Leitsatz (amtlich)
1. Die bürgerlich-rechtliche Regelung, daß eine Ehe erst mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils aufgelöst ist (§§ 29, 41 EheG), ist auch für das Einkommensteuerrecht maßgebend.
2. Ob Ehegatten während des Scheidungsverfahrens im Sinne von § 26 Abs. 1 EStG dauernd getrennt leben, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab.
2. Lehnt das FA die von den Ehegatten gewählte Zusammenveranlagung ab und führt es eine Einzelveranlagung durch, so ist die auf Zusammenveranlagung gerichtete Klage eine Verpflichtungsklage. Ist die Klage begründet und die Sache spruchreif, darf das FG die Zusammenveranlagung nicht selbst durchführen. Es hat lediglich die Verpflichtung des FA auszusprechen, die Steuerfestsetzung im Wege der Zusammenveranlagung durchzuführen.
Normenkette
EStG 1965 § 26 Abs. 1, § 26b; FGO § 40 Abs. 1, § 101
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) wurde durch Urteil vom 13. April 1966, das am 23. Juni 1966 rechtskräftig wurde, von ihrem Ehemann geschieden. Bis zum 23. Juni 1966 unterhielten die Ehegatten eine häusliche Gemeinschaft. Bis zu diesem Zeitpunkt bestand zwischen den Eheleuten auch eine Wirtschaftsgemeinschaft. Mit der Einkommensteuererklärung 1966 wählten die Eheleute die Zusammenveranlagung. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) veranlagte die Klägerin nach der Grundtabelle. Das FA lehnte eine Zusammenveranlagung der Eheleute ab, weil die Ehe vom Tage der Verkündung des Scheidungsurteils ab nicht mehr bestanden habe und deshalb die Viermonatsfrist des § 26 Abs. 1 EStG 1965 nicht gewahrt sei. Der Einspruch hatte in diesem Punkt keinen Erfolg.
Das FG gab der Klage statt und führte aus: Eine Ehe gelte bürgerlich-rechtlich erst mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils als aufgelöst. Im Streitfall hätten die Ehegatten bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils und damit länger als vier Monate zusammengelebt. Ihr Einkommen hätten sie gemeinsam im Betrieb der Klägerin erwirtschaftet und aus der Geschäftskasse ihre Entnahmen getätigt. Die äußeren Umstände sprächen im Streitfall dafür, daß die Klägerin mit ihrem früheren Ehemann mindestens bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft aufrechterhalten habe. Die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung der Eheleute seien gegeben. Das FG veranlagte die Klägerin nach der Splittingtabelle.
Mit der Revision rügt das FA fehlerhafte Auslegung des § 26 EStG. Nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift seien nur die Ehegatten steuerlich zu begünstigen, die in einer intakten Ehe zusammenlebten. Hätten sich die Ehegatten auseinandergelebt und führe dies zur Scheidung, so dürfe die Ehe nicht bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils steuerlich als existent behandelt werden. § 26 EStG setze u. a. voraus, daß die Ehegatten mindestens vier Monate nicht dauernd getrennt gelebt hätten. Das am 4. November 1965 in erster Instanz ergangene Scheidungsurteil begründe den äußeren Anschein gegen den Fortbestand einer ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft im Jahre 1966. Bereits mit der Einleitung des Scheidungsverfahrens hätten die Eheleute zum Ausdruck gebracht, daß der gemeinsame Wille zur Lebensgemeinschaft nicht mehr vorhanden gewesen sei. Die Auflösung der Ehe habe lediglich bestätigt, daß eine Lebensgemeinschaft zwischen den Ehegatten - und zwar bereits vor Rechtskraft des Scheidungsurteils - nicht mehr bestanden habe. Nur dann, wenn im Berufungsverfahren das Scheidungsurteil aufgehoben worden wäre und die Ehegatten die Lebensgemeinschaft wieder fortgesetzt hätten, hätte man von einer nur vorübergehenden, unschädlichen Unterbrechung der ehelichen Lebensgemeinschaft sprechen können. Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 5. Oktober 1966 VI 42/65, BFHE 87, 208, BStBl III 1967, 84) sei bei der Beurteilung der Frage, ob die eheliche Lebensgemeinschaft fortbestehe, auf das Gesamtbild der Verhältnisse abzustellen. Dabei seien in erster Linie die äußeren Verhältnisse maßgebend. Bei dem hier vorliegenden klaren Sachverhalt könnten die mehr allgemeinen Einwendungen der Klägerin, sie habe auch nach Ergehen des Scheidungsurteils mit ihrem geschiedenen Ehemann die "häusliche Gemeinschaft" fortgesetzt und mit ihm zusammen gemeinsam Einkünfte erwirtschaftet, die Rechtsauffassung des FA nicht widerlegen. Weder die Klägerin noch ihr Ehemann hätten eindeutig erklärt, daß sie im Sinne des § 26 EStG dauernd getrennt oder nicht dauernd getrennt gelebt hätten.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Nach § 26 Abs. 1 EStG 1965 können Ehegatten zwischen der getrennten Veranlagung und der Zusammenveranlagung wählen, wenn beide unbeschränkt steuerpflichtig sind, sie nicht dauernd getrennt leben und diese Voraussetzungen im Veranlagungszeitraum mindestens vier Monate bestanden haben. Im Streitfall ist das FG zutreffend davon ausgegangen, daß die Ehe der Klägerin am 23. Juni 1966 mit der Rechtskraft des Berufungsurteils aufgelöst wurde. Dies folgt aus den §§ 29, 41 Satz 2 des Ehegesetzes (EheG). Der Auffassung des FA, eine Ehe sei steuerrechtlich bereits mit dem Ergehen des Scheidungsurteils als aufgelöst anzusehen, tritt der Senat nicht bei. Die Frage, wie lange eine Ehe besteht, kann wegen der zahlreichen durch die Auflösung der Ehe bewirkten Rechtsfolgen nur einheitlich für alle Rechtsgebiete beurteilt werden. Die zivilrechtliche Regelung über die Beendigung einer Ehe in den §§ 29, 41 EheG ist demnach regelmäßig auch für das Steuerrecht maßgebend.
2. Es ist nicht zu beanstanden, daß das FG für das Streitjahr ein dauerndes Getrenntleben der Ehegatten im Sinne des § 26 Abs. 1 EStG verneint hat. Nach der Rechtsprechung des Senats leben Ehegatten dauernd getrennt im Sinne des § 26 Abs. 1 EStG, wenn die zum Wesen der Ehe gehörende Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft nach dem Gesamtbild der Verhältnisse nicht mehr besteht (Urteile des BFH vom 5. Oktober 1966 VI 42/65 und VI R 184/66, BFHE 87, 208 und 251, BStBl III 1967, 84 und 110, und vom 27. August 1971 VI R 206/68, BFHE 104, 51, BStBl II 1972, 173). Dabei ist unter Lebensgemeinschaft die räumliche, persönliche und geistige Gemeinschaft der Ehegatten, unter Wirtschaftsgemeinschaft die gemeinsame Erledigung der die Ehegatten gemeinsam berührenden wirtschaftlichen Fragen ihres Zusammenlebens zu verstehen. Das FG ist bei seiner Entscheidung von diesen Grundsätzen ausgegangen.
Die Erhebung der Scheidungsklage läßt zwar erkennen, daß einer der Ehegatten oder auch beide entschlossen sind, die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zu lösen. Häufig wird bei der Erhebung der Scheidungsklage die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bereits soweit zerstört sein, daß persönliche Bindungen zwischen den Ehegatten, eine häusliche Gemeinschaft und auch eine Wirtschaftsgemeinschaft nicht mehr bestehen. Indes führt die Erhebung der Scheidungsklage allein nicht dazu, daß ein dauerndes Getrenntleben der Ehegatten ohne weiteres angenommommen werden muß. Das Scheidungsbegehren eines Ehegatten kann sich etwa - auch noch in der Revisionsinstanz - als unbegründet herausstellen und die Scheidungsklage deshalb keinen Erfolg haben. Während des Scheidungsverfahrens kann es - insbesondere wenn die Eheleute, wie im Streitfall, die gemeinsame Haushalts- und Wirtschaftsführung fortsetzen - zu einer Aussöhnung kommen. Ob Eheleute während des Scheidungsverfahrens bereits dauernd getrennt leben, hängt demnach von den Umständen des Einzelfalles ab. Gehen die Eheleute auseinander, um die Scheidungsklage zu erheben, oder erhebt ein Ehegatte nach § 48 EheG die Scheidungsklage, nachdem die häusliche Gemeinschaft bereits seit drei Jahren aufgehoben war, so wird regelmäßig ein dauerndes Getrenntleben der Eheleute zu bejahen sein (vgl. das BFH-Urteil VI 42/65). Haben die Eheleute indes - wie im Streitfall - die häusliche Gemeinschaft fortgeführt, an einer gemeinsamen Wirtschaftsführung festgehalten, und haben sie gemeinsam im Gewerbebetrieb eines Ehegatten zusammengearbeitet, so wird ein dauerndes Getrenntleben der Eheleute zu verneinen sein. Im Streitfall, in dem die Eheleute trotz des Scheidungsverfahrens offensichtlich willens waren, an der häuslichen Gemeinschaft und an der Wirtschaftsgemeinschaft festzuhalten, konnte das FG ohne Rechtsfehler ein dauerndes Getrenntleben verneinen und die Voraussetzungen einer Zusammenveranlagung der Eheleute bejahen.
3. Die Vorentscheidung war jedoch aufzuheben, weil das FG die Zusammenveranlagung der Ehegatten selbst durchgeführt hat, obwohl nur eine Einzelveranlagung der Klägerin vorausgegangen war. Da indes die Zusammenveranlagung von Ehegatten gegenüber der Einzelveranlagung eines Ehegatten wesensverschieden ist, handelt es sich bei der begehrten Zusammenveranlagung nicht nur um eine Änderung des bereits ergangenen Bescheids einer Einzelveranlagung. Es bedarf vielmehr eines neuen Veranlagungsverfahrens. Es ist nicht zulässig, die vom FA durchgeführte Einzelveranlagung im Rechtsmittelverfahren vor dem FG in ein Zusammenveranlagungsverfahren überzuleiten. Dies folgt auch aus folgender Erwägung: Soweit die Klägerin beantragt, mit ihrem geschiedenen Ehemann zusammen veranlagt zu werden, begehrt sie die Verurteilung des FA zum Erlaß eines abgelehnten Verwaltungsaktes. Hierin liegt eine Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1, 2. Alternative der FGO). Die Entscheidung über eine Verpflichtungsklage richtet sich nach § 101 FGO. Danach erläßt das FG, wenn es die Klage für begründet hält, den Verwaltungsakt nicht selbst. Das FG hat vielmehr die Verpflichtung des FA auszusprechen, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen oder die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. Da das FA im Streitfall die Zusammenveranlagung der Klägerin mit ihrem geschiedenen Ehemann zu Unrecht abgelehnt hat und die Sache spruchreif ist, war das FA zu verpflichten, die Ehegatten für 1966 zusammen zur Einkommensteuer zu veranlagen. Der Antrag der Klägerin, sie mit ihrem geschiedenen Ehemann zusammen zu veranlagen, schließt das Begehren ein, den im Wege der Einzelveranlagung ergangenen Steuerbescheid aufzuheben. Da im Streitfall die Voraussetzungen für eine Einzelveranlagung der Klägerin nicht vorlagen, war auch der Steuerbescheid vom 25. April 1968 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Dezember 1968 aufzuheben.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Fundstellen
BStBl II 1973, 487 |
BFHE 1973, 44 |