Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Halbtags-Schülerheime, die Schüler bei der Anfertigung der Schularbeiten beaufsichtigen und bei der Freizeitgestaltung überwachen, können die Befreiungsvorschrift des § 4 Ziff. 13 UStG auch dann in Anspruch nehmen, wenn sie den Schülern keine Unterkunft während der Nachtzeit und keine Verpflegung gewähren.
Normenkette
UStG § 4 Ziff. 13, § 4/23; UStDB § 40
Tatbestand
Die Steuerpflichtige betrieb in der Zeit vom 15. September bis 31. Dezember 1956 ein Halbtags-Schülerheim in A. Das Heim diente der Obhut und Betreuung von Schülern (Schülerinnen), deren Eltern außerhalb von A. wohnen oder sich (z. B. wegen Berufstätigkeit beider Elternteile) tagsüber nicht hinreichend um ihre Kinder kümmern können, während des schulfreien Teiles des Tages, nämlich während etwa fünf Stunden des Nachmittags bei Vormittagsunterricht bzw. des Vormittags bei Nachmittagsunterricht. In dieser Zeit wurden die Schüler bei der Anfertigung der häuslichen Schularbeiten sowie während der verbleibenden Freizeit bei Spiel und Sport durch Aufsichtspersonen überwacht. Das Mittagessen konnten die betreuten Schüler gegen Essensmarken, die die Steuerpflichtige gegen Bezahlung besorgte, in einem Stadtjugendheim einnehmen; Tee stand ihnen in der eigenen Teeküche der Steuerpflichtigen kostenlos zur Verfügung.
Streitig ist für 1956, ob das Entgelt für die Betreuung der Schüler durch die Steuerpflichtige umsatzsteuerpflichtig oder gemäß § 4 Ziff. 13 UStG umsatzsteuerfrei ist.
Das Finanzamt versagte die Steuerfreiheit mit der Begründung, durch § 4 Ziff. 13 UStG würden nur solche Personen und Anstalten begünstigt, die als Hauptleistungen Beherbergung und Beköstigung und nur nebenher "übliche Naturalleistungen" gewährten (Internate). Bei den Leistungen der Steuerpflichtigen (Unterbringung am Vor- bzw. Nachmittag, Vermittlung des Mittagessens, Ausgabe von Tee) handele es sich nicht um Beherbergung und Beköstigung. Die Beaufsichtigung bei der Arbeit sowie bei Spiel und Sport erfolge nicht als Nebenleistung zur Beherbergung und Beköstigung, sondern als ausschließliche Hauptleistung. Ohne Beherbergung und Beköstigung sei für die Anwendung der Befreiungsvorschrift nach ihrem Sinn und Zweck kein Raum. Außerdem könne man bei Erziehungsleistungen nicht von "üblichen Naturalleistungen", sondern nur von Leistungen besonderer Art sprechen.
Der Einspruch blieb erfolglos. Dagegen stellte das Finanzgericht die Steuerpflichtige mit den Betreuungsleistungen von der Umsatzsteuer frei. Es ist der Auffassung, daß die Voraussetzungen des § 4 Ziff. 13 UStG im Streitfalle vorliegen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts hat keinen Erfolg. Nach § 4 Ziff. 13 UStG (ß 40 Satz 1 UStDB) ist umsatzsteuerfrei die Gewährung von Beherbergung, Beköstigung und den üblichen Naturalleistungen durch Personen und Anstalten, wenn sie überwiegend Personen für Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecke bei sich aufnehmen, soweit die Leistungen an diese Personen ausgeführt werden. Auf den Streitfall bezogen ist also Voraussetzung der Steuerbefreiung, daß eine Person (auch eine juristische Person) Personen für Erziehungszwecke bei sich aufnimmt. Der Begriff "Erziehung" ist weit zu verstehen. Die Beaufsichtigung der Schüler bei den Schularbeiten sowie bei Spiel und Sport fällt darunter. Auch die Voraussetzung der "Aufnahme bei sich" ist gegeben. Eine bestimmte Dauer der Aufnahme ist nicht vorgeschrieben. Es genügt, wenn sie so lange andauert, daß der Erziehungszweck erreicht werden kann. Der Senat hat keinen Zweifel, daß fünf Stunden an allen Schultagen ausreichen, um auf die anvertrauten Schüler durch Gestaltung, Anleitung und Beaufsichtigung ihrer Tätigkeit während der Arbeits- und Freizeit erzieherisch einzuwirken. Die Aufsichtspersonen treten während dieser Zeit in ein Betreuungsverhältnis zu den Schülern. Damit sind die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Ziff. 13 UStG im Streitfalle erfüllt.
Das Finanzamt verwechselt Voraussetzung und steuerliche Folge, wenn es annimmt, die Steuerpflichtige müsse die zu Erziehungszwecken aufgenommenen Personen beherbergen und beköstigen. Weder der Wortlaut noch Sinn und Zweck der Befreiungsvorschrift lassen diese einengende Auslegung zu. Der Zweck der Vorschrift ist, Erziehungs- usw. - Institute mit ihren regelmäßig vorkommenden Leistungen an die Zöglinge von der Belastung mit Umsatzsteuer zu befreien. Es ist falsch, die "üblichen Naturalleistungen" als Nebenleistungen abzutun und sie nur im Zusammenhang mit der Beherbergung mit Beköstigung zu sehen. Stärker als die Gewährung von Unterkunft während der Nachtzeit und von voller Verpflegung wird durch die Beaufsichtigung der häuslichen Schularbeiten und durch Freizeitgestaltung (Basteln, Spiele, Sport), die zu den wichtigsten "üblichen Naturalleistungen" der Erziehungsheime gehören, der Erziehungszweck erreicht. Sofern eine "Aufnahme zu Erziehungszwecken" in dem oben dargestellten Sinne festzustellen ist, sind die in § 4 Ziff. 13 UStG aufgeführten Leistungen auch dann von der Umsatzsteuer befreit, wenn sie nicht sämtlich, sondern nur teilweise in Betracht kommen, also z. B. - wie im Streitfalle - eine Beherbergung im Sinne von Gewährung von übernachtung und eine unmittelbare volle Beköstigung nicht stattfinden. Eine entgegengesetzte Auffassung läßt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift nicht herleiten. Es mag sein, daß bei der Einführung des § 2 Nr. 11 UStG 1922, der dem jetzigen § 4 Ziff. 13 UStG entspricht, in erster Linie an die Befreiung von Schüler- und Lehrlingsinternaten und - pensionen gedacht war. Es darf aber nicht übersehen werden, daß die Vorschrift (nachdem sie zeitweilig weggefallen war) in verschiedener Hinsicht erweitert worden ist (zuletzt durch das Zweite Gesetz zur änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 30. Juli 1952, BGBl I S. 393). Auch die Aufzählung der begünstigten Personen und Anstalten in § 40 Satz 3 UStDB spricht nicht für eine einengende Auslegung, wie sie das Finanzamt anstrebt. Denn abgesehen davon, daß es sich hierbei nur um Beispiele handelt ("und dergleichen"), ist das Halbtags-Schülerheim der Steuerpflichtigen durch Beschluß des Stadtrats in A. - Gewerbeamt - ausdrücklich als "Erziehungsanstalt" genehmigt worden.
Fundstellen
BStBl III 1964, 110 |
BFHE 1964, 280 |
BFHE 78, 280 |
StRK, :4/13 R 7 |