Leitsatz (amtlich)
Die Haftung des Betriebsübernehmers für Steuerschulden des Betriebsveräußerers nach § 75 Abs. 1 AO 1977 erfaßt - ebenso wie nach § 116 RAO - auch die Umsatzsteuerschuld, die durch den mit der Unternehmensveräußerung bewirkten Umsatz entstanden ist.
Normenkette
AO 1977 § 75 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin, eine Kommanditgesellschaft, hat zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesfinanzhof (BFH) betreffend die Aufhebung bzw. Aussetzung der Vollziehung eines Haftungsbescheids (§ 75 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) über 72 098, 10 DM die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe beantragt. Dem Aussetzungsverfahren liegt der folgende Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin schloß am 1. März 1979 mit der X-KG einen Kaufvertrag über den Erwerb von drei Einzelhandelsfilialen - unstreitig gesondert geführte Betriebe i. S. von § 75 Abs. 1 AO 1977 - ab. In dem Kaufvertrag war vereinbart, daß die Geschäfte am 1. August 1979 übergeben und mit der Übergabe die Nutzungen und Lasten auf die Klägerin übergehen sollten. Die Betriebsveräußerung wurde vereinbarungsgemäß am 1. August 1979 durchgeführt.
Im August 1979 wies das zuständige Amtsgericht einen Antrag der X-KG auf Eröffnung des Konkursverfahrens ab.
Das Finanzamt hat daraufhin die Klägerin als Erwerberin der drei Filialen wegen der Steuerrückstände der X-KG mit Haftungsbescheid vom 31. Oktober 1979 in Höhe von 80 000 DM, darunter Umsatzsteuer aus der Veräußerung der drei Filialen mit 60 000 DM als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen (§ 75 Abs. 1 AO 1977).
Wegen des Haftungsbescheids erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage, über die noch nicht entschieden ist. Gleichzeitig beantragte sie beim Finanzgericht die Aussetzung des Haftungsbescheids, nachdem die Verwaltung eine entsprechende Maßnahme abgelehnt hatte.
Die Klägerin hat beantragt, die Vollziehung des Haftungsbescheids im Betrag von 60 000 DM aufzuheben.
Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt:
Die Heranziehung als Haftungsschuldnerin wegen der aus der Geschäftsveräußerung entstandenen Umsatzsteuer sei rechtsfehlerhaft. Da die Übereignung am 1. August 1979 stattgefunden habe, sei die hierauf entfallende Umsatzsteuerschuld mit Ablauf des Monats August 1979 entstanden (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a i. V. m. § 18 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes - UStG 1967 -). Nach dem Wortlaut des § 75 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 könne sie nur für Steuerschulden des Betriebsveräußeres haftbar gemacht werden, die vor der Übereignung entstanden seien (Hinweis auf Heinke, Deutsche Steuer-Zeitung 1980 S. 209, und Rössler, Neue Wirtschafts-Briefe, Fach 2, S. 3709).
Das Finanzgericht hat dem Aussetzungsbegehren nicht entsprochen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist abzulehnen.
Die Gewährung von Prozeßkostenhilfe setzt auch bei parteifähigen Vereinigungen von der Art der Klägerin voraus, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 116 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 114 Satz 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO - in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes über Prozeßkostenhilfe vom 13. Juni 1980, BGBl I 1980, 677).
Hinsichtlich des sich auf die Geschäftsveräußerung als solche beziehenden Aussetzungsbegehrens ist dies nicht der Fall. Die Auffassung der Klägerin, durch die geänderte Fassung des § 75 AO 1977 gegenüber § 116 der Reichsabgabenordnung -RAO - (Austausch des Wortes "entfallen" durch das Wort "entstanden") sei eine sachliche Änderung hinsichtlich des Endtermins des Haftungszeitraums eingetreten, trifft nicht zu. Das Finanzgericht ist mit Recht davon ausgegangen, daß sich weder aus der Begründung zum Regierungsentwurf einer Abgabenordnung (Bundestags-Drucksache VI/1981) noch aus dem Bericht und Antrag des Finanzausschusses (7/4292) ein Anhaltspunkt dafür ergibt, daß die Vorschrift gegenüber dem früheren § 116 RAO in diesem Punkt sachlich geändert werden sollte. Geändert wurde lediglich der Beginn des Zeitraums, auf den sich die Haftung des Erwerbers für die Steuerrückstände des Veräußeres erstreckt und zwar dahin gehend, daß sich die Haftung auf die Steuern bezieht, die seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entstanden sind. Ebenso wie in § 116 RAO ist mit dieser Fassung das Ende des Zeitraums, auf den sich die Haftung des Erwerbers für die fremde Steuerschuld erstreckt, nicht angesprochen. Es ist daher für die Umsatzsteuer davon auszugehen, daß für das Ende des maßgeblichen Zeitraums darauf abzustellen ist, ob der bewirkte Umsatz dem Veräußerer oder dem Erwerber zuzurechnen ist. Die im Urteil des Bundesfinanzhofs vom 6. Oktober 1977 V R 50/74, BFHE 124, 90, BStBl II 1978, 241 entwickelten Grundsätze sind daher auch für die Auslegung des § 75 AO 1977 beizubehalten. Steuerschuldner für den mit der Geschäftsveräußerung bewirkten Umsatz war demnach die X-KG, weil ihr dieser Umsatz zuzurechnen ist, unbeschadet des Umstandes, daß die Steuerschuld erst nach der Geschäftsveräußerung entstanden ist (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a i. V. m. § 18 Abs. 2 UStG 1967). Daß die Steuerschuld erst nach der Geschäftsveräußerung entstanden ist, führt - entgegen der Auffassung der Klägerin - zu keinem Wechsel in der Person des Steuerschuldners. Die Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin für die in der Person der X-KG als Geschäftsveräußerer entstandenen Umsatzsteuerschulden läßt einen Ermessensfehler nicht erkennen.
Fundstellen
BStBl II 1982, 490 |
BFHE 1982, 394 |