Leitsatz
1. Die für die personelle Ausweitung der unbeschränkten Steuerpflicht maßgebende Höhe der Einkünfte in § 1 Abs. 3 S. 2 EStG 2002 ist nach deutschem Recht zu ermitteln, und zwar auch dann, wenn die Einkünfte im ausländischen Wohnsitzstaat zum Teil steuerfrei sind.
2. Überschreiten die im ausländischen Wohnsitzstaat erzielten Einkünfte bei einer Ermittlung nach deutschem Recht die absolute Wesentlichkeitsgrenze des § 1 Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 1a Abs. 1 Nr. 2 S. 3 EStG 2002, ist eine Zusammenveranlagung zur ESt auch dann ausgeschlossen, wenn die ausländischen Einkünfte nach dem Recht des Wohnsitzstaats ermittelt, unterhalb der absoluten Wesentlichkeitsgrenze liegen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die steuerpflichtigen Einkünfte im Wohnsitzstaat so hoch sind, dass sie den persönlichen Verhältnissen des Ehegatten Rechnung tragen.
Normenkette
§ 1 Abs. 3, § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG 2002
Sachverhalt
Es geht um Eheleute mit Wohnsitz in Österreich. Der Ehemann bezog Einkünfte aus einer im Inland ausgeübten nicht selbstständigen Arbeit i.H.v. 25 371 Euro. Außerdem hatte er noch in Österreich der Besteuerung unterliegende sonstige Einkünfte i.H.v. 288 Euro. Die Ehefrau war in Österreich erwerbstätig. Ihre Einkünfte beliefen sich auf 12 697 Euro, von denen in Österreich allerdings lediglich 10 775,52 Euro zur ESt herangezogen wurden; soweit es sich um Sonderzahlungen des dortigen Arbeitgebers handelte, blieben diese steuerfrei.
Die Eheleute beantragten die Zusammenveranlagung gem. § 1 Abs. 3, § 1a EStG, was das FA ablehnte. Das FG gab der Klage statt (FG München, Urteil vom 21.09.2007, 8 K 1786/05, Haufe-Index 1834119, EFG 2008, 303).
Entscheidung
Der BFH hob das FG-Urteil auf und wies die Klage ab:
Die Einkünfte der Eheleute in Österreich seien hoch genug, um steuerliche Vorteile infolge der Eheführung dort berücksichtigen zu können. Dass ein Teil jener Einkünfte in Österreich nicht besteuert werde, widerspreche dem nicht. Maßgeblich sei die Einkünfteermittlung nach Maßgabe deutschen Rechts. Die Steuerfreiheit in Österreich schlage auf diese Ermittlung nur durch, wenn jene Einkünfte auch in Deutschland steuerfrei wären. Das aber sei vorliegend nicht der Fall, denn Sonderzahlungen wie hier 13. und 14. Monatsgehälter seien in Deutschland steuerpflichtig.
Hinweis
1. Beanspruchen Eheleute den Vorteil des Ehegatten-Splittings gem. §§ 26, 26b EStG, dann schadet es zwar nicht, wenn einer der Ehegatten in einem anderen EG-Mitgliedstaat wohnt. Gleiches gilt, wenn der eine oder der andere Ehegatte im Inland arbeitet und unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG beantragt, im Inland als fiktiv unbeschränkt steuerpflichtig behandelt zu werden.
2. Erforderlich ist dafür aber, dass die Eheleute die Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 S. 2 EStG einhalten. Und danach dürfen die Einkünfte beider Ehegatten im Kalenderjahr – erstens (= relativ) – mindestens zu 90 % der deutschen ESt unterliegen oder – zweitens (= absolut) – die nicht der deutschen ESt unterliegenden Einkünfte den Betrag von 12 272 Euro nicht übersteigen.
3. Die innerhalb dieser Grenzen bestimmten Einkünfte sind nach deutschem Recht zu ermitteln, was ein zweistufiges Vorgehen erfordert: Zunächst ist das Welteinkommen beider Ehegatten unter Einschluss aller steuerbaren und steuerpflichtigen Inlands- und Auslandseinkünften zu ermitteln. Sodann sind jene Einkünfte auszusondern, die nicht der inländischen "Besteuerung unterliegen".
Unberücksichtigt bleiben bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG 2002 allerdings nicht der deutschen ESt unterliegende Einkünfte, die im Ausland nicht besteuert werden, soweit vergleichbare Einkünfte im Inland steuerfrei sind (§ 1 Abs. 3 S. 4 EStG i.d.F. des JStG 2008). Diese Regelung gilt auch für VZ vor 2008, soweit Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig sind (§ 52 Abs. 1a EStG i.d.F. des JStG 2008).
Zur ersten Prüfungsstufe: Im Urteilsfall arbeitete der Ehemann in Deutschland und erzielte dort Einkünfte aus nicht selbstständiger Tätigkeit. Beide Eheleute lebten in Österreich und vereinnahmten dort zusammen rund 13 000 Euro an weiteren Einkünften. Von diesen Einkünften waren in Österreich zwar lediglich 10 775 Euro steuerpflichtig. Das aber lag daran, dass nach österreichischem ESt-Recht ein 13. und 14. Monatsgehalt der Ehefrau steuerfrei waren und Sozialabgaben als Werbungskosten abgezogen werden konnten. Das weicht vom deutschen ESt-Recht ab; solche Einkünfte sind hier nicht steuerfrei. Folglich minderten sie auch nicht die besagten Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 S. 2 EStG.
Zur zweiten Prüfungsstufe: Von dem so ermittelten Gesamtbetrag ist der der deutschen Besteuerung unterliegende Anteil zu errechnen.
4. Auf dieser Basis ist das Einkommen der Eheleute in ihrem Wohnsitzstaat aber "hoch genug"; ihre persönlichen Verhältnisse, also auch ihr Verheiratetsein, können dort steuerlich berücksichtigt werden. Deswegen muss der Tätigkeitsstaat nicht "ersatzweise einspringen".
Das entspricht letztlich jenen Grundsätzen, welche der EuGH in de...