Dipl.-Finanzwirt Christian Ollick
Leitsatz
Kann ein Leiharbeitnehmer überhaupt dauerhaft einer ersten Tätigkeitsstätte zugeordnet sein? Das Niedersächsische Finanzgericht zweifelt daran und gab der Klage eines Leiharbeiters statt, der für seine arbeitstäglichen Fahrten zum Entleiherbetrieb einen Kostenabzug nach Reisekostengrundsätzen geltend gemacht hatte.
Sachverhalt
Der Arbeitnehmer war in den Jahren 2012 bis 2015 als Leiharbeitnehmer beschäftigt; nach seinem Arbeitsvertrag konnte er bundesweit eingesetzt und an andere Firmen zur Arbeitsleistung überlassen zu werden. Sein Leiharbeitsverhältnis war stets mit Befristungen von einem halben bis einem Jahr versehen, die vom Entleiher insgesamt drei Mal verlängert worden waren. In seiner Einkommensteuererklärung 2014 machte der Arbeitnehmer seine Fahrten zum Entleiherbetrieb mit 0,30 € pro gefahrenem Kilometer geltend (Reisekostengrundsätze). Das Finanzamt stufte den Betrieb hingegen als erste Tätigkeitsstätte ein und gewährte für die Fahrten nur die Entfernungspauschale von 0,30 € pro Entfernungskilometer.
Entscheidung
Das Finanzgericht gab der Klage des Arbeitnehmers statt und gewährte ihm den Fahrtkostenabzug nach Reisekostengrundsätzen. Nach Gerichtsmeinung hatte der Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb keine erste Tätigkeitsstätte begründet, weil nach der sogenannten Ex-ante-Betrachtung (auf die Zukunft gerichtete prognostische Betrachtung) keine "dauerhafte Zuordnung" zu diesem Einsatzort bestand, die jedoch für die Annahme einer ersten Tätigkeitsstätte nach § 9 Abs. 4 EStG erforderlich ist.
Von einer dauerhaften Zuordnung geht der Steuergesetzgeber in § 9 Abs. 4 S. 3 EStG insbesondere aus, wenn der Arbeitnehmer an einer Tätigkeitsstätte unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus tätig werden soll. Alle drei Tatbestandsalternativen sah das Finanzgericht nicht als erfüllt an: Nach Gerichtsmeinung liegt keine unbefristete Zuweisung vor, weil das Leiharbeitsverhältnis nur befristet begründet worden ist; zudem ergab sich aus dem Arbeitsvertrag, dass der Leiharbeitnehmer jederzeit mit einem Einsatz an verschiedenen Orten im ganzen Bundesgebiet hatte rechnen musste. Auch eine Zuordnung für die Dauer des Dienstverhältnisses war nicht gegeben, weil die Zuordnung zum Entleiher im Zeitpunkt der jeweiligen Vertragsverlängerung niemals festgestanden hatte. Ferner war auch die gesetzliche Obergrenze von 48 Monaten nicht erfüllt. Eine erste Tätigkeitsstätte konnte das Finanzgericht auch nicht aus den quantitativen Kriterien des § 9 Abs. 4 S. 4 EStG herleiten, da auch hier eine "Dauerhaftigkeit" gefordert wird.
Hinweis
Das Finanzgericht verwies darauf, dass bei Leiharbeitsverhältnissen womöglich gar keine dauerhafte Zuordnung des Arbeitnehmers zum Entleiherbetrieb angenommen werden kann, weil die geltenden arbeitsrechtlichen Regelungen nur eine "vorübergehende" Überlassung erlauben. Das Gericht ließ die Revision zum Bundesfinanzhof zu, sodass auf eine höchstrichterliche Klärung gehofft werden kann.
Link zur Entscheidung
Niedersächsisches FG, Urteil vom 30.11.2016, 9 K 130/16