Kommentar
Einkünfte aus Kapitalvermögen, insbesondere Zinseinkünfte, sind in aller Regel demjenigen zuzurechnen, der das betreffende Kapital im eigenen Namen und für eigene Rechnung zur Nutzung, z. B. einer Bank, überlassen hat. Wird eine verzinsliche Kapitalforderung als Sicherheit einem Gläubiger abgetreten und dieser berechtigt, auch die anfallenden Zinsen mit einer Schuld des Abtretenden zu verrechnen, sind die Zinseinkünfte nach wie vor dem Abtretenden als Einnahmen zuzurechnen ( Kapitaleinkünfte ; Abtretung ).
Dies gilt auch für den Fall, wenn eine solche Kapitalforderung an das Finanzamt abgetreten wird und das Finanzamt die anfallenden Zinsen mit der Steuerschuld verrechnen darf. In dem das Finanzamt in die Lage versetzt wird, Steuerschulden auch mit den Zinsen zu verrechnen, kommen die Zinseinkünfte doch dem Steuerzahler zugute. Die Abtretung einer Kapitalforderung kann auch in der Weise ausgestaltet werden, daß künftig der Abtretungsempfänger – und nicht (mehr) der Abtretende – die betreffenden Einnahmen erzielt. Insoweit kommt es für die Zurechnung von Zinseinkünften auf die Vereinbarungen im Einzelfall an. Tritt ein Steuerzahler eine verzinsliche Forderung entgeltlich an eine im Ausland ansässige Person ab, sind ihm ebenfalls die Zinseinkünfte nach den o. g. Grundsätzen zuzurechnen. Außerdem kann eine Zurechnung der Zinseinkünfte auch aus dem Gesichtspunkt des Gestaltungsmißbrauchs in Frage kommen. Für einen Gestaltungsmißbrauch spricht, wenn die Abtretung dem Forderungsschuldner gegenüber nicht offengelegt wird und der Abtretende mit dem Abtretungsempfänger ein einmaliges Entgelt vereinbart, das betragsmäßig exakt dem vom Abtretenden geleisteten Zahlungen abzgl. des dem Abtretungsempfänger versprochenen Entgelts entspricht. Durch solche Vereinbarungen beschränkt sich die Position des „verdeckten” Abtretungsempfängers allein auf diejenige eines formalen Rechtsträgers. Mit solchen Vereinbarungen können inländische Zinseinkünfte nach den Regelungen des § 42 AO nicht vermieden werden. Stellt das Finanzamt solche Konstruktionen erst im nachhinein fest, kann es die Zinsen noch erfassen, wenn und soweit noch keine materielle Bestandskraft und keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Ist die Veranlagung noch nicht bestandskräftig, z. B. weil das Einspruchsverfahren noch läuft, kommt es allein darauf an, ob die Festsetzungsverjährung eingetreten ist ( Gestaltungsmißbrauch ). Zum Teil wird in dem Zusammenhang die Auffassung vertreten, daß der Ablauf der Festsetzungsfrist i. S. d. § 171 Abs. 3 AO durch Einlegung des Einspruchs gehemmt ist. Denn eine Festsetzungsfrist läuft insoweit nicht ab, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist ein Antrag auf Steuerfestsetzung oder Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung oder in ihrer Berichtigung nach § 129 AO gestellt wird, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden worden ist. Der BFH stellt sich auf den Standpunkt, daß ein Einspruch keine verjährungshemmende Wirkung i. S. d. § 171 Abs. 3 AO entfaltet. Demnach spielt es auch keine Rolle, wenn das Finanzamt innerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens auf die Möglichkeit der Verböserung hinweist. Denn eine Erhöhung der festgesetzten Steuer im Rahmen der Einspruchsentscheidung – „ Verböserung ” – ist nach Ablauf der Festsetzungsfrist unzulässig .
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 08.07.1998, I R 112/97
Anmerkung: Die Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam . Einmal wird die Zurechnung von Zinseinkünften im Fall einer Abtretung geklärt, zum anderen wird die ablaufhemmende Wirkung eines Einspruchs und der Ankündigung der Verböserung im Rahmen eines Einspruchsverfahrens verneint. Letztlich ging es im Urteilsfall auch noch um die Qualifizierung der Zinseinkünfte als inländische Einkünfte, weil der Steuerzahler in die Schweiz verzogen war.