Leitsatz
1. Entstehen Selbstkosten i.S. von § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG für entgeltliche Lieferungen wie auch für unentgeltliche Wertabgaben nach § 3 Abs. 1b UStG, sind diese entsprechend § 15 Abs. 4 UStG nach tatsächlichen oder ggf. fiktiven Umsätzen (Marktwerten) aufzuteilen (Anschluss an die BFH-Urteile vom 25.11.2021 ‐ V R 45/20, BFHE 275, 392, und vom 15.03.2022 ‐ V R 34/20, BFH/NV 2022, 1013 und entgegen Abschn. 2.5 Abs. 22 Satz 6 UStAE).
2. Eine KG, an der der Unternehmer zu 40/82 (bei einer Gewinnpartizipation und Stimmrechten von 50 %) beteiligt ist, ist eine nahestehende Person i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG.
Normenkette
§ 3 Abs. 1b, § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1 UStG, Art. 80, Art. 74 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)
Sachverhalt
Die Klägerin produziert Strom und Wärme durch ein mit selbst erzeugtem Biogas betriebenes Blockheizkraftwerk (BHKW). Den durch das BHKW erzeugten Strom liefert er gegen Entgelt an einen örtlichen Energieversorger (E). Die vom BHKW erzeugte Wärme verwendete der Kläger
- für private Zwecke,
- für die an den Betriebsleiter steuerfrei vermietete Wohnung,
- zur Getreidetrocknung der C-KG, an der er beteiligt ist und
- ab November 2011 zur Abgabe an den Nachbarn N.
Das FA besteuerte die unentgeltlichen Wertabgaben mit den Selbstkosten. Bezüglich der Wärmeabgabe an die C-KG setzte es die Mindestbemessungsgrundlage des § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG an. Den Selbstkostenpreis für eine kWh Wärme ermittelte es mit 0,09 EUR. Den Einspruch des Klägers wies das FA als unbegründet zurück.
Der Klage, die auch andere Streitpunkte betraf, gab das FG (FG Münster, Urteil vom 1.10.2019, 15 K 1050/16 U, Haufe-Index 13582162) teilweise statt. Das FG sah in der vom Kläger privat verbrauchten Wärme eine unentgeltliche Wertabgabe. Die Bemessungsgrundlage sei unter Berücksichtigung eines Marktpreises für Wärme von 0,03 EUR/kWh zu ermitteln. § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG sei wegen der Option der C-KG zur Regelbesteuerung (§ 24 Abs. 4 UStG) im Streitjahr 2011 nicht anzuwenden. Wegen der Verwendung von Wärme für die an den Betriebsleiter steuerfrei vermietete Wohnung sei zwar keine unentgeltliche Wertabgabe zu besteuern, aber der Vorsteuerabzug anteilig zu versagen.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück
Hinweis
1. Mit dem Besprechungsurteil bestätigt der BFH die durch BFH, Urteil vom 31.5.2017, XI R 2/14, BFH/NV 2017, 1393, BFH, Urteil vom 25.11.2021, V R 45/20, BFH/NV 2022, 696, und BFH, Urteil vom 15.3.2022, V R 34/20, BFH/NV 2022, 1013, eingeschlagene Rechtsprechungslinie:
- Die Abgabe von Wärme für private Zwecke führt trotz des KWK-Bonus für den parallel an das EVU gelieferten Strom zur Annahme einer unentgeltlichen Wertabgabe. Zur Abgabe an andere Unternehmer s. das Verfahren XI R 17/20.
- Wenn kein Anschluss an ein (Fern- oder Nah-)Wärmenetz besteht, ist kein Einkaufspreis i.S.d. § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG vorhanden.
- Selbstkosten i.S.v. § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG, die im Streitfall ausschließlich vorsteuerbelastet waren und die für entgeltliche Leistungen wie auch für unentgeltliche Wertabgaben anfielen, sind analog § 15 Abs. 4 UStG aufzuteilen.
- Eine energetische Aufteilung (nach Kilowattstunden) ist nicht sachgerecht (a. A. Abschn. 2.5 Abs. 22 UStAE), sondern ein fiktiver Umsatzschlüssel.
2. Eher versteckt und kurz beschäftigt sich der BFH mit der Frage, ob die Lieferung von Wärme eine Nebenleistung zu einer steuerfreien Vermietungsleistung sein kann und bejaht dies aufgrund der nicht verbrauchsabhängigen Abrechnung. Die spannende Frage, wie dies bei verbrauchsabhängiger Abrechnung zu sehen ist/wäre, bleibt daher den Revisionsverfahren XI R 8/21 und V R 15/21 vorbehalten.
3. Daneben hat der BFH entschieden, dass eine KG, an der der Unternehmer zu 40/82 (bei einer Gewinnpartizipation und Stimmrechten von 50 %) beteiligt ist, eine nahestehende Person i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG ist, weil eine enge rechtliche, wirtschaftliche oder persönliche Beziehung zu ihr besteht. Gleichzeitig bestätigt der BFH, dass die Mindestbemessungsgrundlage nicht anzuwenden ist, wenn die KG zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 9.11.2022 – XI R 31/19