Leitsatz
Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 der 6. EG-RL vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass er es den Mitgliedstaaten erlaubt, zum Zweck der Berechnung des Pro-rata-Satzes für den Abzug der Vorsteuern aus einem bestimmten Umsatz wie der Errichtung eines gemischt genutzten Gebäudes vorrangig einen anderen Aufteilungsschlüssel als den in Art. 19 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehenen Umsatzschlüssel vorzuschreiben, vorausgesetzt, die herangezogene Methode gewährleistet eine präzisere Bestimmung dieses Pro-rata-Satzes.
Normenkette
6. EG-RL Art. 17 Abs. 5, § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG
Sachverhalt
Die Klägerin errichtete ein Wohn- und Geschäftshaus, das sie nach Fertigstellung 2004 teils steuerfrei, teils steuerpflichtig vermietete. Die Klägerin begehrte im Streitjahr 2004 erfolglos die Aufteilung der das Gebäude betreffenden Vorsteuerbeträge nach dem Umsatzschlüssel. Die Klage hatte Erfolg. Das FG gab der Klage statt (FG Niedersachsen, Urteil 23.4.2009, 16 K 271/06, Haufe-Index 2187114, EFG 2009, 1790); die Klägerin könne sich auf das Unionsrecht berufen.
Entscheidung
Angesichts der in der RL selbst vorgesehenen Ausnahmen ist die Begründung, Ziel der Richtlinie seien einheitliche Pro-rata-Sätze, nicht gerade überzeugend. Jedenfalls ist Rz. 17 des EuGH-Urteils (s.o. 2.) hinsichtlich der Unvereinbarkeit der deutschen Regelung mit dem Unionsrecht deutlich. Für die Zukunft gilt: Der Flächenschlüssel für gemischt genutzte Gebäude wäre zulässig.
Hinweis
1. Zur Vorsteueraufteilung bei Verwendung von Unternehmensgegenständen für steuerpflichtige Umsätze mit und ohne Vorsteuerabzugsrecht sieht § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG i.d.F. des SteuerÄndG 2003 vor: "Eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, ist nur zulässig, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist." Ob das in dieser Allgemeinheit unionsrechtlich zulässig ist, weil das Unionsrecht (hier noch Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 1 der 6. EG-RL) grundsätzlich vom Umsatzschlüssel ausgeht und nur in Unterabs. 3 Ausnahmen vorsieht, die konkreter gefasst sind, war Gegenstand des Vorlagebeschlusses des BFH, Urteil vom 22. 7. 2010, V R 19/09, BFH/PR 2011, 30.
2. Die Antwort des EuGH: Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 1 der 6. EG-RL stellt für die Aufteilung auf einen Umsatzschlüssel ab. Grundsätzlich soll dadurch in allen Mitgliedstaaten der Pro-rata-Satz auf die gleiche Weise berechnet werden.
Unterabs. 3 enthält (nur) bezeichnete Ausnahmen, von denen nur Buchst. d auf den Umsatzschlüssel in Unterabs. 1 verweist ("… dem Steuerpflichtigen gestatten oder ihm vorschreiben, den Vorsteuerabzug nach der in Unterabsatz 1 vorgesehenen Regel bei allen Gegenständen und Dienstleistungen vorzunehmen, die für die dort genannten Umsätze verwendet wurden").
"Es verstieße daher gegen die 6. EG-RL, wenn ein Mitgliedstaat die Möglichkeit hätte, Rechtsvorschriften, wie die vom vorlegenden Gericht angeführten (also § 15 Abs. 4 UStG n.F.) zu erlassen, die allgemein von der Regelung der Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 1 und 2 sowie 19 Abs. 1 der 6. EG-RL abweichen." (Rz. 17 des EuGH-Urteils.)
Die anderen Ausnahmen – in Buchst. a bis d – gelten für bestimmte Fälle und dienen dem Ziel, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Tätigkeit des Steuerpflichtigen es den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, bei der Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs zu präziseren Ergebnissen zu gelangen. Zulässig ist daher für bestimmte Umsätze – wie die Errichtung eines gemischt genutzten Gebäudes – vorrangig eine andere Methode vorzusehen, wenn dabei die Systematik von Art. 17 Abs. 5 und der Grundsatz der steuerlichen Neutralität berücksichtigt wird.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 8.11.2012 – C-511/10BLC Baumarkt GmbH & CO KG