Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Die mit dem Jahressteuergesetz 1996 nach Anrufung des Vermittlungsausschusses auf Grundlage der Beschlussempfehlungen dieses Gremiums zustande gekommenen einkommensteuerrechtlichen Regelungen über die private Nutzung eines betrieblichen Kfz überschreiten nicht die von Verfassungs wegen zu beachtenden Grenzen für die Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses.
Normenkette
§ 8 Abs. 2 S. 3 EStG, Art. 77 Abs. 2 GG
Sachverhalt
K war nicht-selbstständig tätig. Sein Arbeitgeber hatte ihm einen Dienstwagen auch zur privaten Nutzung überlassen. Die geldwerten Vorteile daraus ermittelte das FA mittels 1 %-Regelung und nach § 8 Abs. 2 S. 3 EStG (0,03 %-Regelung). Mit Klage machte K geltend, nicht täglich mit dem Dienstwagen an seine regelmäßige Arbeitsstätte gefahren zu sein.
Das Niedersächsische FG (Urteil vom 11.05.2009, 4 K 355/08) entsprach dem; es ermittelte auf Grundlage der Entscheidung des VI. Senats (BFH, Urteil vom 04.04.2008, VI R 85/04, BFH/NV 2008, 1237, BFH/PR 2008, 377) den Zuschlag für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht pauschal nach § 8 Abs. 2 S. 3 EStG, sondern nach der konkreten Anzahl der Fahrten.
Entscheidung
Der BFH bestätigte aus den unter Praxis-Hinweise dargelegten Erwägungen die Entscheidung der Vorinstanz hinsichtlich der Anwendung der 0,03 %-Regelung und nahm den Streitfall zum Anlass, angesichts der Einwendungen des BMF die formelle Verfassungsmäßigkeit hinsichtlich der Beteiligung des Vermittlungsausschusses zu prüfen und zu bejahen.
Hinweis
Der Besprechungsfall betrifft ebenfalls die 0,03 %-Zuschlagsregelung. Nachdem das beigetretene BMF u.a. vorgebracht hatte, dass diese Regelung erst durch den Vermittlungsausschuss in das EStG aufgenommen worden sei und eine detaillierte Dokumentation des historischen gesetzgeberischen Willens dazu fehlte, befasste sich der BFH hier mit der Frage der formellen Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung.
1. Die Grenzen für Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses sind gesetzlich nicht geregelt, das BVerfG entnimmt sie aus Stellung und Funktion des Ausschusses (z.B. BVerfG, Urteil vom 07.12.1999, 2 BvR 301/98, Haufe-Index 543525, BStBl II 2000, 162 zu häuslichem Arbeitszimmer; Beschluss vom 15.01.2008, 2 BvL 12/01, BFH/NV Beilage 2008, 248, BFH/PR 2008, 232). Danach darf der Vermittlungsausschuss nicht gleichsam in freier Rechtsschöpfung Beliebiges vorschlagen. Seine Vorschläge zur Änderung, Ergänzung oder Streichung der vom Bundestag beschlossenen Vorschriften müssen sich vielmehr im Rahmen des Anrufungsbegehrens und des ihm zugrunde liegenden Gesetzgebungsverfahrens halten.
2. Danach überschritten die streitigen Regelungen über die private Nutzung eines betrieblichen Kfz nicht die von Verfassungs wegen geltenden Grenzen für die Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses. Denn die steuerliche Erfassung des Vorteils aus der privaten Nutzung betrieblicher Kraftfahrzeuge war zwar im Gesetzentwurf zum Jahressteuergesetz 1996 (Fraktion, Regierung: BTDrucks. 13/901; BTDrucks. 13/1173) noch nicht enthalten. Allerdings gab es Anträge (BTDrucks. 13/936) zur Einschränkung der Absetzbarkeit betrieblich genutzter Pkws, u.a. in Verbindung mit der Entfernungspauschale (BTDrucks. 13/1590). Und der Bundesrat hatte die Empfehlungen seines Finanzausschusses (BRDrucks. 171/95, BRDrucks. 171/2/95, S. 14 ff.) aufgegriffen, der schon die Regelungen (§ 8 Abs. 2 S. 3, 4; § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG) vorgeschlagen hatte. Damit bewegten sich die Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses (BTDrucks. 13/1960; 13/2100) im Rahmen der Kontroversen zwischen Bundestag und Bundesrat und der parlamentarischen Debatte und lagen insbesondere nicht außerhalb der bisherigen Auffassungsunterschiede und Gegenläufigkeiten zwischen Bundestag und Bundesrat.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 22.09.2010 – VI R 55/09