Going-Concern- bzw. Unternehmensfortführungsprognose in der Corona-Pandemie
Die Corona-Pandemie hat viele Routinen über den Haufen geworfen – die Zukunft, die zwar schon immer ungewiss war, ist für ganz viele Branchen mit den unberechenbaren Auswirkungen auf viele Geschäftsmodelle nun jedoch kaum mehr plan- und einschätzbar. Daher macht sich das "Fahren auf Sicht" in Politik und Wirtschaft als scheinbar alternativlose Führungsmaxime breit, was auch etwa ganz praktisch in der temporären Aussetzung der Insolvenzantragspflicht mündete; zumindest für den Insolvenzgrund "Überschuldung" gibt es eine Verlängerung bis zum 31.12.2020. Dies birgt aber ein hohes Gefahrenpotential für Fehlentscheidungen. Wenn keine Abbildung der zukünftigen Entwicklung mehr für möglich gehalten wird, gibt es auch keine Informationsbasis für sinnvolle Entscheidungen.
Annahme der Unternehmensfortführung für mind. 12 Monate
Allerdings fordert der Gesetzgeber spätestens vor Aufstellung des Jahresabschlusses zumindest eine implizite Bestätigung der Annahme der Unternehmensfortführung für mindestens die nächsten 12 Monate nach dem Stichtag. Der Gesetzgeber fordert den Blick in die Zukunft
- neben der Fortführungsprognose etwa auch
- im Lagebericht im Rahmen des Prognoseberichts, in dem auch die wesentlichen Chancen und Risiken des Unternehmens aus Sicht der Unternehmensführung darzustellen sind, oder
- im Jahresabschluss bei der Berücksichtigung bestehender Risiken als Rückstellungen oder Abschreibungen auf Vermögensgegenstände sowie in
- Anhangangaben.
Durch die Corona-Pandemie stellt sich die Frage der Unternehmensfortführung
Die Einschätzung der Annahme der Unternehmensfortführung ist von den gesetzlichen Vertretern des Unternehmens zu treffen, wobei im Regelfall eine echte Prüfung nur notwendig ist, wenn Anhaltspunkte für eine mögliche Verneinung vorliegen. Eine intensivere explizite Prüfung kann daher nur unterbleiben, wenn das Unternehmen in der Vergangenheit nachhaltig Gewinne erzielt hat, davon auch zukünftig auszugehen ist und das Unternehmen leicht auf finanzielle Mittel zurückgreifen kann und keine bilanzielle Überschuldung droht. Dies dürfte bei der aktuellen Corona-Pandemie mit Maßnahmen zu deren Eindämmung, wie Reise- und Kontaktbeschränkungen, allerdings bei vielen Unternehmen aktuell nicht mehr so einfach zu bejahen sein, sodass für viele Unternehmen vielleicht erstmals seit langer Zeit wieder eine explizite Einschätzung dieser Annahme notwendig wird.
Going-Concern: Begründung und Dokumentation wichtig
Der Abschlussprüfer hat die Einschätzung der gesetzlichen Vertreter zu prüfen. Daher müssen die Annahmen der gesetzlichen Vertreter ausreichend begründet und dokumentiert sein. Dabei sind mit aktueller Rechtsprechung (BGH, Urteil v. 26.1.2017, IX ZR 285/14) und der Angleichung des IDW-Prüfungsstandards an die ISA gerade in diesem Bereich die Anforderungen an die Vornahme der Einschätzung der Fortführungsfähigkeit der gesetzlichen Vertreter deutlich gestiegen. So verlangt der IDW PS 270 n.F. nun stets eine dokumentierte Einschätzung und führt deutlich frühere Indikatoren für das mögliche Fehlen der Fortführungsfähigkeit auf. Nach Auffassung des BGH scheidet eine Bilanzierung nach Fortführungswerten aus, wenn innerhalb des Prognosezeitraums damit zu rechnen ist, dass das Unternehmen noch vor dem Insolvenzantrag, im Eröffnungsverfahren oder alsbald nach Insolvenzeröffnung stillgelegt werden wird, d. h., ein Insolvenzgrund besteht. Dies ist unabhängig davon, ob die Insolvenzantragspflicht temporär ausgesetzt ist oder nicht. Bei der Beurteilung, ob von einer Fortführung des Unternehmens auszugehen ist, sind auch nach dem Abschlussstichtag wertaufhellende und wertbegründende Sachverhalte zu berücksichtigen, die in der Zeit von Abschlussstichtag bis zum Aufstellungszeitpunkt eingetreten sind.
Es handelt sich nicht um eine Prüfung auf tatsächliches Vorliegen entgegenstehender rechtlicher oder wirtschaftlicher Gegebenheiten, sondern lediglich um eine Art Vorprüfung. Erst wenn Anhaltspunkte für eine mögliche Durchbrechung der Fortführungsprämisse vorliegen, so ist eingehend zu prüfen, ob der Fortführung der Unternehmenstätigkeit tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen und diese in der Gesamtschau dann der Annahme der Fortführung des Unternehmens über die nächsten 12 Monate entgegenstehen.
Tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten, die der Fortführungsprognose entgegenstehen
Unter tatsächlichen Gegebenheiten, die zur Aufgabe der Fortführungsprämisse führen, sind primär wirtschaftliche Umstände bzw. Probleme zu verstehen, die bereits eingetreten sind oder mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten werden und infolge ihrer schwerwiegenden Auswirkungen einem Fortbestehen des Unternehmens entgegenstehen. Darüber hinaus können auch nicht-wirtschaftliche Tatbestände zu einer Durchbrechung des Grundsatzes der Unternehmensfortführung führen. Die tatsächlichen Gegebenheiten sind dabei stets im gesamtwirtschaftlichen Kontext eines Unternehmens unter Berücksichtigung des unternehmerischen Ziels (geplante Liquidation/Fortführungswille) sowie etwaiger Sanierungsmaßnahmen zu betrachten. Infolge der Konsequenzen einer Durchbrechung(soffenlegung) für eine Sanierung und mangels objektiver Kriterien bzw. Schwellenwerte für tatsächliche Gegebenheiten dürfte eine Aufgabe der Fortführungsprämisse in der Praxis unter Berufung auf tatsächliche Gegebenheiten zumindest dann kaum vorzufinden sein, wenn der Unternehmer bzw. das Management das Unternehmen fortführen/retten will. Die tatsächlichen Gegebenheiten sind dabei gewissermaßen als Vorstufe zu den rechtlichen Gegebenheiten zu betrachten. Werden sie nicht erkannt oder scheinen geplante Sanierungsmaßnahmen geeignet, diese Umstände zu beseitigen, erzielen dann aber letztlich nicht die geplanten Effekte, so führen schlussendlich stets rechtliche Gegebenheiten zur Aufgabe der Fortführung.
Zu rechtlichen Gegebenheiten, die einer Fortführung der Unternehmstätigkeit entgegenstehen können, zählen insbesondere die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, die Verfassung eines Auflösungsbeschlusses sowie sonstige gesetzliche oder behördliche Vorschriften oder Auflagen, die eine Fortführung verhindern.
Fortführungsprämisse: auch Steuerberater und Abschlussprüfer in der Pflicht
Diese Pflicht zur Befassung mit der Fortführungsprämisse ist aus Sicht des BGH auch notwendig bei der die Aufstellung unterstützende Erstellung eines Jahresabschlusses durch einen Steuerberater. Dieser hat bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit bei Erstellung des Jahresabschlusses solche Umstände zu erkennen und muss dann entweder klären, ob diese Umstände tatsächlich vorliegen oder tatsächlich nicht geeignet sind, die Fortführungsprognose in Frage zu stellen, oder er muss dafür Sorge tragen, dass die Gesellschaft eine explizite Fortführungsprognose erstellt.
Im Rahmen der Abschlussprüfung wird dann gewürdigt, ob die getroffenen Annahmen auf aktuellen Informationen aufsetzen, ob sie konsistent sind und ob das tatsächliche Handeln der gesetzlichen Vertreter nicht im Widerspruch zu den getroffenen Annahmen steht, s. dazu unsere News Coronavirus und die Auswirkungen auf die Jahresabschlussprüfung.
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