Leitsatz

1. Können Tabakwaren, die infolge einer unrechtmäßigen Einfuhr in das Gebiet der Gemeinschaft gemäß Art. 7 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16.12.2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/­EWG – RL 2008/118 – (Amtsblatt der Europäischen Union 2009, Nr. L 9, 12) als in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt gelten, in einem anderen Mitgliedstaat gemäß Art. 7 Abs. 2 Buchst. b RL 2008/118 aufgrund des Besitzes dieser Tabakwaren außerhalb eines Verfahrens der Steueraussetzung erneut als in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt gelten, mit der Folge, dass der Verbrauchsteueranspruch nach Art. 7 Abs. 1 RL 2008/118 mehrfach entsteht?

2. Wenn die erste Frage bejaht wird: Ist Art. 33 Abs. 1 RL 2008/118 dahingehend auszulegen, dass die Verbrauchsteuer für Tabakwaren ausschließlich im Bestimmungsmitgliedstaat erhoben wird, wenn die Tabakwaren unrechtmäßig in das Gebiet der Gemeinschaft eingeführt und ohne Eröffnung eines Steueraussetzungsverfahrens sowie ohne Entrichtung der Verbrauchsteuer zu gewerblichen Zwecken durch mehrere Mitgliedstaaten bis in den Bestimmungsmitgliedstaat befördert wurden?

 

Normenkette

Art. 7, Art. 33 RL 2008/118

 

Sachverhalt

Der Kläger hatte als Führer eines Lkw im Jahr 2013 mit drei Fahrten Zigaretten von Litauen über Deutschland in das Vereinigte Königreich unter Umgehung der einfuhrrechtlichen Bestimmungen geschmuggelt. Das Hauptzollamt setzte durch einen Tabaksteuerbescheid für die drei Fahrten Tabaksteuer gegen den Kläger fest.

Das FG (FG Bremen, Urteil vom 9.7.2020, 1 K 89/17 (6), Haufe-Index 14984095) war der Auffassung, die Tabaksteuer sei gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 TabStG entstanden, da mit den drei Fahrten unversteuerte bzw. unverzollte Zigaretten transportiert worden seien. Deutschland sei aufgrund der unrechtmäßigen Durchfuhr auch zur Erhebung der Tabaksteuer berechtigt. Die Zigaretten seien in Deutschland steuerpflichtig, weil sie hier in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt und die in Art. 34 RL 2008/118 festgelegten Formalitäten nicht eingehalten worden seien.

 

Entscheidung

Der BFH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die zwei in den Leitsätzen genannten Fragen zur Vorabentscheidung vor.

 

Hinweis

1. Wenn sich Tabakwaren in Litauen aufgrund einer unrechtmäßigen Einfuhr gemäß Art. 7 Abs. 2 Buchst. d RL 2008/118 bereits im steuerrechtlich freien Verkehr befinden und aus Litauen über Polen nach Deutschland geschmuggelt und hier zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden, ist die Tabaksteuer gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 TabStG in Deutschland entstanden.

Nach § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG ist ein Fahrer eines Sattelzugs in diesem Fall auch Steuerschuldner, weil er die Tabakwaren in Besitz hat. Das gilt auch für Waren, von denen er keine Kenntnis hat.

2. Allerdings hatte der BFH Zweifel, ob das Unionsrecht es zulässt, dass ein Steueranspruch in Deutschland entsteht, obwohl sich die Zigaretten bereits in Litauen und Polen im steuerrechtlich freien Verkehr befunden hatten, bevor sie nach Deutschland gelangten. Denn dann käme es in mehreren Mitgliedstaaten zur Entstehung eines Verbrauchsteueranspruchs.

a) Art. 7 Abs. 2 RL 2008/118 regelt nicht, ob die Entstehung des Verbrauchsteueranspruchs mehrfach angenommen werden kann, wenn mehrere in dieser Vorschrift genannte Handlungen (hier die Einfuhr und der Besitz) zeitlich nacheinander ausgeführt werden.

b) Zweifel an einem solchen Ergebnis ergaben sich u.a. daraus, dass eine mehrfache Besteuerung verbrauchsteuerpflichtiger Waren nicht dem Sinn und Zweck der RL 2008/118 entspricht.

c) Vor diesem Hintergrund formulierte der BFH die erste Vorlagefrage.

3. Selbst wenn nach dem Unionsrecht in Deutschland ein Verbrauchsteueranspruch entstanden sein sollte, hatte der BFH Zweifel, ob Deutschland zur Erhebung der entstandenen Tabaksteuer berechtigt ist.

a) Im Streitfall waren Zigaretten in das Vereinigte Königreich, das im Streitjahr 2013 noch zur EU gehörte, als dem eigentlichen Bestimmungsmitgliedstaat befördert worden, sodass sie in Deutschland weder verbraucht wurden noch hier verblieben. Daher war fraglich, ob die Erhebung der Tabaksteuer nur im Bestimmungsmitgliedstaat zulässig ist.

b) Das EuGH-Urteil Prankl vom 5.3.2015, C‐175/14, Haufe-Index 8401389, in dem der EuGH entschieden hatte (Rz. 21 des Urteils), dass der Steueranspruch im Bestimmungsmitgliedstaat der Ware entsteht, bezog sich auf die frühere Verbrauchsteuer-Systemrichtlinie RL 92/12. Außerdem ergab sich aus der EuGH-Entscheidung nicht eindeutig, wie die Erhebungskompetenz der Durchfuhrmitgliedstaaten zu beurteilen ist, wenn die Zigaretten in einen anderen Mitgliedstaat befördert, aber dort nicht entdeckt wurden. An der Entdeckung fehlte es im vorliegenden Streitfall.

c) Deshalb erkannte der BFH mit der zweiten Vorlagefrage eine weitere nicht geklärte Rechtsfrage.

 

Link zur Entscheidung

BFH, EuGH-Vorlage vom 12.12.2023, VII R 6/21

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