Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
1. Eine erzieherische Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ist – über die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten hinaus – auf die umfassende Schulung des menschlichen Charakters und die Bildung der Persönlichkeit im Ganzen gerichtet. Keine erzieherische Tätigkeit liegt demgegenüber vor, wenn eine im Rahmen ambulanter Eingliederungshilfe gewährte Unterstützung für behinderte oder erkrankte Menschen darauf zielt, gemeinsam erkannte, individuelle Defizite einer Person auszugleichen.
2. Eine Diplomsozialarbeiterin, die im Rahmen der ambulanten Eingliederungshilfe behinderte und kranke Menschen bei einer selbstbestimmten Lebensführung unterstützt, erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Annahme einer ambulanten Pflegeeinrichtung gemäß § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG.
Normenkette
§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, § 2 Abs. 1, § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG, § 71 SGB XI
Sachverhalt
Die Klägerin war Diplomsozialarbeiterin. Sie hatte mit dem Landschaftsverband X eine Vergütungsvereinbarung gemäß §§ 75ff. SGB XII für den Bereich "Ambulant Betreutes Wohnen für Menschen mit Behinderung" abgeschlossen. Danach hatte sie im Rahmen der ambulanten Eingliederungshilfe Menschen mit einer psychischen Erkrankung, körperlichen oder geistigen Behinderung oder chronischen Suchterkrankung (Alkohol oder Cannabis) bei einer selbstbestimmten Lebensführung zu unterstützen. Dies erfolgte durch Beratungs-, Begleitungs-, Betreuungs- und Förderleistungen auf der Grundlage eines mit dem Klienten erarbeiteten individuellen Hilfeplans. Ziel war es, den Klienten einen eigenständigen Alltag und die Eingliederung in das soziale Leben zu ermöglichen. Das Angebot der Klägerin umfasste auch Hilfe in der häuslichen Umgebung der betreuten Person. Zur Durchführung dieser Aufgaben hatte die Klägerin im Streitjahr Mitarbeiter – insbesondere Diplom-Heilpädagogen und Diplom-Sozialarbeiter – angestellt.
Das FA gelangte zu der Auffassung, dass die Klägerin gewerblich tätig war, und erließ einen Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag. Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (FG Köln, Urteil vom 1.6.2017, 15 K 243/14, Haufe-Index 11279077, EFG 2017, 1662).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Das FG hat zu Recht angenommen, dass die Klägerin im Streitjahr einen Gewerbebetrieb unterhalten hatte und dass die Voraussetzungen des § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG nicht erfüllt waren.
Hinweis
1. Die Klägerin übte nach Auffassung des BFH keine freiberufliche Tätigkeit i.S.d. § 18 EStG aus, sondern erzielte gewerbliche Einkünfte i.S.d. § 15 EStG. Es lag unstreitig keiner der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten Katalogberufe noch ein ähnlicher Beruf vor.
Bei der ambulanten Eingliederungshilfe handelte es sich auch nicht um eine "erzieherische Tätigkeit" i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Diese ist auf die umfassende Schulung des menschlichen Charakters und die Bildung der Persönlichkeit im Ganzen gerichtet. Gegenstand der Tätigkeit der Klägerin war jedoch die Therapie der individuellen Verhaltensprobleme und "Persönlichkeitsdefekte" ihrer Klienten. Hierbei handelt es sich nicht um eine erzieherische Tätigkeit. Die Klägerin war auch nicht "unterrichtend tätig", da keine Lehrtätigkeit in organisierter und institutionalisierter Form vorlag.
2. Da die Klägerin somit per se nicht freiberuflich tätig war, musste der BFH über die Frage, ob die Klägerin trotz des Einsatzes von Mitarbeitern bei der ambulanten Betreuung i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStGleitend und eigenverantwortlich tätig war, nicht mehr entscheiden.
3. Auch die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG waren nicht erfüllt. Danach sind Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen von der Gewerbesteuer befreit, wenn im Erhebungszeitraum die Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind. § 71 Abs. 1 SGB XI ist als Legaldefinition der "ambulanten Einrichtung" bei der Auslegung des § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG zu berücksichtigen. Die Klägerin erfüllte diese Voraussetzungen bereits deshalb nicht, weil sie als Diplomsozialarbeiterin keine ausgebildete Pflegefachkraft war. Inwieweit sich die zum 1.1.2017 geregelte Neudefinition des Begriffs der häuslichen Pflegehilfe in § 36 SGB XI in Bezug auf eine Befreiung gemäß § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG auswirkt, hat der BFH offengelassen.
4. Ob die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Gewerbesteuer nach § 3 Nr. 20 Buchst. e GewStG vorlagen, konnte im vorliegenden Fall nicht geklärt werden. Die Regelung betrifft Einrichtungen zur ambulanten Rehabilitation. Die Vorschrift gilt nach § 36 Abs. 1 GewStG erstmals für den Erhebungszeitraum 2015 und war danach für das Streitjahr 2010 noch nicht anwendbar.
5. Auch die der Klägerin gewährte Umsatzsteuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 16 Buchst...