Leitsatz (amtlich)
Lehnt es das FA ab, einen unanfechtbar gewordenen Steuerbescheid gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG zu ändern, so ist der Ablehnungsbescheid kein im Sinne des § 69 FGO vollziehbarer Verwaltungsakt.
Normenkette
FGO § 69; StAnpG § 4 Abs. 3 Nr. 2
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin erwarb im Jahre 1965 zwei Trümmergrundstücke in Berlin. Das FA - Beschwerdegegner - nahm den Erwerb der Grundstücke antragsgemäß vorerst nach § 1 Nr. 2 des Berliner Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau und den Wiederaufbau von Trümmergrundstücken in der Fassung vom 30. Mai 1956 - LG - (Gesetz- und Verordnungsblatt S. 541 - GVBl 541 -) von der Besteuerung nach dem GrEStG aus. Als die Beschwerdeführerin die Grundstücke Ende September 1968 einem anderen Interessenten zum Kauf anbot, folgerte der Beschwerdegegner hieraus, daß die Beschwerdeführerin ihre Absicht, auf den Grundstücken einen Dauerbau zu errichten, aufgegeben habe. Er setzte gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Nr. 1a LG durch Steuerbescheide vom 16. Oktober 1968 Grunderwerbsteuer fest. Die Beschwerdeführerin legte zunächst gegen jeden Steuerbescheid Einspruch ein, nahm die Einsprüche aber zurück.
Ende Januar 1969 widerrief die Beschwerdeführerin das (ab Ende November 1968 widerrufbar gewesene) Kaufangebot und beantragte, die Steuerbescheide aufzuheben, da sie selbst nunmehr die Grundstücke bebauen werde. Sie habe den Plan einer eigenen Bebauung nie endgültig aufgegeben, auch als erwogen worden sei, die Grundstücke zu veräußern.
Der Beschwerdegegner lehnte die Anträge auf Aufhebung der Steuerbescheide durch Bescheid vom 13. Februar 1969 ab.
Den hinsichtlich des einen Grundstücks eingelegten Einspruch wies der Beschwerdegegner durch Einspruchsentscheidung zurück. Über die hiergegen erhobene Klage hat das FG noch nicht entschieden. Über den Einspruch hinsichtlich des anderen Grundstücks liegt eine Einspruchsentscheidung noch nicht vor.
Mit Schriftsatz vom 12. Mai 1969 hat die Beschwerdeführerin beantragt, die Vollziehung der beiden Grunderwerbsteuerbescheide vom 16. Oktober 1968 gemäß § 69 Abs. 3 FGO auszusetzen.
Das FG lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab, weil die Steuerbescheide vom 16. Oktober 1968 infolge Rücknahme der Einsprüche unanfechtbar geworden seien. Sollte der Aussetzungsantrag sich auf den Bescheid vom 13. Februar 1969 beziehen, so komme eine Aussetzung der Vollziehung ebenfalls nicht in Betracht, weil diese Entscheidung kein Leistungsgebot enthalte.
Der Beschwerde half das FG nicht ab.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Die Beschwerdeführerin wiederholt mit der Beschwerde ihren Antrag, unter Aufhebung des Beschlusses des FG die Vollziehung der beiden Grunderwerbsteuerbescheide vom 16. Oktober 1968 auszusetzen.
Der BFH hat wiederholt entschieden, daß das Aussetzungsverfahren nur ein - wenn auch selbständiges - Nebenverfahren zu einem anhängigen oder künftig möglichen (§ 69 Abs. 3 Satz 2 FGO) Hauptverfahren ist. Die Frage, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2, Abs. 2 Satz 2 FGO), kann sich im Aussetzungsverfahren nicht mehr stellen, wenn das Gericht in der Hauptsache den Verwaltungsakt auf seine sachliche Rechtmäßigkeit schon deshalb nicht mehr überprüfen könnte, weil der Verwaltungsakt - sei es wegen versäumter Rechtsbehelfsfrist, sei es wegen wirksamer Rechtsbehelfsrücknahme - unanfechtbar geworden ist (BFH-Beschlüsse II B 3/67 vom 9. Mai 1967, BFH 88, 541, BStBl III 1967, 472; VI B 77/67 vom 12. Januar 1968, BFH 91, 219, BStBl II 1968, 278; III B 44/69 vom 31. Juli 1970, BFH 100, 166, BStBl II 1970, 846; II B 42/70 vom 24. November 1970, BFH 100, 438, BStBl II 1971, 110). Unstreitig sind die beiden Steuerbescheide vom 16. Oktober 1968, deren Vollziehungsaussetzung die Beschwerdeführerin ausdrücklich begehrt, durch wirksame Rücknahme der Einsprüche unanfechtbar geworden. Ein gegen diese Steuerbescheide (erneut) eingelegter Einspruch müßte als unzulässig verworfen werden; in einem sich dagegen anschließenden Klageverfahren könnten diese Steuerbescheide auf ihre Rechtmäßigkeit nicht überprüft werden.
Die Beschwerdeführerin meint mit der Beschwerde, diese Grundsätze könnten nicht gelten, wenn ein unanfechtbar gewordener Verwaltungsakt gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG rückgängig gemacht werden könne. Sie beruft sich hierfür zu Unrecht auf den BFH-Beschluß VII B 9/66 vom 24. Januar 1967 (BFH 88, 18, BStBl III 1967, 253). Die Beschwerdeführerin übersieht dabei zunächst, daß die Steuerbescheide vom 16. Oktober 1968 nicht Gegenstand des Haupt-(Klage-) verfahrens sind, allenfalls nur mittelbar über die möglichen Rückwirkungen des angefochtenen Ablehnungsbescheids vom 13. Februar 1969. Dagegen richtet sich die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens durch Restitutionsklage (§ 134 FGO; §§ 578, 580 ZPO) unmittelbar gegen das Urteil selbst, dem - ausnahmsweise - wegen dem Urteil anhaftenden besonders schweren Mängeln die Grundlagen, auf denen es beruht, entzogen sind. Das Urteil selbst war wegen Abgaben- und Kostenbeiträgen vollziehbar. Es war also - wie der BFH, a. a. O., (BFH 88, 19) hervorhebt - durch die Restitutionsklage unmittelbar die Lage eingetreten, wie sie bei der Anfechtung noch nicht rechtskräftiger Urteile mit den vorgesehenen Rechtsbehelfen eintritt. Die Zulässigkeit der Restitutionsklage vorausgesetzt (§ 589 ZPO) ist über die Hauptsache selbst, insoweit sie von der Anfechtungsklage betroffen ist, also unmittelbar über einen vollziehbaren Gerichts- bzw. über den zugrunde liegenden Verwaltungsakt zu verhandeln.
Der vorliegende Fall liegt anders als der im BFH-Beschluß VII B 9/66 vom 24. Januar 1967 entschiedene. Wird ein Steuerbescheid nachträglich aufgrund zutreffender Änderungs-(Berichtigungs-) Vorschriften geändert (berichtigt), so kann der Änderungsbescheid in gesetzlich zulässigem Rahmen erneut mit den vorgesehenen Rechtsbehelfen angegriffen, seine Vollziehung gegebenenfalls also entsprechend ausgesetzt werden. Wird dagegen die Änderung (Berichtigung, Rücknahme) eines Steuerbescheids (ganz oder zum Teil) abgelehnt, so handelt es sich bei dem zu erteilenden Bescheid um einen Ablehnungsbescheid im Sinn des § 229 Nr. 4 AO, der seinerseits mit Einspruch und Klage (§ 40, § 42 Abs. 1 FGO) anfechtbar ist. Dieser Ablehnungsbescheid selbst enthält keine Anordnung oder Feststellung, die durch Vollziehung der Finanzbehörde erzwingbar wäre. Wenn das FA die Änderung (Berichtigung) eines Steuerbescheids ablehnt, so ist der darin liegende Verwaltungsakt einer Vollziehung nicht fähig. Vielmehr trägt die Ablehnung ihre Verwirklichung in sich selbst; vom Steuerpflichtigen wird durch diesen Verwaltungsakt nichts gefordert, was bei Verweigerung vom FA durch Vollziehungsmaßnahmen erzwungen werden könnte oder müßte. § 69 FGO will aber, da durch die Erhebung einer Klage die Vollziehung, insbesondere die Erhebung einer Abgabe (Steuer) grundsätzlich nicht gehemmt wird (§ 69 Abs. 1), dem Steuerpflichtigen einen vorläufigen Rechtsschutz nur in den Fällen gewähren, in denen wegen zweifelhafter Rechtslage oder aus Härtegründen durch Vollziehung gerade des angefochtenen Verwaltungsaktes schutzwürdige Interessen des Steuerpflichtigen beeinträchtigt werden könnten. Ist jedoch der angefochtene Verwaltungsakt selbst nicht vollziehbar, so können während des diesen Verwaltungsakt betreffenden Klageverfahrens derartige Interessen nicht verletzt werden (vgl. die BFH-Beschlüsse VI B 72/67 vom 1. Dezember 1967, BFH 91, 138, 140, BStBl II 1968, 287; III B 7/67 vom 16. Februar 1968, BFH 92, 28, BStBl II 1968, 443; II B 28/70 vom 24. September 1970, BFH 100, 83, BStBl II 1970, 813; II B 42/70 vom 24. November 1970, BFH 100, 438, BStBl II 1971, 110 - für einen Fall der Ablehnung einer Änderung wegen Versäumung der Einspruchsfrist -, alle mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung des BFH; vgl. noch für den Fall der Ablehnung der Nichterhebung von Grunderwerbsteuer gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG, § 5 Abs. 4, § 5 StAnpG, BFH-Beschluß II B 51/69 vom 11. Dezember 1969, BFH 97, 296, BStBl II 1970, 132). Vorläufiger Rechtsschutz kann in solchen Fällen nur durch einstweilige Anordnung gemäß § 114 FGO gewährt, unbillige Härten können gegebenenfalls durch Stundung (§ 127 AO) oder durch einstweiligen Vollstreckungsschutz (vgl. § 333 AO) vermieden werden (vgl. außer dem BFH-Beschluß II B 51/69 vom 11. Dezember 1969 a. E. noch Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2.-4. Aufl., § 69 FGO, Tz. 3).
Selbst wenn also die Beschwerdeführerin - entgegen dem Wortlaut auch ihres Beschwerdeantrags - die Aussetzung der Vollziehung des mit Einspruch und - hinsichtlich des einen der Grundstücke bereits - mit Klage angefochtenen Ablehnungsbescheids vom 13. Februar 1969 erstreben sollte, könnte einem solchen Antrag mit Hilfe des § 69 FGO nicht entsprochen werden.
Ob dem Begehren der Beschwerdeführerin durch Erlaß einer einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO) stattgegeben werden könnte, war in diesem Verfahren nicht zu entscheiden, da beide Verfahrensarten nicht austauschbar sind (BFH-Beschluß II B 41/67 vom 14. Mai 1968, BFH 92, 179, 183, BStBl II 1968, 503) und da die Beschwerdeführerin beim FG (§ 114 Abs. 2 Satz 2 FGO) keinen entsprechenden Antrag gestellt hat, die Entscheidung des FG ausweislich ihres Tenors nur die Aussetzung der Vollziehung betrifft, irgendwelche Umdeutungen somit ausscheiden (BFH 91, 138, 140; 100, 83, 85).
Fundstellen
BStBl II 1971, 334 |
BFHE 1971, 346 |