Gleichzeitig mit den dagegen eingelegten Einsprüchen beantragte der ASt und Beschwerdeführer die Aussetzung der Vollziehung, ohne freilich insoweit eine Begründung abzugeben. Nach Ablehnung der AdV durch das FA als unzulässig beantragte der ASt beim FG eine AdV und reichte zur Begründung dieses Antrags nunmehr 1.701 Fotokopien ein.
Das FG lehnte den Antrag als unzulässig ab. Die Zugangsvoraussetzung nach § 69 Abs. 4 FGO sei deshalb nicht erfüllt, weil das FA den Antrag mangels Begründung zuvor nicht habe sachlich prüfen können. Sei bei Auswechslung der Begründung vor einem AdV-Antrag an das FG ein vorheriger erneuter Aussetzungsantrag an das FA erforderlich, so müsse dies erst recht nach Sinn und Zweck der Zugangsvoraussetzung gelten, wenn ein überhaupt nicht näher begründeter Antrag von der Behörde als unzulässig abgelehnt worden sei.
Entscheidung
Auf die vom FG zugelassene, vom ASt eingelegte Beschwerde hin, hob der BFH den ablehnenden Beschluss des FG auf und verwies das Verfahren, weil der Aussetzungsantrag lediglich aus formellen Gründen vom FG abgelehnt worden sei, zur – erstmaligen – Sachprüfung an das FG nach § 572 Abs. 3 ZPO zurück.
Der BFH schloss sich vollinhaltlich der bereits im Beschluss in BStBl II 1998, 744 vom VI. Senat des BFH gegebenen ausführlichen Begründung an, mit der eine einschränkende Auslegung des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO abgelehnt worden war. Es bestünden nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber eine "qualifizierte" Ablehnung durch das FA verlangt habe.
Prinzipiell habe das FG im Rahmen einer allerdings nur summarischen Prüfung von Amts wegen zu entscheiden. Der vorliegende Prozessstoff sei auszuschöpfen. Allerdings trete der das finanzgerichtliche Verfahren sonst beherrschende Untersuchungsgrundsatz gegenüber der Pflicht der Beteiligten zur Mitwirkung bei der Sachaufklärung im Interesse der Beschleunigung und mit Rücksicht auf die nur vorläufige Natur der zu treffenden Anordnungen zurück. Die summarische Prüfung erfolge aufgrund des Sachverhalts, wie er sich aus dem Vortrag der Beteiligten und aus der Aktenlage ergebe.
Der Streitfall sei auch nicht mit den vom BFH anders entschiedenen Fällen (vgl. BFH, Beschluss vom 13.12.1999, III B 15/99, BFH/NV 2000, 827) vergleichbar, in denen mit dem an das FG gerichteten AdV-Antrag ein völlig neuer Problembereich, der zuvor noch nicht Gegenstand der Prüfung durch die Finanzbehörde gewesen sei, unterbreitet worden sei, es mithin an der Identität der Verfahrensgegenstände gefehlt habe.
Hinweis
1. Nachdem etliche FG abweichend von dem im Leitsatz zitierten BFH-Beschluss die Zugangsvoraussetzung für einen an das FG gerichteten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) dann nicht als erfüllt angesehen haben, wenn der ASt im behördlichen Aussetzungsverfahren keine Begründung abgegeben hatte und deshalb der Antrag vom FA abgelehnt worden war, hat sich der BFH veranlasst gesehen, nochmals seine Rechtsprechung, der auch das Schrifttum ganz überwiegend folgt, ausdrücklich zu bestätigen.
2. Nachdem die Anfechtung von Steuerverwaltungsakten deren Vollziehung nicht hemmt (vgl. § 251 Abs. 1, § 361 AO;§ 69 Abs. 1 FGO), ist zum Ausgleich zur Sicherstellung eines nach Art. 19 Abs. 4 GG zu gewährleistenden effektiven Rechtsschutzes (dazu BVerfG, Beschluss vom 29.11.1996, 2 BvR 1157/93, BStBl II 1997, 415) die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes, vor allem in Gestalt der AdV, von Verfassungs wegen unerlässlich (BFH, Beschluss vom 12.5.2000, VI B 266/98, BStBl II 2000, 536).
3. Der Anspruch des Steuerpflichtigen auf effektiven Rechtsschutz ist darauf gerichtet, im Ergebnis rechtlich im Weg des vorläufigen Rechtsschutzes so gestellt zu werden, als hätte sein Rechtsbehelf in der Hauptsache aufschiebende Wirkung. Dieser Anspruch wird bereits durch die in Art. 19 Abs. 4 FGO geregelte, verfahrensrechtlich einschneidende Wirkung erzeugende Zugangsvoraussetzung erheblich eingeschränkt. Art. 19 Abs. 4 GG schließt zwar nicht aus, den Zugang zu den Gerichten von bestimmten verfahrensrechtlichen Voraussetzungen abhängig zu machen. Indes ist es den Gerichten versagt, die aus Art. 19 Abs. 4 GG gebotene Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch eine verschärfende Auslegung einer ohnedies den Zugang bereits einschränkenden Ausnahmevorschrift – wie § 69 Abs. 4 FGO – über den Wortlaut der Vorschrift hinaus zusätzlich im Weg einer Rechtsfortbildung einzuschränken. D...