Leitsatz
1. Sofern der Zolltarif nichts anderes bestimmt, gehören auf der Ware fest angebrachte Etiketten oder ähnliche Kennzeichen, die für die Funktion, den Gebrauch, die Wirkung oder das Wesen der Ware selbst keine Bedeutung haben, nicht zu deren für die zollrechtliche Tarifierung entscheidenden objektiven Merkmalen und Eigenschaften.
2. Stellt der Zolltarif darauf ab, dass eine Ware "erkennbar" ausschließlich oder hauptsächlich für einen bestimmten Zweck oder als Teil oder Zubehör für bestimmte andere Waren vorgesehen ist, muss die Erkennbarkeit im Augenblick der Zollabfertigung gegeben sein.
3. Wenn der Zolltarif keine besondere Regelung trifft, genügt es, dass ein Sachverständiger mit den ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware ihre Zweckbestimmung erkennen kann.
4. Aus der bloßen Eignung und Bestimmung einer Ware zum Einbau in eine andere Ware folgt nicht zwingend, dass sie für deren Funktionieren "unabdingbar" ist.
Normenkette
Art. 220 ZK, Pos. 8803 KN (= Kombinierte Nomenklatur)
Sachverhalt
Die Klägerin hatte Brauch- und Frischwassertanks importiert und in die Unterpos. 6815 10 10 00 0 KN als "Kohlenstofffasern und Waren aus Kohlenstofffasern" mit dem Zollsatz "frei" eingereiht. Dagegen nahmen das HZA und ihm folgend das FG eine Einreihung in die Unterpos. 8803 30 00 90 0 KN als "Teile von Waren der Pos. 8801 oder 8802 – andere Teile (als Propeller u. Ä.) von Hubschraubern oder Starrflügelflugzeugen" mit dem Zollsatz 2,7 % an.
Die Einfüllöffnungen, die speziellen Befestigungsvorrichtungen bei den Abwassertanks, die Formgebung und die gewichtsparende Materialbeschaffenheit legten eine Verwendung in der Luftfahrtindustrie nahe, ließen aber für sich betrachtet ohne besondere Sachkunde nicht zwingend auf eine Verwendung im Flugzeugbau schließen. Allerdings werde durch die angebrachten Etiketten auch für den nur durchschnittlich sachkundigen Betrachter erkennbar, dass es sich speziell um Tanks für den Einbau in Luftfahrzeuge handeln müsse. Diese Etiketten enthielten u.a. den Begriff "Aerospace ..." und die Funktion und die Positionierung der Tanks (bspw. "Waste Tank – Main Deck"). Sie dienten zur näheren Spezifizierung der Tanks, sollten einen korrekten Einbau sicherstellen und seien damit Bestandteil der Ware (FG Hamburg, Urteil vom 19.2.2016, 4 K 58/14, Haufe-Index 9942954).
Entscheidung
Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies die Sache zurück. Das FG hat nunmehr zu klären, ob die Tanks Teile von "Waren der Position 8801 und 8802" sind, die ohne Berücksichtigung der Etiketten "erkennbar ausschließlich oder hauptsächlich für Waren des Kapitals 86 bis 88 bestimmt" sind.
Hinweis
Diese zolltarifliche Entscheidung hat über den Einzelfall hinaus Bedeutung.
1. Der BFH hat klargestellt, dass auf der Ware oder auf der Verpackung der Ware fest angebrachte Etiketten, Warenzeichen, Stempel oder ähnliche Kennzeichen grundsätzlich nicht zu den objektiven Beschaffenheitsmerkmalen einer Ware gehören, sondern allenfalls zu den Umständen, aus denen ggf. Anhaltspunkte für deren Prüfung und Ermittlung gewonnen werden können.
Damit setzt er seine bisherige Rechtsprechung konsequent fort. Waren sind nicht (ausschließlich) nach dem (vom Hersteller oder Einführer angegebenen) Verwendungszweck einzureihen (BFH, Urteil vom 8.11.2016, VII R 9/15, BFH/NV 2017, 716, BFH/PR 2017, 207).
2. Ob eine Ware als Teil oder Zubehör für andere Waren bestimmt ist, muss im Augenblick der Zollabfertigung erkennbar sein. Im Streitfall war zu klären, auf wessen Sichtweise es ankommt. Das FG Hamburg hat unter Verweis auf zwei Entscheidungen des BFH (BFH, Urteil vom 17.10.2006, VII R 41/05, BFH/NV 2007, 289 und BFH, Beschluss vom 12.3.2008, VII B 137/07, BFH/NV 2008, 1554) auf die durchschnittliche Sachkunde eines Zollbeamten abgestellt. Dem ist der BFH entgegengetreten. Erkennbarkeit bedeutet nicht, dass der jeweilige Abfertigungsbeamte das bei einer (laienhaften) Betrachtung ohne besondere Sachkunde oder rein visuell erkennen muss. In der Regel genügt es, dass ein Sachverständiger die Zweckbestimmung erkennen kann. Damit weicht der BFH von den beiden früheren Entscheidungen ab und stellt klar, dass es für die Erkennbarkeit nicht notwendig auf die Sichtweise eines Durchschnittsbetrachters ankommt, sondern dass ein Sachverständiger herangezogen werden kann.
3. Das FG hatte entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut der Pos. 8803 KN angenommen, dass neben Teilen auch Zubehör erfasst werde. Es hat sodann die Teileeigenschaft bejaht, weil die Tanks für den Einbau in ein Luftfahrzeug objektiv geeignet und auch dafür bestimmt seien. Erforderlich ist jedoch, dass die Teile für die Funktion des Ganzen unabdingbar sind. Diese Prüfung muss das FG nachholen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 23.10.2018 – VII R 19/17