Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob eine tarifbegünstigte Betriebsaufgabe vorliegt, wenn ein Küstenschiffer sein einziges Schiff zum Abwracken veräußert und kurz darauf zusammen mit seinem Sohn in der Rechtsform einer Personengesellschaft ein größeres Schiff zum Betrieb der Hochseeschiffahrt ("Kleine Fahrt") erwirbt.
Normenkette
EStG § 16 Abs. 3 S. 1, Abs. 4, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob eine tarifbegünstigte Betriebsaufgabe vorliegt, wenn ein Küstenschiffer sein einziges Schiff zum Abwracken veräußert und kurz darauf zusammen mit seinem Sohn in der Rechtsform einer Personengesellschaft ein größeres Schiff zum Betrieb der Hochseeschiffahrt ("Kleine Fahrt") erwirbt.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist 1909 geboren. Er besitzt das Zeugnis über die Befähigung zum Seeschiffer auf Küstenfahrt (sogenanntes Befähigungszeugnis A 1).
Der Kläger war Eigentümer des 82 BRT großen Küstenmotorschiffs "X". Er betrieb damit die Küstenschifffahrt, und zwar vorwiegend in dänischen Gewässern. Am 26. Juli 1965 veräußerte der Kläger das Schiff zum Verschrotten. Er erhielt ein Entgelt von 6 825 DM und eine Abwrackprämie von 32 000 DM.
Kurz vorher, nämlich am 29. Juni 1965, hatten der Kläger und sein Sohn, der Kapitän K, einen Verkaufskontrakt über den Erwerb eines 424 BRT großen Seeschiffs zum Preise von 600 000 DM unterzeichnet.
Der Kaufpreis war bei der für August bis September 1965 vorgesehenen Übergabe zahlbar.
Unter dem Datum vom 1. September 1965 unterzeichneten der Kläger und sein Sohn einen Gesellschaftsvertrag. Danach errichteten der Kläger und sein Sohn zum Zwecke des gemeinschaftlichen Betriebs eines Frachtschiffahrtsunternehmens eine Gesellschaft unter der Firmierung "K und Sohn, Frachtschiffahrtsbetrieb, G.B.R.".
Zur Zahlung des Kaufpreises für das Schiff nahmen der Kläger und sein Sohn als Gesellschafter Kredite in Höhe von rd. 516 000 DM auf. Am 23. September 1965 stellten sie das Schiff unter dem Namen MS "Y" in Dienst. Sie setzten es fortan im Bereich der sogenannten Kleinen Fahrt ein, und zwar u. a. zu Fahrten nach England und zu den skandinavischen Ländern.
In seiner Einkommensteuererklärung für 1965 erklärte der Kläger neben einem laufenden Gewinn aus dem Betrieb des Einzelunternehmens und einem Anteil am laufenden Verlust der Gesellschaft einen Gewinn aus der Veräußerung des Motorschiffs X, für den er den Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG und die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG in Anspruch nahm.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) vertrat demgegenüber unter Berufung auf das Urteil des BFH vom 13. Januar 1966 IV 76/63 (BFHE 84, 461, BStBl III 1966, 168) die Auffassung, der Gewinn aus der Veräußerung des Schiffes sei nicht tafifbegünstigt, weil das bisherige Einzelunternehmen weder veräußert noch aufgegeben, sondern lediglich in anderer Rechtsform (Aufnahme des Sohnes als Gesellschafter) fortgeführt worden sei. Auf dieser Grundlage erließ das FA am 28. November 1967 einen Einkommensteuerbescheid für 1965.
Der Einspruch des Klägers war erfolglos.
Der Klage gab das FG in der Weise statt, daß es die Einkommensteuer 1965 auf 147 DM herabsetzte. Das FG entschied, die §§ 16, 34 EStG seien anzuwenden, weil der Kläger sein Küstenschiffahrtsunternehmen aufgegeben habe. Mindestens sei die Veräußerung nach den Grundsätzen der Selbstbindung der Verwaltung als steuerbegünstigte Betriebsaufgabe zu behandeln, weil das BFH-Urteil IV 76/63 nach einem Erlaß der Finanzbehörde Hamburg vom 23. Juli 1968 auf Gesellschaftsgründungen bis zum 30. April 1966 nicht anzuwenden sei.
Mit der Revision beantragt das FA, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Das FA rügt unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts (§§ 16, 34 EStG, sinngemäß auch des § 131 AO) und Verstöße gegen den klaren Inhalt der Akten und gegen die Denkgesetze.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Der Gewinn aus der Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs wird zur Einkommensteuer nur herangezogen, soweit er 20 000 DM übersteigt, sofern er insgesamt nicht höher als 80 000 DM ist (§ 16 Abs. 4 EStG 1965). Er unterliegt einem ermäßigten Steuersatz (§ 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG). Als Veräußerung gilt auch die Aufgabe des ganzen Gewerbebetriebs (§ 16 Abs. 3 Satz 1 EStG).
Veräußert wird ein Gewerbebetrieb im ganzen, wenn sämtliche wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang gegen Entgelt auf einen Erwerber übertragen werden. Aufgegeben wird ein Gewerbebetrieb im ganzen, wenn alle wesentlichen Betriebsgrundlagen innerhalb kurzer Zeit und damit in einem einheitlichen Vorgang entweder in das Privatvermögen überführt oder einzeln an verschiedene Erwerber veräußert oder teilweise veräußert und teilweise in das Privatvermögen überführt werden und damit der Betrieb als selbständiger Organismus des Wirtschaftslebens zu bestehen aufhört (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 7. Oktober 1974 GrS 1/73, BFHE 114, 189 [196], BStBl II 1975, 168). Bleibt der bisherige Betriebsinhaber weiterhin gewerblich tätig, so liegt keine Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe vor, wenn sich der alte und der neue Betrieb bei wirtschaftlicher Betrachtung und unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung nach den Verhältnissen des Einzelfalls als wirtschaftlich identisch darstellen (z. B. weil die Betriebsmittel oder das Wirkungsfeld oder die Kundschaft unverändert geblieben sind) und demgemäß eine Fortführung des bisherigen Unternehmens, eventuell unter Änderung der innerbetrieblichen Struktur oder der Rechtsform anzunehmen ist (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 13. Januar 1966 IV 76/63, vom 19. April 1966 I 221/63, BFHE 85, 445, BStBl III 1966, 459; siehe auch BFH-Urteil vom 24. Januar 1973 I R 156/71, BFHE 108, 111, BStBl II 1973, 219).
Auf dieser Grundlage hat der erkennende Senat mit Urteil IV 76/63 eine Betriebsveräußerung (Betriebsaufgabe) verneint, wenn der Inhaber eines Frachtschiffahrtsunternehmens, der mit seinem einzigen Schiff die Küstenfrachtschiffahrt nach dänischen Häfen und auf Binnengewässern betreibt, dieses Schiff veräußert, im zeitlichen Zusammenhang damit und unter Aufnahme eines Gesellschafters ein größeres Schiff erwirbt und damit die Frachtschiffahrt nach Großbritannien und Skandinavien betreibt, weil sich in einem solchen Falle der bisherige Charakter des seinem Wirkungskreis nach nicht ortsgebundenen Unternehmens nicht geändert hat, insbesondere der bisherige Geschäftszweig nicht aufgegeben worden ist.
Der erkennende Senat hält an der Rechtsauffassung, die dieser Entscheidung zugrunde liegt, im grundsätzlichen fest.
2. Der Streitfall entspricht nur dem ersten Anschein nach dem mit Urteil IV 76/63 entschiedenen Sachverhalt. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorentscheidung im Streitfall eine Betriebsveräußerung (Betriebsaufgabe) bejaht hat. Zu Recht hat das FG angenommen, daß der Charakter des von der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts betriebenen Unternehmens in einem für die Annahme einer Betriebsveräußerung (Betriebsaufgabe) ausreichenden Umfange wesensverschieden ist von dem Charakter des bisher vom Kläger betriebenen Unternehmens, auch wenn beide Unternehmen dem umfassenden Geschäftszweig der Frachtschiffahrt zugehören.
Wie die Vorentscheidung zu Recht betont, weist der Streitfall Besonderheiten im Sachverhalt auf, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, eine wirtschaftliche Identität des Betriebs der Gesellschaft und des bisherigen Betriebs des Klägers und damit eine Fortführung des Einzelunternehmens des Klägers in anderer Rechtsform zu verneinen.
a) Das bisherige Einzelunternehmen des Klägers war durch eine Identität zwischen Reeder (vgl. § 484 HGB) und Schiffsführer (vgl. § 511 HGB) gekennzeichnet und nach der Größenordnung des einzigen Betriebsmittels auch auf eine solche Identität hin ausgerichtet. Der Wirkungsbereich dieses Unternehmens war sowohl durch die Art des Schiffes als auch durch den Umstand charakterisiert, daß der Kläger nur das Zeugnis über die Befähigung zum Seeschiffer auf Küstenfahrt - Befähigungszeugnis A 1 - besaß (vgl. die §§ 3, 6, 7 und 8 der Schiffsbesetzungsordnung vom 29. Juni 1931, RGBl II 1931, 517).
Beim Unternehmen der Personengesellschaft liegen die Verhältnisse anders. Das Unternehmen war nur noch auf eine teilweise Identität zwischen Reeder (Mitreeder) und Schiffsführer ausgerichtet. Da der Kläger nur das Befähigungszeugnis A 1 besaß, war er für seine Person nicht in der Lage, das Unternehmen der Personengesellschaft - so wie bisher sein Einzelunternehmen - als Reeder und Schiffsführer zugleich zu betreiben. Die Anstellung eines Schiffsführers war, soweit nicht der Sohn des Klägers als Mitreeder diese Aufgabe wahrnehmen konnte, unerläßlich, aber auch wirtschaftlich tragbar. Zwar bemerkt das FA in seiner Revision zu Recht, daß die Frage der Betriebsinhaberschaft losgelöst von persönlichen Eigenschaften und Befähigungsnachweisen zu beurteilen sei. Im Streitfalle geht es aber nicht um die Betriebsinhaberschaft, sondern um das Ausmaß der Wesensgleichheit des Einzelunternehmens des Klägers und des Unternehmens der Gesellschaft. Aus der Sicht des Reeders ist jedoch ein Schiffahrtsunternehmen, in dem man nicht selbst als Schiffsführer tätig sein kann und muß, nicht ohne weiteres dasselbe wie das bisher unter gebotener Wahrung der Identität zwischen Reeder und Schiffsführer betriebene Unternehmen.
b) Das veräußerte Schiff war nicht nur das Hauptbetriebsmittel, sondern schlechthin die Betriebsgrundlage des Unternehmens des Klägers. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, die mit dem Sachvortrag der Prozeßbeteiligten übereinstimmen, sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß das Unternehmen des Klägers einen über den Wert des Betriebsvermögens hinausgehenden Wert gehabt hätte, insbesondere also ein Geschäftswert vorhanden war, z. B. weil der Kläger über besondere geschäftliche Verbindungen verfügt hatte, die das bisherige Unternehmen als wirtschaftlich besonders rentabel erwiesen hätten, die nicht jederzeit ersetzbar gewesen wären und die deshalb als Grundlage des Betriebs der Personengesellschaft hätten dienen können und für diesen einen materiellen Wert gehabt hätten.
Fehlte dem Unternehmen des Klägers aber ein für das Unternehmen der Gesellschaft einsatzfähiger Geschäftswert, so ist von den gesamten betrieblichen Grundlagen des bisherigen Unternehmens des Klägers nichts auf die Gesellschaft übergegangen.
c) Eine zusammenfassende Betrachtung zeigt, daß eine Verbindung zwischen dem Einzelunternehmen des Klägers und dem Unternehmen der Personengesellschaft lediglich insofern besteht, als der Kläger Mitinhaber des Unternehmens der Personengesellschaft ist und den Erlös aus der Veräußerung des dem Einzelunternehmen dienenden Schiffs als Einlage bei der Gesellschaft einsetzte und sowohl das Unternehmen des Klägers als auch das Unternehmen der Gesellschaft eine Betätigung auf dem Gebiete der Frachtschiffahrt im weitesten Sinne zum Gegenstand hatten bzw. haben. Hingegen sind die dem Unternehmen des Klägers und die dem Unternehmen der Gesellschaft dienenden Betriebsmittel materieller und immaterieller Art - abgesehen von der Geschäftsbezeichnung "K und Sohn" - in vollem Umfange verschieden; insbesondere wird das Unternehmen der Personengesellschaft nicht auf der Grundlage eines vom Einzelunternehmen übernommenen Geschäftswerts betrieben. Auch arbeitet die Gesellschaft mindestens im Ausland mit anderen Befrachtern und Schiffsmaklern zusammen als der Kläger als Einzelunternehmer getan hatte, wie zwischen den Parteien unstreitig ist und sich notwendigerweise aus den anderen Fahrtrouten (Kleine Fahrt gegenüber Küstenschiffahrt) ergibt. Vor allem aber ist der Kläger, da er nur das Befähigungszeugnis A 1 besitzt, nicht in der Lage, das Unternehmen der Gesellschaft - sowie bisher das Einzelunternehmen - unter Wahrung der Identität zwischen Reeder und Schiffsführer in seiner Person zu betreiben. Diese Gesamtschau rechtfertigt den von der Vorentscheidung gezogenen Schluß, daß das Unternehmen der Personengesellschaft und das Einzelunternehmen des Klägers wirtschaftlich nicht identisch sind.
3. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann der Senat dahingestellt lassen, ob dann, wenn das Unternehmen des Klägers und das Unternehmen der Gesellschaft entgegen den vorstehenden Ausführungen als wirtschaftlich identisch anzusehen wären, einkommensteuerrechtlich gleichwohl eine nach § 16 Abs. 4 EStG und § 34 Abs. 1 und 2 EStG begünstigte Veräußerung (Aufgabe) des ganzen Gewerbebetriebs anzunehmen wäre, weil der Kläger sein (dann fortbestehendes) Unternehmen in eine Personengesellschaft eingebracht hat, ohne daß dabei irgendwelche stillen Reserven im Betriebsvermögen des Unternehmens des Klägers unaufgedeckt geblieben sind, und ob der Erlös aus der Veräußerung des Schiffes im Hinblick auf den zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dieser (unterstellten) Einbringung als Bestandteil des begünstigten Veräußerungs-(Aufgabe-) gewinns zu werten wäre (vgl. die BFH-Urteile vom 4. April 1968 IV R 122/66, BFHE 92, 330, BStBl II 1968, 580, und vom 11. August 1971 VIII 13/65, BFHE 104, 48, BStBl II 1972, 270; ferner die für das Streitjahr allerdings noch nicht gültige Vorschrift des § 22 Abs. 3 Satz 2 des Umwandlungs-Steuergesetzes 1969).
Fundstellen
BStBl II 1976, 670 |
BFHE 1977, 425 |