Leitsatz (amtlich)
Kündigt ein Unternehmen einen Generalvertretervertrag und eröffnet es alsdann in den - nunmehr von ihm angemieteten - Räumen der bisherigen Generalvertretung (Geschäftslokal und Werkstatt mit Telefonanschluß) unter Neueinstellung des (gekündigten) Personals und Übernahme der seine Erzeugnisse betreffenden Kundendienst- und Wartungsdienstverträge ein eigenes Verkaufsbüro, so liegt darin keine Übereignung des Unternehmens des bisherigen Generalvertreters im ganzen.
Normenkette
AO § 116
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist mit Bescheid der Stadt A. vom 22. März 1968 gemäß § 116 Abs. 1 AO als Haftende zur Zahlung rückständiger Gewerbesteuer 1965 der Firma E., ... maschinenhandel, in A. (Firma E.), in Höhe von 1 532 DM herangezogen worden. Ihren Antrag, sie von der Haftung freizustellen, lehnte der nach § 212c Abs. 1 AO zur Entscheidung berufene Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) mit Bescheid vom 4. Juli 1968 ab. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das FG führte aus:
Die Vorschrift des § 116 Abs. 1 AO verwende den Begriff der Übereignung in einer gegenüber dem bürgerlichen Recht erweiterien und auf den Erwerb eines Betriebes ausgerichteten Bedeutung (Hinweis auf das Urteil des BFH vom 20. Juli 1967 V 240/64, BFHE 89, 466, BStBl III 1967, 684 mit weiterer Rechtsprechung). Ihre Anwendung auf den vorliegenden Streitfall sei begründet.
Die Firma E., die sich in der Hauptsache mit dem Vertrieb von Erzeugnissen der Klägerin und des mit ihnen verbundenen technischen Kundendienstes befaßt und als deren Generalvertretung in A. firmiert habe, sei nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise im ganzen an die Klägerin übereignet worden. Nachdem die Klägerin dem Inhaber der Firma zum 30. Juni 1966 die Generalvertretung entzogen habe, habe dieser seinen Gewerbebetrieb zu diesem Tage abgemeldet und die Firma im Handelsregister löschen lassen. Vom 1. Juli 1966 ab habe die Klägerin in denselben Geschäftsräumen ein eigenes Verkaufsbüro eröffnet. Am 12. Juli 1966 sei zwischen der Klägerin und ihrem bisherigen Generalvertreter eine schriftliche Vereinbarung zur Regelung der gegenseitigen Beziehungen getroffen worden, auf Grund deren die Klägerin die von ihr unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Ersatzteile ihrer ... maschinen, die Werkstatteinrichtung und die wesentlichen Einrichtungsgegenstände übernommen habe. Weiter übernommen habe sie die Kundenkartei und die Unterlagen für die Wartungsverträge sowie die Kundendienstverpflichtungen; in die entsprechenden Verträge sei sie eingetreten. Sie habe ferner das gesamte Personal übernommen und die Sozialabgaben und die Lohnsteuer für den Monat Juni 1966 für die früheren Angestellten ihres bisherigen Generalvertreters bezahlt. Dieser habe der Klägerin die ihm in Kommission gegebenen Maschinen herausgegeben bzw. seine Ansprüche auf Herausgabe dieser Maschinen seinen Kunden gegenüber an die Klägerin abgetreten.
Die Klägerin und ihr früherer Generalvertreter hätten damit einen tatsächlichen Zustand geschaffen, der es der Klägerin ermöglicht habe, den Verkauf ihrer Erzeugnisse und den Kundendienst für diese Erzeugnisse in den gleichen Räumen und mit dem gleichen Personal fortzuführen, wie dies bis dahin durch die Firma E. geschehen sei. Die Klägerin habe damit ein lebendes Unternehmen übernommen, das sie - wenn auch in Form nunmehr eines firmeneigenen Betriebes - ohne Schwierigkeiten habe fortführen können.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung des FA vom 15. Oktober 1969 und den Haftungsbescheid der Stadt A. vom 22. März 1968 ersatzlos aufzuheben. Zur Begründung läßt sie vortragen:
Verfahrensrechtlich werde mangelnde Sachaufklärung sowie - als Folge - unrichtige Feststellung des Tatbestandes gerügt. Das FG habe Randvereinbarungen aus dem Vertrag vom 12. Juli 1966 zum Mittelpunkt seiner Tatbestandsfeststellung gemacht und diese auch noch ungenau wiedergegeben, so daß der Eindruck einer Unternehmensübertragung entstehe. Demgegenüber habe dieser Vertrag lediglich der Abwicklung des zum 30. Juni 1966 gekündigten Generalvertreterverhältnisses gedient und nicht dem Erwerb eines Unternehmens. Die Klägerin habe ohne die Mitwirkung ihres früheren Generalvertreters ein eigenes Verkaufsbüro in A. aufgebaut und dieses am 1. Juli 1966 eröffnet. Es sei deshalb nicht richtig, daß durch den Vertrag vom 12. Juli 1966 ein Zustand geschaffen worden sei, der es ihr ermöglicht habe, den Verkauf ihrer Erzeugnisse und den Kundendienst für diese Erzeugnisse in den gleichen Räumen und mit dem gleichen Personal fortzuführen, wie dies bisher durch ihren früheren Generalvertreter geschehen sei.
Der Vertrag sei in seiner Tz. 18 an die Abgabe eines notariellen Schuldanerkenntnisses über 120 000 DM geknüpft gewesen; er wäre im Falle der Nichtabgabe dieses Anerkenntnisses nicht zustande gekommen, ohne daß dies den Bestand des bereits seit dem 1. Juli 1966 arbeitenden eigenen Verkaufsbüros der Klägerin berührt hätte. Die Klägerin habe das von ihrem früheren Generalvertreter beschäftigte Personal nicht "übernommen"; diesem sei vielmehr von seinem früheren Arbeitgeber gekündigt worden. Die Klägerin habe lediglich auf die stellungslos gewordenen Arbeitskräfte zurückgegriffen, die zu den bei ihr üblichen Bedingungen ohne Anrechnung irgendwelcher früherer Dienstzeiten neu eingestellt worden seien.
Aber selbst wenn man - mit dem FG - von einer Unternehmensübertragung ausgehen wolle, falle der als Tatbestand festgestellte Sachverhalt nicht unter die Vorschrift des § 116 Abs. 1 AO. Diese setze voraus, daß ein lebendes Unternehmen oder ein in der Gliederung des Unternehmens gesondert geführter Betrieb im ganzen übereignet worden sei. Davon könne im Streitfalle keine Rede sein. Der "Veräußerer" habe ein selbständiges Unternehmen betrieben, dessen Gegenstand der Handel mit ...maschinen u. a. gewesen sei. Grundlage seiner gewerblichen Betätigung seien Verträge mit den Herstellerfirmen der von ihm vertriebenen Erzeugnisse, darunter auch mit der Klägerin, gewesen. Die von ihm geführten Erzeugnisse der Klägerin hätten dabei nur einen Teil seines Sortiments dargestellt. Hinzu komme, daß in dem für die Bejahung der Haftung maßgebenden Zeitpunkt, dem 13. Juli 1966 (Hinweis auf das BFH-Urteil vom 25. November 1965 V 173/63 U, BStBl III 1966, 333), das Unternehmen ihres früheren Generalvertreters nicht mehr Vertrieb und Kundendienst für Erzeugnisse der Klägerin umfaßt habe, da ihm das Recht hierzu bereits mit Ablauf des 30. Juni 1966 entzogen gewesen sei. Eine Fortführung seines bisherigen Unternehmens sei daher nur hinsichtlich der die Klägerin nicht betreffenden Geschäftsbeziehungen denkbar gewesen, die indes nicht Gegenstand des Vertrages seien. Soweit die Klägerin im Rahmen der Abwicklung des Generalvertreterverhältnisses Inventarstücke übernommen habe, sei dies lediglich zur Verminderung der Verbindlichkeiten des "Veräußerers" geschehen, nicht aber, weil diese etwa zur "Betriebsfortführung" benötigt worden wären. Was die früher von ihrem Generalvertreter innegehabten Räume betreffe, so habe die Klägerin nur einen Teil derselben angemietet. Im übrigen habe die Klägerin weder den Kundenkreis ihres früheren Generalvertreters übernommen noch diesem ein (in Fällen der Unternehmensübernahme übliches) Wettbewerbsverbot auferlegt.
Schließlich sei selbst bei Annahme eines Unternehmenserwerbs der Haftungsbescheid aufzuheben, da es nicht Sinn und Zweck der Vorschrift des § 116 Abs. 1 AO sei, den Erwerber eines unrentablen Betriebes für Steuern in Anspruch zu nehmen, für die der Betrieb auch bei Weiterführung durch den Vorgänger wegen Unrentabilität keine Sicherheit geboten habe. Auch widerspreche die Inanspruchnahme der Klägerin dem Grundsatz von Treu und Glauben, da ihrem "Rechtsvorgänger" aus den ihm verbliebenen Außenständen in Höhe von schätzungsweise 60 000 bis 80 000 DM ausreichende Mittel zur Abdeckung seiner Steuerschulden zur Verfügung gestanden hätten.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Erst die Kündigung des Generalvertreterverhältnisses zum 30. Juni 1966 habe für die Klägerin die Voraussetzung geschaffen, das Unternehmen ohne Unterbrechung ihrer Vertretung im Raum der Stadt A. als nunmehr firmeneigenen Betrieb weiterzuführen. Der endgültige Vertragsabschluß (vom 12. Juli 1966) sei Zweitrangig und habe nur dazu gedient, bürgerlich-rechtlich für geregelte Verhältnisse zu sorgen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des Bescheids des FA vom 4. Juli 1968.
1. Der Zweck der Vorschrift des § 116 Abs. 1 AO ist es, die in dem Unternehmen als solchem liegende Sicherung für die sich auf seinen Betrieb gründenden Steuerschulden durch den Übergang des Unternehmens in andere Hände nicht verlorengehen zu lassen (Urteil des RFH vom 26. September 1933 V A 107/33, RStBl 1933, 1157). Dieser Gedanke rechtfertigt auch die Gleichstellung der zwangsweisen Veräußerung (§ 116 Abs. 3 AO) mit der freiwilligen, mit Ausnahme des Erwerbs aus einer Konkursmasse (BFH-Urteil V 173/63 U).
Die Haftung knüpft deshalb an die Übereignung eines Unternehmens (oder eines in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführten Betriebes) im ganzen an. Dabei stehen die Begriffe Unternehmen und Betrieb im Sinne dieser Vorschrift für eine wirtschaftliche, mindestens aber eine in sich abgeschlossene technische Einheit sächlicher und persönlicher Mittel (Betrieb), die bei Herauslösung aus der ihr bisher übergeordneten wirtschaftlichen Einheit (Unternehmen) als organisatorisch selbständiges Unternehmen weitergeführt werden kann. Die Übereignung eines Unternehmens im ganzen bedeutet danach "den Übergang des gesamten lebenden Unternehmens", d. h. der durch das Unternehmen repräsentierten "organischen Zusammenfassung von Einrichtungen und dauernden Maßnahmen", die dem Unternehmen dienen oder mindestens seine wesentlichen Grundlagen ausmachen, so daß der Übernehmer das Unternehmen ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortführen kann (BFH-Urteile vom 30. August 1962 V 32/60 U, BFHE 75, 518, BStBl III 1962, 455; V 173/63 U; V 240/64).
2. Wendet man diese Grundsätze auf den vom FG festgestellten (unvollständigen) Tatbestand an, so wäre die Haftung der Klägerin gegeben. Der Auffassung der Klägerin könnte nicht zugestimmt werden, soweit sie ihre Haftung verneint, weil der Betrieb auch in der Hand ihres Vorgängers keine Sicherheit für die von ihr geforderte Steuer geboten habe, andererseits aber die Außenstände des Betriebes leicht zur Abdeckung der Steuer ausgereicht hätten, weshalb die Inanspruchnahme der Klägerin den Grundsatz von Treu und Glauben verletze. Wer ein lebendes Unternehmen im ganzen erwirbt, haftet - ohne Rücksicht auf die mit dem Erwerb verfolgte Absicht - für die auf den Betrieb entfallenden Steuern in dem in § 116 Abs. 1 AO genannten Umfang. Hinzu kommt, daß ausweislich der Akten des FG die von der Stadtkasse A. als Vollstreckungsbehörde am 3. April 1967 durchgeführte Pfändung fruchtlos verlief und der frühere Generalvertreter der Klägerin am 1. November 1967 vor dem Amtsgericht A. den Offenbarungseid geleistet hat.
3. Die Klägerin hat indes hinsichtlich des vom FG festgestellten Tatbestandes "zulässige und begründete Revisionsgründe" vorgebracht (§ 118 Abs. 2 FGO). Unstreitig war der Inhaber der in das Handelsregister eingetragenen Firma des "Veräußerers" bis zum 30. Juni 1966 der Generalvertreter der Klägerin. Unstreitig auch wurde das Generalvertreterverhältnis mit dem Ablauf dieses Tages durch Kündigung seitens der Klägerin aufgelöst. Da die Haftung aus § 116 AO indes nicht an die Person des Unternehmers oder des Betriebsinhabers (Pächters) anknüpft, sondern sachbezogen ist auf das übereignete Unternehmen oder den übereigneten Betrieb (BFH-Entscheidung vom 14. Mai 1970 V R 117/66, BFHE 99, 425, BStBl II 1970, 676), ist eine Betriebsübernahme bereits begrifflich nicht möglich, wenn - wie hier - ein Generalvertretervertrag vom Unternehmer gekündigt und in Neuordnung des Geschäfts - selbst bei zeitlich "nahtlosem Übergang" - ein eigenes Verkaufsbüro eröffnet wird. Denn das Unternehmen eines selbständigen Handelsvertreters ist ein in sich geschlossener Kreis von Beziehungen zu den von ihm vertretenen Unternehmen und den Kunden, mit denen er den von ihm vertretenen Unternehmen Abschlüsse vermittelt.
Betrachtet man die unter dem 12. Juli 1966 getroffene Vereinbarung, so trifft es zu, daß das FG sie in seiner Tatbestandsfeststellung unvollständig wiedergegeben und nicht zutreffend gewürdigt hat.
a) Gleichgültig ist, ob die Klägerin nach Lösung des Vertretervertrages mit ihrem ihr hoch verschuldeten bisherigen Generalvertreter sich künftig in A. durch einen anderen Generalvertreter vertreten lassen oder ihre Interessen am Ort durch ein eigenes Verkaufsbüro wahrnehmen wollte. In jedem Falle war der bisherige Generalvertreter gehalten, der Klägerin alles das herauszugeben, was nach näherer Maßgabe der Vereinbarung vom 12. Juli 1966 im Eigentum der Klägerin stand. Dazu gehörten die Herausgabe der ihm in Kommission gegebenen Maschinen, die Abtretung der Herausgabeansprüche gegenüber Kunden, bei denen Maschinen zur Probe aufgestellt waren, und die Herausgabe der Unterlagen über Wartungsverträge und Kundendienstverpflichtungen, um der Klägerin den Eintritt in diese vom Veräußerer geschlossenen Abmachungen bezüglich ihrer Erzeugnisse zu ermöglichen.
b) Dazu kam im Streitfalle die Übertragung derjenigen Werte (Sachen und Rechte), die dem Veräußerer selbst gehörten: die Übertragung der in seinem Eigentum stehenden Ersatzteile, der im einzelnen aufgeführten Einrichtungsgegenstände sowie der Werkstatteinrichtung und die Abtretung der Forderung Sp., die sämtlich in Anrechnung auf denjenigen Teil der Forderung der Klägerin gegenüber ihrem bisherigen Generalvertreter erfolgten, der den notariell anerkannten Schuldbetrag von 120 000 DM überstieg. Die Übertragung dieser Sachen und Rechte, die ihren Grund allein in der im Vertrag vorgesehenen Schuldenregelung hatte, kann - weder für sich allein noch im Verein mit den übrigen Abmachungen im Vertrage vom 12. Juli 1966 - als eine Übereignung des Unternehmens des Handelsvertreters E. "im ganzen" gewertet werden.
c) Eine Übernahme der Kundenkartei, soweit sie nicht allein Abnehmer von Erzeugnissen der Klägerin enthielt, ist nach dem Vertrag nicht erfolgt. Die Einstellung der früheren, inzwischen entlassenen Mitarbeiter des "Veräußerers", die Anmietung eines Teiles der Räume, die der "Veräußerer" aufgegeben hatte, das Versprechen des "Veräußerers", auf die Übertragung des bisherigen Fernsprechanschlusses auf die Klägerin hinzuwirken, können ebenfalls nicht als Erwerb "des Unternehmens" des früheren Generalvertreters der Klägerin gewertet werden.
Fundstellen
BStBl II 1974, 145 |
BFHE 1974, 17 |