Leitsatz
1. Entsteht ein Vorsteuerberichtigungsanspruch dadurch, dass das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt bestellt, liegt keine anfechtbare Rechtshandlung vor.
2. Lohnsteuer ist nicht Teil eines Bargeschäfts i.S. des § 142 InsO, wenn es weder zu einer zeitnahen Zahlung derselben noch zu einer zeitnahen Aufrechnung mit dieser gekommen ist.
Normenkette
§ 142, § 133, § 129 ff., § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, § 16 UStG, § 119 Nr. 6 FGO
Sachverhalt
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer verstorbenen Einzelunternehmerin (X), die einen Großhandel betrieb. Am 23.12.2009 stellten X und ein Sozialversicherungsträger Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Am 28.12.2009 ordnete das zuständige AG die vorläufige Insolvenzverwaltung an, bestellte den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter und bestimmte, dass Verfügungen der X nur mit seiner Zustimmung wirksam seien sowie der Insolvenzverwalter Forderungen der X einziehen dürfe. Am 1.3.2010 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestimmt.
Das FA setzte die USt 2006 für X zuletzt auf ./. 76.305,52 EUR fest. Dies beruhte im Wesentlichen auf der Ausbuchung sämtlicher Forderungen gegenüber einem Leistungsempfänger, der im Jahr 2006 die letzten Zahlungen geleistet hatte. Der Bescheid vom 4.6.2013, der an den Kläger gerichtet war, ist bestandskräftig. Es ergab sich ein Guthaben von 159.379,30 EUR.
Das FA zahlte das Guthaben teilweise aus und verrechnete mit Umbuchungsmitteilungen vom 5.6.2013 das Restguthaben mit Insolvenzforderungen, die bereits zur Tabelle angemeldet waren (LSt etc. für September bis November 2009, USt für September 2009 und für 2009).
Das FG nahm an, dass außerdem USt für Februar 2010 i.H.v. 49.413,43 EUR vom FA zur Tabelle angemeldet und festgestellt sei. Allerdings hatte das FA am 28.10.2015 USt für das Rumpfwirtschaftsjahr von Januar bis Februar 2010 i.H.v. 9.476,72 EUR angemeldet und am 19.8.2016 wurde dieser Betrag in voller Höhe zur Tabelle festgestellt. In der Steuerberechnung sah das FA 49.944,60 EUR als bereits getilgt an.
Auf Antrag des Klägers erließ das FA am 24.3.2014 einen Abrechnungsbescheid, in dem es von der Wirksamkeit der Aufrechnung vom Juni 2013 ausging. Gegen den Abrechnungsbescheid legte der Kläger Einspruch ein, mit dem er für einen Betrag i.H.v. 61.568,65 EUR die Unwirksamkeit der Aufrechnung geltend machte. Der Einspruch blieb überwiegend erfolglos.
Im Laufe des Klageverfahrens erklärte sich das FA mit Schreiben vom 23.1.2018 bereit, i.H.v. 3.226,64 EUR die Aufrechnung wegen anfechtbarer Rechtshandlungen als unzulässig zu behandeln. Mit Schreiben vom 11.2.2019 erklärte der Kläger hilfsweise, dass dieser Betrag im Rahmen des § 131 Abs. 1 InsO zu erstatten sei.
Das FG (FG Nürnberg, Urteil vom 14.5.2019, 2 K 798/15, Haufe-Index 14025654, EFG 2020, 1383) wies die Klage in vollem Umfang ab. Es war der Ansicht, dass das Guthaben der Insolvenzschuldnerin durch Aufrechnung des FA erloschen sei. Die Aufrechnung sei nicht ausgeschlossen, weil das FA seine Ansprüche nicht durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt habe.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies den Rechtsstreit an das FG zurück, weil das FG nicht dem Hilfsvortrag nachgegangen war, dass die Klage mindestens i.H.v. 3.226,64 EUR wegen § 131 Abs. 1 InsO begründet sei.
Hinweis
Das Besprechungsurteil zeigt, dass an der Nahtstelle von Steuerrecht und Insolvenzrecht"der Teufel im Detail steckt" und so aus einem an sich "einfachen" Sachverhalt ein "schwieriger" Fall werden kann.
1. Hier entstanden schon dadurch größere Schwierigkeiten, dass die tatsächlichen Feststellungen des FG zum Inhalt der Insolvenztabelle teilweise dem Akteninhalt und dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten widersprechen. Da das FG außerdem den klägerischen Hilfsvortrag nicht erörtert hat, musste der BFH vom Vorliegen eines Verfahrensfehlers ausgehen. Das FG wird im zweiten Rechtsgang zunächst einmal Licht in das tatsächliche Dunkel bringen müssen.
2. Das zweite Problem beruht darauf, dass der insolvenzbedingte Vorsteuerberichtigungsanspruch materiell-rechtlich ins Jahr 2009 gehört (s. Anordnung des AG vom 28.12.2009), das FA ihn aber fälschlich für 2010 angemeldet hat. Formell könnte er indes "falsch" festgestellt sein (s. aber 1.). Falls nicht, könnte die Umbuchungsmitteilung des FA auslegungsfähig sein, da auch die USt 2009 Gegenstand der Mitteilung ist. Dass Teil der Aufrechnung des FA auch die USt 2009 sowie der insolvenzbedingte Vorsteuerberichtigungsanspruch sein soll, lässt sich ihr entnehmen.
3. Soweit der Kläger vehement darauf hingewiesen hat, dass seines Erachtens nach der Rechtsprechung des BGH auch die Herstellung einer Aufrechnungslage anfechtbar sei, weist der BFH darauf hin, dass die Saldierung im Rahmen der Steuerberechnung (§ 16 UStG) keine Aufrechnung sei. Die Aufrechnungsverbote nach der InsO beziehen sich nach Auffassung des BFH auf den ...