Leitsatz
1. Über die formale Beteiligung i.S.d. § 359 AO als Einspruchsführer oder Hinzugezogener hinaus ist ein Dritter auch dann an dem zur Änderung oder Aufhebung führenden Verfahren "beteiligt" i.S.d. § 174 Abs. 5 AO, wenn er durch eigene verfahrensrechtliche Initiative auf die Aufhebung oder Änderung des Bescheides hingewirkt hat.
2. Keine eigene verfahrensrechtliche Initiative in diesem Sinne entwickelt, wer in seiner Eigenschaft als Mitgesellschafter und Mitgeschäftsführer einer GmbH in ein von dieser betriebenes Verfahren eingeschaltet war und dadurch von bevorstehenden Korrekturen Kenntnis gehabt und diese tatsächlich vorbereitet hat.
3. Die Kenntnis, die ein Mitgesellschafter und Mitgeschäftsführer einer GmbH von den Korrekturen im Verfahren der GmbH erlangt, kann ihm nicht unter Vertrauensschutzgesichtspunkten in seinem eigenen Besteuerungsverfahren entgegen gehalten werden.
Normenkette
§ 122 Abs. 2 Nr. 1, § 169 Abs. 1 und 2, § 170 Abs. 2, § 171 Abs. 4, § 174 Abs. 4 und 5, § 355 Abs. 1, § 359, § 360 AO, § 57 FGO
Sachverhalt
Der Kläger war Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH. Kläger und GmbH gingen von einer selbstständig ausgeübten Tätigkeit der GmbH aus. Demgegenüber war das Finanzamt der Auffassung, dass es sich bei der GmbH umsatzsteuerrechtlich um eine Organgesellschaft des Klägers handele. Das Finanzamt erließ am 9.1.2009 gegenüber dem Kläger Umsatzsteueränderungsbescheide, mit denen es ihm für die Streitjahre (2000 bis 2002) insgesamt 542.096 EUR Umsatzsteuer zzgl. Zinsen erstattete. Im Gegenzug wurde mit Umsatzsteueränderungsbescheiden vom 20.1.2009 von der GmbH für die Streitjahre Umsatzsteuer i.H.v. insgesamt 672.165 EUR zzgl. Zinsen nachgefordert.
Während der Kläger keinen Einspruch einlegte, erhob die GmbH Einspruch gegen die Änderungsbescheide. Im Einspruchsverfahren erfolgte eine Einigung dahingehend, dass zwischen dem Kläger und der GmbH doch keine Organschaft vorliege. Das FA erstattete der GmbH mit Änderungsbescheiden vom 7.9.2010 Umsatzsteuer i.H.v. insgesamt 766.394 EUR zzgl. Zinsen, nachdem der Kläger zuvor mit Bescheid vom 24.8.2010 gemäß § 174 Abs. 5 AO zum Einspruchsverfahren der GmbH hinzugezogen worden war. Am 15.9.2010 erließ das FA gegenüber dem Kläger nach § 174 AO geänderte Umsatzsteuerbescheide, mit denen für die Streitjahre Umsatzsteuer i.H.v. insgesamt 527.119 EUR zzgl. Zinsen nachgefordert wurde.
Der Kläger legte sowohl gegen den Hinzuziehungsbescheid vom 24.8.2010 als auch gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide vom 15.9.2010 Einspruch ein. Das FA wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 25.5.2011 als unbegründet zurück. Gegen den Hinzuziehungsbescheid vom 24.8.2010 wandte sich der Kläger erfolglos mit einer Klage zum Finanzgericht. Der BFH hob mit Urteil vom 12.2.2015, V R 42/14 das Urteil des Finanzgerichts und den Hinzuziehungsbescheid auf, da die erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung erfolgte Hinzuziehung des Klägers nach Eintritt der Festsetzungsverjährung rechtswidrig war.
Die Klage gegen die gegenüber dem Kläger erlassenen Umsatzänderungsbescheide hatte keinen Erfolg (FG München, Urteil vom 29.4.2014, 2 K 1886/11, Haufe-Index 6996246, EFG 2014, 1450).
Entscheidung
Auf die Revision des Klägers hat der BFH das Urteil des FG aufgehoben und der Klage gegen die Umsatzsteueränderungsbescheide stattgegeben. Der Kläger sei im Verhältnis zur GmbH Dritter i.S.v. § 174 Abs. 5 AO gewesen. Der Kläger habe auch nicht durch eine eigene verfahrensrechtliche Initiative auf die Änderung der für die GmbH ergangenen Steuerbescheide hingewirkt. Nicht der Kläger, sondern die GmbH habe eine Änderung der an sie gerichteten Umsatzsteuerfestsetzungen betrieben. Dass der Kläger in seiner Eigenschaft als Mitgesellschafter und Mitgeschäftsführer der GmbH in das von dieser betriebene Verfahren eingeschaltet war und dadurch von den bevorstehenden Korrekturen Kenntnis gehabt und diese tatsächlich vorbereitet habe, könne ihm im Hinblick auf sein eigenes Besteuerungsverfahren nicht angelastet werden. Das Verhalten des Klägers im Besteuerungsverfahren der GmbH könne ihm auch nicht als Verstoß gegen Treu und Glauben im eigenen Besteuerungsverfahren entgegengehalten werden, da er insoweit nicht für sich, sondern für die GmbH gehandelt hat.
Hinweis
1. Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist gemäß § 174 Abs. 4 Satz 3 AO unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides gezogen werden. Gegenüber Dritten gilt dies gemäß § 174 Abs. 5 Satz AO nur, wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides geführt hat, beteiligt waren. Eine Hinzuziehung oder Beiladung zu diesem Verfahren ist zulässig.
2. Dritter i.S.v. § 174 Abs. 5 Satz 1 AO ist, wer im zu ändernden Bescheid nicht als Steuerschuldner angegeben ist. Hierzu gehört jeder, der nicht aus eigenem Recht an dem Steuerfestsetzungs- und Rechtsbehelfsverfahren beteiligt ist. Maßgeblich ist dabei allein die formale Ste...