Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbesteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Kürzung nach § 9 Ziffer 1 GewStG hängt nicht davon ab, daß der Grundbesitz auch tätsächlich zur Grundsteuer herangezogen wird.
Normenkette
GewStG § 9 Ziff. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob die Kürzung nach § 9 Ziffer 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) auch dann vorzunehmen ist, wenn der Grundbesitz zerstört ist. Das Finanzamt hat die Kürzung mit der Begründung abgelehnt, daß sie vom Gesetzgeber nur zugelassen sei, um eine Doppelbesteuerung desselben Objektes zu vermeiden. Da für total zerstörte Grundstücke eine Grundsteuer nicht zu entrichten sei, sei eine Kürzung nicht berechtigt.
Das Finanzamt geht demgegenüber von dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung aus, in der ein Grund für die Kürzung des Gewinns nicht erwähnt sei. Selbst wenn durch ein Gesetz die Nichterhebung der Grundsteuer bei zerstörten Gebäuden ausgesprochen worden wäre, dann könnte dies bei dem klaren Wortlaut des § 9 Ziffer 1 GewStG keinen Einfluß auf die Kürzung des Gewerbeertrages haben. Um so mehr müsse dies aber gelten, wenn durch Billigkeitsmaßnahmen im Einzelfall die Grundsteuer nicht erhoben werde. Eine Billigkeitsmaßnahme bei der Grundsteuer könne also ohne ausdrückliche Bestimmung keinen Einfluß auf die gesetzliche Regelung bei der Gewerbesteuer haben.
Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts, in der behauptet wird, daß der Wortlaut des § 9 Ziffer 1 GewStG für die Entscheidung der streitigen Frage nicht allein maßgebend sei. Dies ergebe sich aus Abschnitt 1 der Gewerbesteuerrichtlinien 1943 zu § 9 GewStG (Reichssteuerblatt - RStBl. 1944 S. 288).
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist unbegründet.
Allerdings besteht der Hauptgrund für die in § 9 Ziffer 1 GewStG zugelassene Kürzung darin, daß eine doppelte Besteuerung desselben Wirtschaftsguts durch die Grundsteuer und die Gewerbesteuer vermieden werden sollte (Ziffer II 1 und 6 der Begründung zum Gewerbesteuergesetz vom 1. Dezember 1936, RStBl. 1937 S. 693). Die Gesetzesbegründung hat nun zwar für die Auslegung des Gesetzes maßgebende Bedeutung; sie hat aber keine Gesetzeskraft und kann eine im Gesetz fehlende Vorschrift nicht ersetzen. Hätte der Gesetzgeber die Kürzung davon abhängig machen wollen, daß im Einzelfall Grundsteuer tatsächlich bezahlt wird, so hätte er das - wie es in einzelnen Landesgesetzen geschehen ist - im Gesetz zum Ausdruck gebracht. Da dies nicht geschehen ist, ist bei dem eindeutigen Wortlaut der Gesetzesbestimmung der Abzug der 3 v. H. des Einheitswerts auch zulässig, wenn der Grundbesitz grundsteuerfrei oder aus irgendeinem Grunde, z. B. aus Billigkeitsgründen, nicht zur Grundsteuer herangezogen ist. Diese Auffassung stimmt mit der Auslegung der verschiedenen Befreiungsvorschriften in anderen Gesetzen überein, die dahin lauten, daß Vorgänge mit Rücksicht auf ein bestimmtes anderes Gesetz befreit sind. So unterlagen nach § 12 Ziffer 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vom 29. März 1920 (Reichsgesetzblatt - RGBl. - S. 359) Schenkungen und Erbschaften "mit Rücksicht auf die zu entrichtende Erbschaft- und Schenkungsteuer" nicht der Einkommensteuer. Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Gesetzesbestimmung war nicht die tatsächliche Entrichtung einer Erbschaft- oder Schenkungsteuer; es genügte vielmehr, daß der Anfall begrifflich unter die §§ 20, 40 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) gehörte. Die Gesetzesbestimmung griff also auch Platz, wenn eine Erbschaft- oder Schenkungsteuer infolge der Befreiungsvorschriften des Erbschaftsteuergesetzes nicht zur Erhebung kommen konnte (Strutz, Erläuterungsbuch zum Einkommensteuergesetz vom 10. August 1925, Anm. 49 zu § 6). Entsprechend sind nach § 3 Ziffer 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) vom 29. März 1940 der Grundstückserwerb von Todes wegen und Grundstücksschenkungen unter Lebenden im Sinn des Erbschaftsteuergesetzes von der Besteuerung ausgenommen. Auch diese Befreiungsvorschrift bezweckt, Doppelbelastungen mit der Erbschaft- oder Schenkungsteuer und der Grunderwerbsteuer zu vermeiden. Die Befreiung von der Grunderwerbsteuer wird aber nicht hinfällig, wenn Erwerbe auf Grund besonderer Bestimmungen des Erbschaftsteuergesetzes von der Erbschaft- oder Schenkungsteuer befreit sind. Weiter sind nach § 4 Ziffer 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) von den unter § 1 UStG fallenden Umsätzen die Umsätze steuerfrei, die unter das Grunderwerbsteuergesetz, das Beförderungsteuergesetz, das Rennwett- und Lotteriegesetz, das Versicherungssteuergesetz, das Kapitalverkehrsteuergesetz Teil I (Gesellschaftsteuer) fallen. Auch diese Befreiungsvorschrift will die Doppelbesteuerung eines Tatbestandes nach dem Umsatzsteuergesetz und anderen Steuergesetzen verhindern. Auch hier ist jeder Umsatz von der Umsatzsteuer befreit, der grundsätzlich unter eines der genannten anderen Steuergesetze fällt, mag auf ihn auch eine der darin vorbehaltenen Befreiungsvorschriften zur Anwendung kommen (Urteil des Reichsfinanzhofs V A 398/28 vom 23. November 1928, Slg. Bd. 25 S. 117 RStBl. 1929 S. 99, und V A 252/30 vom 13. März 1931, Slg. Bd. 28 S. 107 = RStBl. 1932 S. 360). Dieser Grundsatz ist nur bei der Beförderungsteuer und der Rennwett- und Lotteriesteuer eingeschränkt worden (ß 34 Absatz 2 Satz 2 und § 35 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz). Mag hiernach in den genannten Beispielen, die beliebig vermehrt werden können, auch der Zweck der einzelnen Befreiungsvorschriften dahin gehen, Doppelbesteuerungen zu vermeiden, so ist doch der Zweck in den Gesetzen selbst insofern nicht im vollen Umfange zur Durchführung gelangt, als es nicht Voraussetzung für die Anwendbarkeit der einzelnen Befreiungsvorschrift ist, daß tatsächlich eine effektive Doppelbesteuerung vorliegt. Ebensowenig ist dies Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 9 Ziffer 1 GewStG.
Auf Abschnitt 1 der Gewerbesteuerrichtlinien 1943 zu § 9 GewStG kann sich der Beschwerdeführer nicht berufen. Hier wird der Fall behandelt, wo ein gewerblich genutzter Grundstücksteil von untergeordneter Bedeutung ist und deshalb nach dem Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 778/35 vom 6. November 1935, RStBl. 1936 S. 278, nicht zum Betriebsvermögen zu rechnen ist. Da nach § 9 Ziffer 1 GewStG die Kürzung vom Einheitswert des zum Betriebsvermögen des Unternehmers gehörenden Grundbesitzes vorzunehmen ist, könnte in dem in den Richtlinien behandelten Fall eine Kürzung insoweit nicht vorgenommen werden, als es sich um den Einheitswert des Grundstücksteils von untergeordneter Bedeutung handelt (vgl. auch § 23 Absatz 2 der Dritten Durchführungsverordnung zum Gewerbesteuergesetz). Wenn die Richtlinien gleichwohl eine Kürzung auch des anteiligen Einheitswerts zulassen, "weil sonst der Zweck dieser Vorschrift, die Doppelbesteuerung des Grundbesitzes durch die Grundsteuer und die Gewerbesteuer zu vermeiden, nicht erreicht werden würde", so handelt es sich um eine Interesse des Steuerpflichtigen erlassene Billigkeitsmaßnahme, aus der nicht etwa verallgemeinernd geschlossen werden kann, daß auch gegenüber dem eindeutigen Wortlaut der Kürzungsvorschrift maßgebend lediglich deren Zweck sein soll.
Fundstellen
Haufe-Index 407177 |
BStBl III 1951, 49 |
BFHE 1952, 127 |
BFHE 55, 127 |