Leitsatz (amtlich)
Wird eine Kapitalgesellschaft im Laufe eines Wirtschaftsjahres aufgelöst, so ist ein Rumpfwirtschaftsjahr zu bilden, das nicht in den Liquidationszeitraum einzubeziehen ist (Änderung der Rechtsprechung des RFH, zuletzt RFH-Urteil vom 6. Juni 1944 I 4/44 RFHE 54, 112, RStBl 1944, 700). Der Gewinn des Rumpfwirtschaftsjahrs kann noch nach Beginn der Liquidation ausgeschüttet werden.
Normenkette
KStG §§ 14, 19 Abs. 3; EStDV § 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, befindet sich in Liquidation. Wirtschaftsjahr war das Kalenderjahr. Ihr Alleingesellschafter beschloß am 1. November 1965 die Auflösung. Die Klägerin erstellte außer einer Liquidations-Eröffnungsbilanz zum 1. November 1965 eine Abschlußbilanz zum 31. Oktober 1965, die für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Oktober 1965 einen Gewinn von 450 916 DM auswies. Der Alleingesellschafter beschloß am 28. Februar 1966, diesen Gewinn nebst einem Gewinnvortrag aus dem Vorjahr von 86 254 DM, insgesamt 537 170 DM, auszuschütten. Die Liquidation fand dadurch ihr Ende, daß die Klägerin ihr Endvermögen laut Liquidations-Abschlußbilanz zum 27. November 1967 auf den Alleingesellschafter übertrug. Diese Bilanz wies für die Zeit vom 1. November 1965 bis 27. November 1967 einen Verlust von 22 853 DM aus. Die Klägerin gab zwei Körperschaftsteuer-Erklärungen ab. Sie erklärte für das Rumpfwirtschaftsjahr 1. Januar bis 31. Oktober 1965 ein zu versteuerndes Einkommen von 537 190 DM und beantragte, hierauf in Höhe von 537 170 DM den ermäßigten Steuersatz für berücksichtigungsfähige Ausschüttungen anzuwenden. Außerdem erklärte sie für den Liquidationszeitraum 1. November 1965 bis 27. November 1967 ein zu versteuerndes Einkommen von ./. 3 420 DM.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) faßte hingegen beide Zeiträume zu einem einheitlichen Liquidationszeitraum zusammen (zu versteuerndes Einkommen 537 190 DM % 3 420 DM = 533 770 DM) und lehnte die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ab. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das FG hat in seinem in den EFG 1972 S. 142 veröffentlichten Urteil ausgeführt: Die Klägerin habe keine Gewinnausschüttung vorgenommen, sondern Kapital ausgekehrt. Das gelte auch hinsichtlich der für den Zeitraum 1. Januar bis 31. Oktober 1965 beschlossenen Gewinnausschüttung. § 14 KStG beziehe dieses Rumpfwirtschaftsjahr in den Liquidationszeitraum ein.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG, die Ein- §§ 14, 19 KStG: Ihre Liquidatoren seien gemäß § 71 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) verpflichtet gewesen, sofort bei Beginn der Liquidation eine Bilanz aufzustellen. Indem sie dieser Verpflichtung nachgekommen seien, sei ein Rumpfwirtschaftsjahr 1. Januar bis 31. Oktober 1965 entstanden, für das noch Gewinnausschüttungen hätten vorgenommen werden dürfen. Das Steuerrecht müsse der handelsrechtlichen Beurteilung folgen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG, die Einspruchsentscheidung und den Steuerbescheid aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das FA durfte den Zeitraum 1. Januar bis 31. Oktober 1965 nicht in den Liquidationszeitraum einbeziehen. Dieser Zeitraum bildet ein besonderes Rumpfwirtschaftsjahr, dessen Einkommen außerhalb der Liquidationsbesteuerung in einer Veranlagung für 1965 zu erfassen ist.
Das Vorgehen des FA findet allerdings eine Stütze in der ständigen Rechtsprechung des RFH zu § 14 KStG, nach der bei Liquidation innerhalb eines Wirtschaftsjahres der Liquidationszeitraum vom Beginn des Wirtschaftsjahres an läuft (RFH-Urteile vom 1. Juni 1937 I A 50/37, RFHE 41, 258, RStBl 1937, 967; vom 20. Juli 1937 I A 257/36, RFHE 42, 41, RStBl 1938, 44; vom 4. Oktober 1938 I 374/37, RFHE 45, 28, RStBl 1938, 1142; vom 26. September 1939 I 422/38, RFHE 47, 302, RStBl 1940, 34; vom 6. Juni 1944 I 4/44, RFHE 54, 112, RStBl 1944, 700; so schon zu § 17 KStG 1920 RFH-Urteile vom 1. Juli 1922, I A 37/22, RFHE 10, 23; vom 7. November 1922 I A 147/22; RFHE 10, 318). Dem Urteil des erkennenden Senats vom 28. Juni 1960 I 223/59 U (BFHE 71, 379, BStBl III 1960, 391) liegt die gleiche Rechtsauffassung zugrunde. Hiervon ausgehend, müßte die Revision schon deswegen zurückgewiesen werden, weil berücksichtigungsfähige Ausschüttungen für Wirtschaftsjahre vorgenommen sein müssen, deren Ergebnisse bei der Veranlagung berücksichtigt sind (§ 19 Abs. 3 KStG). Geht das Ergebnis des Zeitraums 1. Januar bis 31. Oktober 1965, körperschaftsteuerrechtlich gesehen, in dem Liquidationsergebnis auf, ist es als eine gesondert zu beurteilende Größe nicht mehr vorhanden und kann nicht selbständiger Gegenstand einer Veranlagung sein. Hingegen stünde, sofern ein Rumpfwirtschaftsjahr gebildet werden könnte, der Anwendung des Ausschüttungssteuersatzes nichts entgegen. Ein Gewinnverteilungsbeschluß kann - wie hier geschehen - noch nach Beginn der Liquidation gefaßt werden (Urteil des BFH vom 12. September 1973 I R 9/72, BFHE 110, 353, BStBl II 1974, 14). Die Ausschüttung wäre auch, wie § 19 Abs. 3 KStG weiterhin verlangt, vorgenommen worden. Das dem Alleingesellschafter 1967 nach Ablauf des Sperrjahres (§ 73 GmbHG) ausgekehrte Endvermögen enthielt den Gewinn des Zeitraums 1. Januar bis 31. Oktober 1965.
Der Senat ist der Auffassung, daß an der bisherigen Rechtsprechung nicht festgehalten werden kann und bei der Liquidation einer Kapitalgesellschaft innerhalb eines Wirtschaftsjahres ein Rumpfwirtschaftsjahr zu bilden ist, das vom Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahres bis zur Auflösung reicht. Der Wortlaut des § 14 KStG steht der Bildung eines Rumpfwirtschaftsjahres nicht entgegen. Wenn es in § 14 Abs. 4 Satz 1 KStG heißt, Abwicklungs-Anfangsvermögen sei das Betriebsvermögen, das "am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahres" der Veranlagung zur Körperschaftsteuer zugrunde gelegen hat, ist es nicht zwingend, mit der bisherigen Rechtsprechung als vorangegangen das letzte vollständige Wirtschaftsjahr anzusehen. Ist, wie noch darzulegen ist, ein Rumpfwirtschaftsjahr zu bilden und für dieses eine von der Liquidationsveranlagung gesonderte Veranlagung durchzuführen, ist Abwicklungs-Anfangsvermögen das Betriebsvermögen am Schluß des Rumpfwirtschaftsjahres.
Der Senat vermag nicht der Ansicht des RFH zu folgen (vgl. insbesondere Urteil I 4/44), die Bildung eines Rumpfwirtschaftsjahres werde durch § 1 EStDV ausgeschlossen. Zwar ist der Eintritt in die Liquidation keine Betriebsaufgabe oder -veräußerung, die nach § 1 Nr. 1 EStDV zur Bildung eines Rumpfwirtschaftsjahres berechtigt. Die liquidierende Kapitalgesellschaft geht auch nicht im Sinne des § 1 Nr. 2 EStDV zu "regelmäßigen" Abschlüssen auf einen anderen bestimmten Tag über; es soll vielmehr einmalig die Beendigung der werbenden Tätigkeit markiert und gegenüber dem Liquidationsstadium abgegrenzt werden. § 1 EStDV beschreibt aber die Möglichkeiten der Bildung eines Rumpfwirtschaftsjahres nicht abschließend.
Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 KStG ist bei Steuerpflichtigen, die Bücher nach den Vorschriften des HGB zu führen verpflichtet sind (u. a. auch bei Kapitalgesellschaften, §§ 6, 38 HGB), der Gewinn nach dem Wirtschaftsjahr zu ermitteln, für das sie regelmäßig Abschlüsse machen (ähnlich für die Einkommensteuer § 2 Abs. 5 Nr. 2 EStG). Dabei ist für den Schluß des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist (§ 5 EStG, § 6 Abs. 1 Satz 1 KStG). Das hier in Bezug genommene Handelsrecht begrenzt in § 39 Abs. 2 HGB das Geschäftsjahr auf höchstens 12 Monate und eröffnet damit gleichzeitig die Möglichkeit, ein weniger als 12 Monate betragendes Geschäftsjahr (Rumpfgeschäftsjahr) zu bilden. Ein handelsrechtlich mögliches Rumpfgeschäftsjahr ist ein auch einkommensteuerrechtlich und körperschaftsteuerrechtlich verbindliches Rumpfwirtschaftsjahr, sofern das Steuerrecht nicht etwas anders bestimmt. § 1 EStDV zählt die handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Hauptfälle der Bildung eines Rumpfgeschäftsjahres (Rumpfwirtschaftsjahres) auf. Die Bestimmung war aber zumindest zur Zeit der oben angegebenen Rechtsprechung des RFH nicht erschöpfend, was sich daran zeigt, daß die Fälle des Betriebserwerbs und der Betriebsveräußerung erst in § 1 Nr. 1 EStDV 1955 aufgenommen wurden; schon vorher konnte aber nicht zweifelhaft sein, daß der erwerbende oder veräußernde Vollkaufmann ein Rumpfgeschäftsjahr (Rumpfwirtschaftsjahr) bilden durfte. Es kann indes auch nicht der Auffassung gefolgt werden, ein Rumpfwirtschaftsjahr dürfe nur in den nunmehr in § 1 EStDV 1955 ff. genannten Fällen gebildet werden. Diese Bestimmung legt sich selbst eine solche Ausschließlichkeit nicht bei. Die Einkommensteuer-Kommission hat sie als im wesentlichen deklaratorisch angesehen (Bericht der Kommission, Schriftenreihe des Bundesministers der Finanzen, Heft 7 S. 341). Es wäre zweifelhaft, ob sie, im einengenden Sinne verstanden, in § 51 EStG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage hätte.
Die handelsrechtliche und damit steuerrechtliche Notwendigkeit der Bildung eines Rumpfgeschäftsjahres (Rumpfwirtschaftsjahres) folgt im Streitfall aus dem GmbH-Recht. Allerdings kann nicht die Auffassung der Klägerin gebilligt werden, daß die Liquidations-Eröffnungsbilanz, die bei Eintritt einer Kapitalgesellschaft in das Liquidationsstadium zu erstellen ist (§ 71 Abs. 1 GmbHG; § 270 Abs. 1 AktG), die Bildung eines Rumpfgeschäftsjahres verlangt. Diese Bilanz hat wie die späteren Liquidationsbilanzen lediglich den Charakter einer Vermögensermittlungsbilanz. Sie dient nicht der Gewinnermittlung (vgl. auch § 270 Abs. 3 AktG). Nach herrschender handelsrechtlicher Auffassung ist aber bei Eintritt in die Liquidation für das abgelaufene Geschäftsjahr oder den abgelaufenen Teil des Geschäftsjahres (Rumpfgeschäftsjahr) auch eine Gewinnermittlungs-Schlußbilanz aufzustellen (Wiedemann in Großkommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl., § 270, Anm. 1; Möhring-Tank-Grass-Reuss, Handbuch der AG, Band 1 Gesellschaftsrecht, Rz. 613; Scholz, GmbH-Gesetz, 4. Aufl., § 71 Anm. 3; Baumbach-Hueck, GmbH-Gesetz, 13. Aufl., § 71 Anm. 1 A; Schmidt in Hachenburg, Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 6. Aufl., § 71 Anm. 3; Brüggemann in Handelsgesetzbuch, Großkommentar, 3. Aufl., § 39 Anm. 6; a.A. Godin-Wilhelmi, Aktiengesetz, Kommentar, 4. Aufl., § 270 Anm. 3). Die Notwendigkeit einer derartigen Schlußbilanz folgt auch aus der Erwägung, daß Gewinne aus der Zeit bis zur Liquidation noch nach deren Eintritt verteilt werden können (BFH-Urteil I R 9/72). Zur Gewinnermittlung und -verteilung bedarf es einer Gewinnermittlungsschlußbilanz. Da die Kapitalgesellschaft rechtlich verpflichtet ist, ein Rumpfgeschäftsjahr zu bilden, liegt darin keine Umstellung des Wirtschaftsjahrs, die nach § 5 Abs. 2 Satz 3 KStG im Einvernehmen mit dem FA vorzunehmen wäre. Schwierigkeiten in der Bestimmung des Zeitpunkts der Auflösung der Gesellschaft, die in einzelnen Fällen bestehen mögen, können das Gebot der Bildung des Rumpfgeschäftsjahrs weder handelsrechtlich noch steuerrechtlich aufheben.
Dieser Beurteilung steht das BFH-Urteil vom 21. Januar 1965 IV R 33/63 U (BFHE 81, 630, BStBl III 1965, 227) nicht entgegen, nach dem bei Eintritt einer Personengesellschaft in das Liquidationsstadium kein Rumpfwirtschaftsjahr gebildet werden darf. Denn die handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Folgen der Auflösung stimmen bei Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften nicht vollständig überein.
Das FA wird die Klägerin erneut - nunmehr gesondert für 1965 mit dem Einkommen des Rumpfwirtschaftsjahres und für den Liquidationszeitraum ab 1. November 1965 mit dem Liquidationsergebnis - zu veranlagen haben. Aus der Notwendigkeit einer getrennten Veranlagung folgt, daß die zusammenfassende Veranlagung auch nicht teilweise als Veranlagung für 1965 oder für den Liquidationszeitraum bestehenbleiben kann.
Fundstellen
BStBl II 1974, 692 |
BFHE 1975, 112 |