Leitsatz
Auch bei einer Zusammenfassung von mehr als zwei BgA müssen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 bis 3 KStG jeweils zwischen allen BgA, die zusammengefasst werden sollen, einzeln vorliegen (gegen Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 12.11.2009, BStBl I 2009, 1303, Rz 5 Satz 2 und 3).
Normenkette
§ 4 Abs. 6 Satz 1 KStG
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, unterhielt die Betriebe Wasserversorgung und Freibad. Als Ersatz für die bisherige Heizungsanlage des Freibades errichtete die Klägerin auf dem Gelände des Freibades im Jahr 2007 ein mit Biogas betriebenes Blockheizkraftwerk (BHKW I). Die für die Biogaserzeugung erforderliche Wärme produzierte ein zweites, kleineres BHKW (BHKW II). Der in beiden BHKW erzeugte Strom wurde an einen Stromversorger verkauft.
In den Jahren 2009 bis 2014 (Streitjahre) wurde jeweils während der etwa fünfmonatigen Freibadsaison die im BHKW I produzierte Wärme überwiegend durch das Schwimmbad verbraucht; im restlichen Jahr wurden vor allem Drittkunden in dem in unmittelbarer Nähe zum BHKW I ausgewiesenen Neubaugebiet, für das ein Anschlusszwang bestand, mit Wärme versorgt.
Die Klägerin ging davon aus, dass ein BgA "Versorgung" bestand, der das Freibad, die beiden BHKW und die Wasserversorgung umfasste. Sie verrechnete daher in ihren KSt- und GewSt-Erklärungen für die Streitjahre die negativen Einkünfte aus dem Betrieb des Freibades mit den Einkünften aus der Wasserversorgung und der Strom- und Wärmeerzeugung aus dem Betrieb der BHKW.
Das FA war demgegenüber der Auffassung, dass zwar der Biogasanlagenbetrieb nebst BHKW II, das BHKW I und die Wasserversorgung aufgrund ihrer Gleichartigkeit als Versorgungsbetriebe zusammenfassbar seien. Der Betrieb des Freibades sei jedoch ein eigenständiger BgA, der mangels enger wechselseitiger technisch-wirtschaftlicher Verflechtung von einigem Gewicht nicht mit einem anderen BgA zusammengefasst werden könne, da das BHKW lediglich Wärme an das Freibad wie an fremde Dritte liefere und eine bloße – einseitige – Lieferbeziehung hierfür nicht genüge.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das FG der dagegen gerichteten Klage statt (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 17.6.2021, 1 K 115/17, Haufe-Index 14989849, EFG 2022, 265).
Entscheidung
Nachdem das BMF seinen Beitritt zum Revisionsverfahren erklärt hatte, hob der BFH die Entscheidung des FG auf und wies die Klage ab, da eine gestufte Kettenzusammenfassung mit § 4 Abs, 6 KStG nicht vereinbar ist und die Voraussetzungen dieser nicht zwischen allen drei BgA vorlagen, die zusammengefasst werden sollten.
Hinweis
1. Ein BgA kann gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 KStG mit einem oder mehreren anderen BgA zusammengefasst werden, wenn sie gleichartig sind (Nr. 1), zwischen ihnen nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse objektiv eine enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung von einigem Gewicht besteht (Nr. 2) oder BgA i. S. d. § 4 Abs. 3 KStG und damit Versorgungs-, Verkehrs- oder Hafenbetriebe vorliegen (Nr. 3).
2. Sollen mehr als zwei BgA (z. B. drei BgA A/B/C) nach dieser Vorschrift zusammengefasst werden, stellt sich die Frage, ob
- die vorstehenden Voraussetzungen zwischen allen BgA vorliegen müssen oder ob
- eine abgestufte Kettenbetrachtung vorgenommen worden kann, bei der es für die Bildung eines zusammengefassten BgA A/B/C ausreicht, dass die Zusammenfassungsvoraussetzungen in einem ersten Schritt zwischen A und B und in einem zweiten Schritt A und C bejaht werden, ohne dass die Zusammenfassungsvoraussetzungen auch zwischen B und C vorliegen müssen.
3. Die Finanzverwaltung bejaht eine Kettenbetrachtung. Sind zwei BgA zusammengefasst worden, kann danach für diesen zusammengefassten BgA in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob er mit einem anderen weiter zusammengefasst werden kann. Für die Zusammenfassung eines BgA mit dem anderen zusammengefassten BgA lässt es die Finanzverwaltung dabei ausreichen, dass die Zusammenfassungsvoraussetzungen nur zwischen diesem BgA und einem der "BgA" des zusammengefassten vorliegen (BMF, Schreiben vom 12.11.2009, IV C 7 – S 2706/08/10004, BStBl I 2009, 1303).
4. Dies sieht der BFH anders. Danach müssen bei einer Zusammenfassung von mehr als zwei BgA die Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 bis 3 KStG jeweils zwischen allen BgA, die zusammengefasst werden sollen, einzeln vorliegen. Es ist somit nicht danach zu unterscheiden, ob zwei BgA oder mehr als zwei BgA zusammenzufassen sind. Hierfür spricht aus Sicht des BFH insbesondere, dass § 4 Abs. 6 KStG eine Sonderregelung enthält, die die ansonsten geltende Einzelbetrachtung von BgA durchbricht und dass die Vorschrift nicht als bloße Kodifikation einer zuvor bestehenden Verwaltungspraxis anzusehen ist, da eine in dieser Weise bestehende frühere Verwaltungspraxis nicht erkennbar ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 29.8.2024 – V R 43/21