Leitsatz (amtlich)
1. Für die Entscheidung, ob eine Betriebsveräußerung im ganzen vorliegt, ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem das wirtschaftliche Eigentum an den veräußerten Wirtschaftsgütern übertragen wird.
2. Die Begriffe "Gewerbebetrieb" und "Teilbetrieb" sind tätigkeitsbezogen auszulegen.
3. Voraussetzung einer Teilbetriebsveräußerung bzw. -aufgabe ist, daß der Gewerbetreibende eine bestimmte gewerbliche Tätigkeit aufgibt.
4. Erst wenn die Aufgabe einer gewerblichen Tätigkeit festgestellt ist, stellt sich als weitere Voraussetzung einer Teilbetriebsveräußerung bzw. -aufgabe die Frage, ob die aufgegebene Tätigkeit einen organisch geschlossenen, mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteten Teil eines Gesamtbetriebs verkörpert, der für sich allein lebensfähig ist.
Normenkette
EStG 1969 § 15 Nr. 1, § 16 Abs. 1 Nr. 1; EStG 1984 § 15 Abs. 2; GewStDV § 1 Abs. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb bis zum Jahre 1970 auf einem gepachteten Grundstück in H. eine Offset-Druckerei, in der er im wesentlichen Versandhauskataloge und Prospekte für einen Großkunden druckte. Deren Aufträge machten im Jahre 1969 94 v. H. des klägerischen Gesamtumsatzes aus. Mit Verträgen vom 31. Juli 1969 veräußerte der Kläger die Offset-Druckerei mit sämtlichem Inventar an die R-AG zum Kaufpreis von 1,8 Mio. DM. Nach dem Vertrag wurden der Firmenname, alle Forderungen und alle Verbindlichkeiten von der Erwerberin nicht übernommen. Diese trat jedoch in den Leasing-Vertrag für den Gabelstapler und in den Mietvertrag für eine Telefonanlage ein. Die Erwerberin übernahm auch 12 von 42 Arbeitnehmern des Klägers. Die Übergabe der Druckerei erfolgte am 15. März 1970.
Noch im Jahre 1969 errichtete der Kläger auf einem etwa 150 m entfernt liegenden Grundstück einen Kupfertiefdruck-Betrieb, der im November/Dezember 1969 die Produktion aufnahm. Für etwa vier Monate betrieb er die Produktionsbereiche Offset und Kupfertiefdruck nebeneinander. Nach dem 15. März 1970 führte er allein den Tiefdruck-Betrieb weiter.
Aus der Veräußerung der Offset-Druckerei erzielte der Kläger einen Gewinn von rd. 1 Mio. DM. Diesen behandelte er als nach §§ 16, 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) tarifbegünstigt.
Nach einer Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) in einem endgültigen Einkommensteuerbescheid 1970 die Auffassung, es liege weder eine Betriebs- noch eine Teilbetriebsveräußerung vor, weil der Kläger nur wesentliche Betriebsmittel (Maschinen und Einrichtungen für den Offsetdruck) verkauft habe.
Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und § 16 Abs. 1 EStG. Das Finanzgericht (FG) sei seiner Verpflichtung, den Sachverhalt aufzuklären, insoweit nicht nachgekommen, als es ohne eigene Ermittlungen das Vorhandensein getrennter buchmäßiger Abrechnungen verneint habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1970 dahin abzuändern, daß der Veräußerungsgewinn tarifbegünstigt gemäß §§ 16, 34 EStG besteuert wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
1. Eine Betriebsveräußerung im ganzen i. S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG liegt vor, wenn ein Betrieb mit seinen wesentlichen Grundlagen und unter Aufrechterhaltung des geschäftlichen Organismus auf einen Erwerber übergeht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Januar 1966 IV 76/63, BFHE 84, 461, BStBl III 1966, 168 ). Für die Entscheidung, ob eine Betriebsveräußerung im ganzen vorliegt, ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem das wirtschaftliche Eigentum an den veräußerten Wirtschaftsgütern übertragen wird. Dies ist bisher nur für die Teilbetriebsveräußerung so entschieden worden (vgl. BFH-Urteil vom 16. Juli 1970 IV R 227/68, BFHE 99, 535, BStBl II 1970, 738 ), muß jedoch für die Betriebsveräußerung im ganzen entsprechend gelten. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG war der 15. März 1970 der Zeitpunkt der Veräußerung. An diesem Tage bestand der klägerische Betrieb aus einer Offset- und aus einer Tiefdruck-Druckerei. Veräußert wurde aber nur die Offset-Druckerei. Die Tiefdruck-Druckerei wurde vom Kläger über den 15. März 1970 hinaus fortgeführt. Damit scheidet die Annahme einer Betriebsveräußerung im ganzen begrifflich aus.
2. Eine Teilbetriebsveräußerung i. S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG liegt nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung vor, wenn ein organisch geschlossener, mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter Teil eines Gesamtbetriebs, der für sich allein lebensfähig ist, entgeltlich auf einen Erwerber übertragen wird. Es müssen die veräußerten Wirtschaftsgüter eine Untereinheit nach Art eines selbständigen Zweigbetriebs in dem Sinne bilden, daß sie als eigenes Unternehmen fortgeführt werden könnten (vgl. BFH-Urteile vom 13. Februar 1980 I R 14/77, BFHE 130, 384, BStBl II 1980, 498 , und vom 15. März 1984 IV R 189/81, BFHE 140, 563, BStBl II 1984, 486 , m. w. N.).
Zwar sind gegenüber dieser Auffassung im Schrifttum Bedenken geäußert worden (vgl. Hermstädt, Betriebs-Berater - BB - 1979, 96; Tiedtke, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1979, 543; Felix, Steuerberaterkongreß-Report 1980, 135). Die Bedenken greifen jedoch nicht durch. Wenn das EStG den Begriff "Teilbetrieb" nicht definiert, so bedeutet dies nur, daß es sich um einen Rechtsbegriff handelt, dessen Konkretisierung vom Gesetzgeber der Rechtsprechung und der Rechtswissenschaft überlassen wurde. Die Ausfüllung muß sich einerseits an der Auslegung des Begriffs "Gewerbebetrieb" als des Oberbegriffs und andererseits an der Unterscheidung zwischen "Teilbetrieb" und "Betriebsteil" ausrichten.
Gewerbebetrieb ist nach § 15 Abs. 2 EStG i. d. F. des Steuerentlastungsgesetzes vom 22. Dezember 1983 - EStG 1984 - (BGBl I 1983, 1583, BStBl I 1984, 14) eine mit Gewinnabsicht unternommene, selbständige und nachhaltige Tätigkeit, die sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt und weder Ausübung von Land- und Forstwirtschaft, noch Ausübung eines freien Berufs, noch eine andere selbständige Arbeit ist. § 15 Abs. 2 EStG 1984 entspricht im wesentlichen der Definition des Gewerbebetriebs in § 1 Abs. 1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV), die nach allgemeiner Meinung für die Zeit vor Inkrafttreten des § 15 Abs. 2 EStG 1984 zur Auslegung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG herangezogen wurde. Aus § 15 Abs. 2 EStG 1984, § 1 Abs. 1 GewStDV folgt dann aber, daß der Begriff "Gewerbebetrieb" tätigkeitsbezogen zu verstehen ist. Da der Gewerbebetrieb der Oberbegriff für den Teilbetrieb ist, ist auch der Teilbetrieb tätigkeitsbezogen auszulegen. Voraussetzung einer Teilbetriebsveräußerung bzw. -aufgabe ist deshalb, daß der Gewerbetreibende eine bestimmte gewerbliche Tätigkeit aufgibt. Erst wenn dies festgestellt ist, stellt sich als weitere Voraussetzung einer Teilbetriebsveräußerung bzw. -aufgabe die Frage, ob es sich um einen organisch geschlossenen, mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteten Teil eines Gesamtbetriebs handelt, der für sich allein lebensfähig ist. Die Veräußerung von Wirtschaftsgütern erfolgt ggf. aus Anlaß der Aufgabe einer gewerblichen Tätigkeit. So wie die Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens nur der gewerblichen Tätigkeit dienen, jedoch nicht mit ihr begrifflich identisch sind, so weist die Veräußerung bestimmter Wirtschaftsgüter allenfalls auf die Aufgabe einer gewerblichen Tätigkeit hin. Jedoch hat die Veräußerung selbst der wesentlichen Betriebsgrundlagen nicht zwangsläufig die Aufgabe der gewerblichen Tätigkeit zur Folge. Begrifflich ist die Übertragung von Wirtschaftsgütern losgelöst von der Aufgabe der gewerblichen Tätigkeit zu sehen. Aus diesem Grunde kann sich der Teilbetrieb als Begriff auch nicht ausschließlich nach dem Umfang der aufzulösenden stillen Reserven der veräußerten Wirtschaftsgüter richten.
3. Nach den Feststellungen des FG bestand die vom Kläger bis zum 15. März 1970 ausgeübte gewerbliche Tätigkeit im wesentlichen in dem Druck von Katalogen und Programmen für einen Großkunden. Die Druckaufträge des Großkunden machten im Jahre 1969 94 v. H. des klägerischen Gesamtumsatzes aus. Diese Tätigkeit führte der Kläger auch nach dem 15. März 1970 fort. Er druckte weiterhin Kataloge und Programme für den Großkunden. Damit blieben die hergestellten Druckerzeugnisse und ihr Abnehmer die gleichen. Lediglich die Produktionsmittel sind verändert worden. Bei ihnen handelt es sich jedoch um Wirtschaftsgüter, die zwar dem Betrieb dienen, jedoch mit ihm nicht identisch sind. Damit fehlt es an der Aufgabe einer gewerblichen Tätigkeit als Voraussetzung für eine Teilbetriebsveräußerung. Deshalb kann sich die weitere Frage nicht stellen, ob die aufgegebene Tätigkeit einen organisch geschlossenen Teil des Gesamtbetriebs verkörperte.
Die gegenüber den Feststellungen des FG vom Kläger erhobenen Rügen greifen nicht durch. Das FG hat seine Verpflichtung, den Sachverhalt aufzuklären, nicht schon deshalb verletzt, weil es der Behauptung des Klägers nicht weiter nachgegangen ist, es hätten für den Offset- und den Tiefdruck-Bereich getrennte Betriebsleitungen und getrennte Buchführungen bestanden. Die Verpflichtung, den Sachverhalt aufzuklären, bezieht sich auf die entscheidungserheblichen Tatsachen. Der Teil eines Gesamtbetriebs kann aber nicht allein deshalb als Teilbetrieb i. S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG angesehen werden, weil für ihn eine eigene Betriebsleitung und eine eigene Buchführung eingerichtet wurden. Auf die eigene Betriebsleitung und eine abgegrenzte Buchführung kann es nur dann ankommen, wenn die Aufgabe einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit festgestellt wurde und zu beurteilen ist, ob die aufgegebene Tätigkeit für sich genommen einen Teilbetrieb darstellte. An dieser Voraussetzung fehlt es für den Streitfall.
Zu Recht ist das FG auch der Frage nicht weiter nachgegangen, ob der Betrieb des Klägers durch kapitalbezogene oder durch andere Faktoren geprägt war. Die entsprechende Unterscheidung kann allenfalls für die Beurteilung der Rechtsfrage von Bedeutung sein, ob eine bestimmte aufgegebene gewerbliche Tätigkeit für sich genommen einen Teilbetrieb bildete. Diese Frage steht jedoch nicht zur Entscheidung an, wenn - wie im Streitfall - festgestellt wird, daß der Kläger seine bisherige gewerbliche Tätigkeit nicht aufgab, sondern fortführte.
4. Erfüllt aber die Veräußerung der Offset-Druckerei weder die Voraussetzungen einer Betriebsveräußerung im ganzen noch die einer Teilbetriebsveräußerung, so entfällt die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG und damit auch die Anwendung des § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG. Entsprechend ist der aus der Veräußerung erzielte Gewinn dem Normalsteuersatz zu unterwerfen.
Fundstellen
BStBl II 1985, 245 |
BFHE 1985, 433 |