Leitsatz
Der Steuerbegünstigung steht es nicht entgegen, wenn eine nach § 52 Abs. 2 AO begünstigte Tätigkeit im Einzelfall zwangsläufig mit einer gewissen politischen Zielsetzung verbunden ist. Die allgemeinpolitische Betätigung im Rahmen des steuerbegünstigten Zwecks darf aber nicht über das hinausgehen, was das Eintreten für diesen jeweiligen Zweck und dessen Verwirklichung erfordert.
Normenkette
§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Nr. 24 AO, § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 KStG
Sachverhalt
Der Antragsteller verfolgte als gemeinnützige Zwecke die Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens und der öffentlichen Gesundheitspflege (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO) sowie die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO). Das FA ging davon aus, dass auf der Internetseite des Antragstellers Dokumente eingestellt waren und heruntergeladen werden konnten, in denen die Effektivität von Masken hinsichtlich des Schutzes vor Viren infrage gestellt und in denen auf die nach Meinung des Antragstellers bestehenden gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen des Tragens einer Gesichtsmaske sowie der Verwendung von Desinfektionsmitteln für die Hände hingewiesen wurde. Mit einem – zumindest zeitweise auf der Internetseite des Antragstellers abrufbaren – Dokument verlangte der Antragsteller von der Bundesregierung und den Landesregierungen, die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie verhängten Maßnahmen sofort aufzuheben. Gleichzeitig forderte er für den Fall der Weiterführung der Maßnahmen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses und zitierte Art. 20 Abs. 4 GG.
Das FA erließ einen "Vorauszahlungsbescheid über KSt und SolZ und Widerruf der Gemeinnützigkeit sowie der Berechtigung zur Ausstellung von Zuwendungsbestätigungen". Damit setzte es ab dem vierten Kalendervierteljahr 2020 die Vorauszahlungen zur KSt und zum SolZ auf jeweils 0 EUR fest, versagte die Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 KStG und wies darauf hin, dass der Antragsteller "ab sofort" nicht mehr berechtigt sei, Zuwendungsbestätigungen für steuerliche Zwecke auszustellen.
Gegen den KSt-Vorauszahlungsbescheid und die darin enthaltene Versagung der Steuerbefreiung sowie den Entzug der Berechtigung zur Ausstellung von Zuwendungsbestätigungen legte der Antragsteller Einspruch ein und beantragte zugleich AdV. FA und FG (FG München, Beschluss vom 30.3.2021, 7 V 2583/20, Haufe-Index 14464016, EFG 2021, 917) lehnten den AdV-Antrag ab.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz.
Hinweis
1. Im Bereich der Gemeinnützigkeit hält der BFH weiterhin an seinem attac-Urteil (BFH, Urteil vom 10.1.2019, V R 60/17, BFH/NV 2019, 309, BStBl II 2019, 301) fest. Danach darf ein politischer Zweck weder alleiniger und ausschließlicher noch nur überwiegender Satzungszweck sein. Ebenso darf eine Körperschaft mit ihrer tatsächlichen Geschäftsführung weder ausschließlich noch überwiegend einen politischen Zweck verfolgen. Zulässig ist demgegenüber die Einflussnahme auf die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung zur Verfolgung der in § 52 Abs. 2 AO genannten Zwecke. Zur Förderung der Allgemeinheit gehört insbesondere die kritische öffentliche Information und Diskussion, um ein nach § 52 Abs. 2 AO begünstigtes Anliegen der Öffentlichkeit und auch Politikern nahezubringen, wenn die unmittelbare Einwirkung auf die politischen Parteien und die staatliche Willensbildung gegenüber der Förderung des steuerbegünstigten Zwecks in den Hintergrund tritt. Eine gemeinnützige Körperschaft darf die von ihr verfolgten Zwecke auch einseitig vertreten, in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen und in ihrer subjektiven Abwägung höher als andere Ziele gewichten.
2. Danach dient es z.B. der Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO), wenn eine Körperschaft über die gesundheitlichen Risiken durch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 sowie über die Auswirkungen der zur Eindämmung dieser Krankheit ergriffenen Maßnahmen informiert.
Demgegenüber überschreitet eine Körperschaft den für die Gemeinnützigkeit zulässigen Rahmen politischer Betätigung, wenn sie undifferenzierte Forderungen nach sofortiger Aufhebung aller verhängten Maßnahmen erhebt und dabei auf das Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG verweist.
3. Eine derartige Betätigung ist auch nicht als allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens i.S.d. § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO anzusehen. Insoweit ist die Besonderheit zu beachten, dass der BFH in seiner Rechtsprechung hier die gezielte Einflussnahme auf die politische Willensbildung als unzulässig ansieht, da es in diesem Bereich in besonderer Weise auf Objektivität und Neutralität und damit auf ein Handeln in sog. geistiger Offenheit ankommt.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 18.8.2021 – V B 25/21 (AdV)