Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbesteuer Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Die im BFH-Urteil I 200/59 S vom 3. Oktober 1961 (BFH 73, 827, BStBl III 1961, 567) entwickelten Grundsätze über die steuerliche Behandlung der Versicherungsvertreter gelten auch für die Krankenversicherung. Die Grundsätze von Treu und Glauben rechtfertigen auch für die Zeiträume, die vor dem Bekanntwerden dieser Entscheidung endeten, keine andere Behandlung der Versicherungsvertreter.
Normenkette
GewStG § 2 Abs. 1; EStG § 15 Nr. 1, § 19/1
Tatbestand
Streitig ist im Gewerbesteuermeßbetragsverfahren für die Erhebungszeiträume 1958 bis 1960, ob die von dem Bezirksdirektor einer Versicherungsgesellschaft geführte Generalagentur insgesamt einen Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 GewStG) darstellt oder ob nur die Vermittlungs- und Abschlußtätigkeit gewerblicher Art ist.
Der Revisionskläger (Steuerpflichtiger - Stpfl. -) führte in den Streitjahren die als Bezirksdirektion bezeichnete Generalagentur einer Krankenversicherungsgesellschaft. Zu seinem Aufgabenbereich gehörte außer der Vermittlung und Abschlußtätigkeit auch die Verwaltung der Versicherungsbestände, vor allem die Beitragseinziehung und die Auszahlung der Versicherungsleistungen. Der Stpfl. wies die Erträge aus der Vermittlungs- und Abschlußtätigkeit gesondert aus und erklärte sie als Gewerbegewinn. Die Erträge aus der Verwaltungstätigkeit rechnete er zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit.
Das Finanzamt (FA) behandelte die gesamte Generalagentur als Gewerbebetrieb und unterwarf den Gesamtgewinn der Gewerbesteuer. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
In seiner Berufung trug der Stpfl. vor, daß seine Tätigkeit besonders weitgehend in den Geschäftsbetrieb des Versicherungsunternehmens eingegliedert sei und daß bei der Bezirksdirektion einer Krankenversicherung die Verhältnisse in wesentlichen Punkten anders lägen als bei anderen Versicherungsunternehmen. Das ergebe sich vor allem aus der weitaus größeren Zahl der Versicherungsnehmer und der Häufigkeit des Eintritts von Versicherungsfällen. Diese besonderen Verhältnisse erforderten eingehende, die Bezirksdirektion in der Verwaltung des Versicherungsbestandes und in der Abwicklung der Versicherungsfälle bindende Richtlinien und Anweisungen. Das Versicherungsunternehmen könne unter bestimmten Voraussetzungen auch in den Mietvertrag eintreten, die Mieträume jederzeit betreten, die Führung des Büros prüfen und die Ausstattung der Büroräume bestimmen. Dem Versicherungsunternehmen obliege weitgehend die Ausbildung und die Versorgung der Angestellten der Bezirksdirektion. Das Versicherungsunternehmen bestimme die Buchführung, die Form und Abwicklung des Schriftverkehrs und schalte sich weitgehend auch in die werbende Tätigkeit ein.
Das Finanzgericht (FG) wies die Berufung des Stpfl. als unbegründet zurück und führte im wesentlichen folgendes aus. Die Verwaltung des Versicherungsbestandes könne nicht als unselbständig bezeichnet werden. Der BFH habe in den Urteilen I 200/59 S vom 3. Oktober 1961 und V 133/59 U vom 12. April 1962 (BFH 73, 827 und 74, 699, BStBl III 1961, 567 und III 1962, 259) die bisherige steuerliche Behandlung der sogenannten Generalvertreter mit gemischter Tätigkeit aufgegeben und es entscheidend darauf abgestellt, ob der Versicherungsvertreter nach dem Gesamtbild seiner Tätigkeit und seines Bürobetriebs in den Organismus des Versicherungsunternehmens eingegliedert sei. Das sei zu verneinen. Denn der Stpfl. habe nach dem Versicherungsvertrag alle persönlichen und sachlichen Unkosten des Büros zu tragen. Schon dieser Umstand spreche in hohem Masse dafür, daß der Stpfl. in vollem Umfang ein Handelsvertreter im Sinn des § 84 HGB sei und echtes Unternehmerrisiko in dem Sinn trage, daß die Höhe seiner Einkünfte weitgehend von seiner Initiative, seiner organisatorischen Tüchtigkeit und seinem beruflichen Fleiß abhänge. Dabei müsse auch berücksichtigt werden, daß die Beteiligten selbst im Versicherungsvertrag den Stpfl. ausdrücklich in vollem Umfang als selbständigen Handelsvertreter und nicht als Arbeitnehmer bezeichneten.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Stpfl. ist nicht begründet. Die Ausführungen des FG stehen im Einklang mit den Grundsätzen, die der BFH in den vom FG bezeichneten Entscheidungen entwickelt hat. Die Besonderheiten, die sich bei der Generalvertretung eines Krankenversicherungsunternehmens aus der Art und Gestaltung dieses Versicherungszweiges ergeben und die schon wegen der Häufigkeit der Versicherungsfälle und der großen Zahl der Versicherungsnehmer möglicherweise eingehendere Richtlinien für die Verwaltung des Versicherungsbestandes, für die Werbung und für die umfassende Ausbildung und Betreuung der Arbeitnehmer des Generalvertreters erfordern, rechtfertigen keine andere Behandlung dieser Versicherungsvertreter. Das FG hat mit Recht entscheidenden Wert auf das Unternehmerrisiko und darauf gelegt, daß die Beteiligten im Versicherungsvertrag im gegenseitigen Einvernehmen ihre Rechtsbeziehungen nicht als Arbeitsverhältnis bezeichnen und der Stpfl. auch deshalb nicht behauptet, daß ihm die Rechte eines Arbeitnehmers zustünden. Es ist zwar zutreffend, daß die Bezeichnung eines Rechtsverhältnisses durch die Beteiligten für die Steuergerichte nicht verbindlich ist. In Grenzfällen gewinnt indessen die Tatsache Bedeutung, daß die Beteiligten im gegenseitigen Einvernehmen ihre Rechtsbeziehungen nicht als Arbeitsverhältnis ansehen und dem Vertreter die Stellung eines selbständigen Gewerbebetreibenden zuweisen (vgl. BFH-Urteil I 336/61 vom 13. März 1963, HFR 1963, 259).
Daß der Stpfl. trotz der weitgehenden Abhängigkeit in der Gestaltung und Führung seines Gewerbebetriebes ein erhebliches Unternehmerrisiko trägt, zeige mit aller Deutlichkeit seine eigenen Erklärungen für die Streitjahre. In runden Zahlen gab der Stpfl. an, an Inkassoprovisionen (verwaltende Tätigkeit) und an Abschlußprovisionen (gewerbliche Tätigkeit) vereinnahmt und als Einkünfte erzielt zu haben:
---------------------- Für - 1958 -- 1959 ----- 1960 Inkassoprovisionen ------- 586.300 --- 656.300 - 720.100 DM Abschlussprovisionen ----- 266.700 --- 468.100 - 400.000 DM Gesamteinnahmen ------------ 853.000 -- 1.124.400 1.120.100 DM Verwaltungseinkünfte ----- 306.400 --- 322.500 - 294.100 DM Abschlussverluste ------- 172.600 --- 97.900 - 156.400 DM Gesamteinkünfte ---------- 133.800 -- 224.600 - 137.700 DM.Allein die Schwankungen der Gesamtgewinne und die von dem Stpfl. errechneten Teilgewinne aus der verwaltenden Tätigkeit zeigen, daß die Gestaltung der Betriebsausgaben in sehr erheblichem Umfang die Gewinne beeinflußt und damit ein beträchtliches Unternehmerrisiko bejaht werden muß. Wenn die Auffassung des Stpfl. zutreffend wäre, dann hätte er in den Streitjahren Bruttoarbeitslöhne von rund 586.00, 656.000 und 720.000 DM bezogen und aus den nicht einmal die Hälfte dieser Beträge ausmachenden Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit laufend die sehr erheblichen Verluste eines selbständigen, den Interessen des Arbeitgebers dienenden Gewerbebetriebes decken müssen. Allein diese äußerst ungewöhnliche Folge, die der wirtschaftlichen Vernunft und der regelmäßigen Gestaltung von Arbeitsverhältnissen zuwiderläuft, spricht dagegen, daß die verwaltende Tätigkeit aus der Gesamttätigkeit des Versicherungsunternehmers ausgegliedert und steuerlich einer anderen Einkunftsart zugewiesen werden kann.
Eine solche Aufgliederung ist auch aus einem anderen Grunde nicht vertretbar. Es kann keinem Zweifel unterliegen und wurde auch von dem Stpfl. in der mündlichen Verhandlung nicht bestritten, daß die sogenannte verwaltende Tätigkeit in sehr weitem und nicht abgrenzbarem Umfang auch der Abschlußtätigkeit dient, deren gewerblichen Charakter nicht streitig ist. Das gilt besonders für die Krankenversicherung, bei der die Bestandspflege und die Abwicklung der einzelnen Versicherungsfälle zu einem laufenden Kontakt des Generalvertreters mit den Versicherungsnehmern führen und die für diese Tätigkeit gemachten Aufwendungen in einer kaum abgrenzbaren Weise der Aufrechterhaltung und der Erweiterung der laufenden Verträge und dem Abschluß neuer Verträge zugute kommen. Es ist daher auch wirtschaftlich nicht gerechtfertigt, diese beiden Tätigkeiten zu trennen und den Versuch zu unternehmen, die auf sie entfallenden Aufwendungen aufzugliedern. Wenn der Gesetzgeber trotzdem in § 4 Ziff. 17 des UStG die Inkassoprovisionen von der Umsatzsteuer freigestellt hat, so erfordert diese Freistellung jedenfalls keine Aufteilung der Betriebsausgaben und rechtfertigt in keiner Weise den Schluß, daß die Inkassotätigkeit nach den allgemeinen steuerlichen Grundsätzen eine nichtselbständige Tätigkeit darstelle.
Entgegen der Auffassung des Stpfl. stehen die Grundsätze von Treu und Glauben nicht entgegen, die in den bezeichneten Urteilen des BFH entwickelten Grundsätze für die Streitjahre anzuwenden. Denn einmal war die rechtliche Beurteilung der Gesamttätigkeit der Versicherungsvertreter, wie in dem bereits oben bezeichneten Urteil V 133/59 U ausgeführt ist, erkennbar seit 1950 im Fluß. Aber selbst wenn man davon ausgehen könnte, daß der Stpfl. jeweils am Ende der Streitjahre nach der damaligen Rechtsprechung damit hätte rechnen können, daß sich seine gewerbliche Tätigkeit nicht auf die Verwaltung des Bestandes und die Inkassotätigkeit erstrecke und er insoweit steuerlich Arbeitnehmer sei, so entspricht es im Gegenteil, wie der BFH in den Urteilen I R 111/66 vom 30. November 1966, (BFH 87, 345, BStBl III 1967, 154) und IV R 62/66 vom 16. Februar 1967, (BFH 87, 531, BStBl III 1967, 222) im einzelnen dargelegt hat, in der Regel rechtsstaatlichen Grundsätzen, daß der Stpfl. auch bei einer nach Entstehung der Steuerschuld eingetretenen änderung der Rechtsprechung die Steuer entrichtet, die nach den Erkenntnissen zur Zeit der rechtskräftigen Entscheidungen geschuldet wird.
Die besonders im BFH-Urteil I 200/59 S entwickelten Grundsätze gelten also, wie bereits in dem oben bezeichneten Urteil I 336/61 ausgeführt ist, in der Regel für alle Versicherungszweige. Die Besonderheiten der Krankenversicherung rechtfertigen im allgemeinen keine abweichende Beurteilung.
Fundstellen
Haufe-Index 412560 |
BStBl III 1967, 398 |
BFHE 1967, 333 |
BFHE 88, 333 |