Leitsatz
1. Der Begriff "öffentliche Posteinrichtungen" in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. a der 6. EG-RL ist dahin auszulegen, dass er für öffentliche oder private Betreiber gilt, die sich verpflichten, in einem Mitgliedstaat den gesamten Universalpostdienst, wie er in Art. 3 der RL 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 15.12.1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarkts der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität in der durch die RL 2002/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 10.06.2002 geänderten Fassung geregelt ist, oder einen Teil dessen zu gewährleisten.
2. Die in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. a der 6. EG-RL vorgesehene Steuerbefreiung gilt für Dienstleistungen und die dazugehörenden Lieferungen von Gegenständen – mit Ausnahme der Personenbeförderung und des Fernmeldewesens –, die die öffentlichen Posteinrichtungen als solche ausführen, nämlich in ihrer Eigenschaft als Betreiber, der sich verpflichtet, in einem Mitgliedstaat den gesamten Universalpostdienst oder einen Teil davon zu gewährleisten. Sie gilt nicht für Dienstleistungen und die dazugehörenden Lieferungen von Gegenständen, deren Bedingungen individuell ausgehandelt worden sind.
Normenkette
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. a der 6. EG-RL (jetzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. a MWStSystRL, vgl. § 4 Nr. 11b UStG)
Sachverhalt
TNT erbringt Dienstleistungen der postalischen Verteilung von Geschäftspost. Sie holt die Post ihrer Kunden ab, sortiert sie und befördert sie zu einer Sammelstelle von Royal Mail (RM) – sog. "vorgelagerte Dienstleistungen". RM erbringt als einziger Anbieter des postalischen Universaldienstes in UK ein breites Spektrum postalischer Dienstleistungen an alle Unternehmen und Privatpersonen, die ihre Dienste nutzen möchten.
RM befördert Postsendungen an alle Empfänger an sechs Tagen in der Woche im Rahmen einer Regelung, die im Allgemeininteresse erlassen worden ist und nur für RM gilt. TNT Post erbringt aufgrund eines Vertrags mit RM "nachgelagerte Dienstleistungen", holt – auf Antrag – Post von Unternehmern ab, sortiert und befördert zu einer der Regionalsammelstellen von RM.
Entscheidung
Die Grundsätze ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen.
Hinweis
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, wie der Begriff "öffentliche Posteinrichtungen" in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. a der 6. EG-RL (jetzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der MWStSystRL) auszulegen ist. Von dieser Definition hängt die Befreiung von Postdienstleistungen von Unternehmern ab, die zwar Postdienstleistungen erbringen, die aber – vom Spektrum der Leistungen aus betrachtet – (noch) keine mit den Leistungen der bisherigen staatlichen Monopole für Postdienstleistungen vergleichbaren Leistungen erbringen.
Die Entscheidung des EuGH ist für Newcomer auf dem Markt ernüchternd:
Der Wortlaut der Bestimmung "öffentliche Posteinrichtung" decke – so der EuGH – nur Leistungen, die von einer Stelle erbracht werden, die als "öffentliche Posteinrichtung" im organisatorischen Sinn dieses Begriffs angesehen werden könne. Denn die Steuerbefreiung sei trotz der Liberalisierung des Postsektors in der gleichen Form beibehalten worden. Sie bezwecke die Förderung bestimmter, dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten – hier das Ziel, postalische Dienstleistungen, die den Grundbedürfnissen der Bevölkerung entsprechen, zu ermäßigten Kosten anzubieten. Befreit seien deshalb nur Unternehmer, die sich verpflichten, postalische Dienstleistungen zu erbringen, die den grundlegenden Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechen, und damit in der Praxis den gesamten Universalpostdienst in einem Mitgliedstaat, wie er in Art. 3 der RL 97/67 beschrieben ist, oder einen nicht inhaltlich, sondern lediglich flächenmäßig begrenzten Teil davon zu gewährleisten.
Das ist nicht der Fall bei einem Unternehmer, der nicht den gesamten Universalpostdienst für alle Nachfrager von Postdienstleistungen im Mitgliedstaat oder in einem bestimmten Teil des jeweiligen Mitgliedstaats anbietet. Eine solche Auslegung gebiete auch der Grundsatz der Neutralität der USt, denn die Verpflichtungen eines Betreibers, der den gesamten Universalpostdienst anbieten muss – wie in UK Royal Mail –, sei von der eines Unternehmers zu unterscheiden, der nur einen Teil dieser Dienstleistungen erbringe. Dass damit für neue Anbieter, die nicht von vornherein das gesamte Spektrum an Postdienstleistungen anbieten können, der Marktzugang erschwert wird, bedarf keiner Erläuterung. Aber: Roma locuta – causa finita.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 23.04.2009, C-357/07