Leitsatz (amtlich)
Bei ständig als Arbeitsmittel in Gebrauch befindlichen Möbelstücken wie Schreibtisch und Schreibtischsessel kann eine AfA wegen technischer Abnutzung auch dann in Betracht kommen, wenn die Gegenstände schon 100 Jahre alt sind und im Wert steigen.
Orientierungssatz
Unter Arbeitsmittel i.S. von § 9 Abs. 1 Nr. 6 EStG fallen alle Wirtschaftsgüter, die unmittelbar der Erledigung beruflicher Aufgaben dienen. Ist ein Wirtschaftsgut als Arbeitsmittel anzuerkennen, so ist es unerheblich, ob die Aufwendungen nach objektiven Gesichtspunkten üblich, notwendig oder zweckmäßig waren. Handelt es sich bei den Arbeitsmitteln um Wirtschaftsgüter, deren Nutzung sich erfahrungsgemäß über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt, so sind deren Anschaffungskosten in Höhe der jährlichen AfA abziehbar (BFH-Rechtsprechung). Die Nutzungsdauer eines erworbenen, ca. 100 Jahre alten Schreibtischs bzw. Schreibtischsessels kann je nach Zustand, handwerklicher Verarbeitung und Art der Benutzung unter Umständen mehr als 15 bzw. 20 Jahre betragen.
Normenkette
EStG 1975 § 9 Abs. 1 Nr. 6; EStG 1977 § 9 Abs. 1 Nr. 6; EStG 1975 § 9 Abs. 1 Nr. 7; EStG 1977 § 9 Abs. 1 Nr. 7; EStG 1975 § 7 Abs. 1; EStG 1977 § 7 Abs. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Der Kläger ist Journalist, die Klägerin Richterin. Sie bewohnen ein eigenes Einfamilienhaus, das nach ihren Angaben mit Mobiliar aus der Jahrhundertwende ausgestattet ist. In ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 1976 und 1977 beantragten sie, jeweils eine Absetzung für Abnutzung (AfA) von 700 DM bzw. 400 DM für einen im steuerlich anerkannten Arbeitszimmer stehenden Schreibtisch nebst Sessel als Arbeitsmittel der Klägerin bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit als Werbungskosten anzuerkennen. Der Schreibtisch und der Sessel waren 1974 zu einem Kaufpreis von 7 000 bzw. 4 000 DM angeschafft worden. Beide Möbelstücke sind über 100 Jahre alt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erkannte die geltend gemachten AfA-Beträge nicht als Werbungskosten an. Der Einspruch hatte insoweit keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der die Kläger eine jährliche AfA von 450 DM für den Schreibtisch und von 200 DM für den Sessel begehrten, ab. Es führte u.a. aus:
Eine AfA nach § 9 Abs.1 Nr.7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei nicht zu gewähren, weil es sich bei Schreibtisch und Sessel um Wirtschaftsgüter handle, die keiner wirtschaftlichen Abnutzung unterlägen. Da sie vor über 100 Jahren hergestellt worden seien, könnten sie bereits als Antiquitäten angesehen werden. Bei Möbeln dieses Alters und der sich aus dem gezahlten Kaufpreis ergebenden Qualität sei nach der Lebenserfahrung nicht mit einer Wertminderung zu rechnen, auch wenn man von einer gewissen technischen Abnutzung durch ständige Benutzung der Möbelstücke ausgehe. Die technische Abnutzung werde durch die zu erwartenden Wertsteigerungen zumindest ausgeglichen.
Dem Abzug der geltend gemachten AfA stehe auch § 12 Nr.1 EStG entgegen. Nach dieser Vorschrift sei in Fällen, in denen die Anschaffungskosten eines Wirtschaftsguts zu den Aufwendungen für die Lebensführung gehörten, eine Aufteilung in nicht abziehbare Aufwendungen für die Lebensführung und in Werbungskosten nur zulässig, wenn objektive Merkmale und Unterlagen eine zutreffende und leicht nachprüfbare Trennung ermöglichten und außerdem der berufliche Nutzungsanteil nicht von untergeordneter Bedeutung sei. Unter dieses Aufteilungsverbot fielen auch die streitbefangenen Aufwendungen. Für die Anschaffung der beiden Möbelstücke seien Gründe der privaten Lebensführung mit ausschlaggebend gewesen, da sie auch der persönlichen Annehmlichkeit der Klägerin dienen sollten. Die Kläger hätten beide Gegenstände zudem so ausgewählt, daß sie besonders gut zu der sonstigen Einrichtung paßten. Im übrigen gingen die Aufwendungen aufgrund von Art und Güte der Möbelstücke über die rein berufliche Zweckbestimmung hinaus. Da objektive Merkmale und Unterlagen keine zutreffende Trennung von beruflich und privat bedingten Aufwendungen ermöglichten, seien die gesamten Ausgaben nach § 12 Nr.1 EStG der privaten Lebensführung zuzurechnen.
Gegen diese Entscheidung legten die Kläger Revision ein. Sie sind der Ansicht, die Vorentscheidung beruhe auf einem Verstoß gegen § 9 Abs.1 Nr.6 und § 12 Nr.1 Satz 2 EStG; außerdem seien § 9 Abs.1 Nr.7 und § 7 Abs.1 EStG verletzt worden.
Sie beantragen,
unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung des FA den Einkommensteuerbescheid 1976 vom 17.Januar 1979 und den Einkommensteuerbescheid 1977 vom 28.Juni 1979 dahin abzuändern, daß die Einkommensteuer für die beiden genannten Jahre unter Berücksichtigung weiterer Werbungskosten von jeweils 650 DM festgesetzt werden sowie hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Denn es handelt sich bei Schreibtisch und Sessel um Arbeitsmittel i.S. des § 9 Abs.1 Nr.6 EStG, bei denen der Abzug einer AfA nach § 9 Abs.1 Nr.7 i.V.m. § 7 Abs.1 EStG als Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit in Betracht kommt.
1. Nach § 9 Abs.1 Nr.6 EStG sind Werbungskosten auch Aufwendungen für Arbeitsmittel. Hierunter fallen alle Wirtschaftsgüter, die unmittelbar der Erledigung beruflicher Aufgaben dienen (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7.Oktober 1954 IV 630/53 U, BFHE 59, 395, BStBl III 1954, 362). Hierzu kann nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 18.Februar 1977 VI R 182/75, BFHE 121, 444, BStBl II 1977, 464) auch ein Schreibtisch nebst den dazu gehörenden Gegenständen, wie insbesondere einem Schreibtischsessel, gehören, wenn nach den gesamten Umständen des Einzelfalls einwandfrei feststeht, daß diese Wirtschaftsgüter weit überwiegend zu beruflichen Zwecken benutzt werden.
Im Streitfall haben die Kläger angegeben, die Klägerin habe Schreibtisch und Sessel als Arbeitsmittel in einem vom FA anerkannten Arbeitszimmer so gut wie ausschließlich nur im Rahmen ihrer Tätigkeit als Richterin benutzt. Das ist zwischen den Beteiligten nicht strittig. Das FG hat hierzu zwar ausdrücklich keine Feststellungen getroffen. Es ist jedoch von der Nutzung des Schreibtisches und Schreibtischsessels als Arbeitsmittel im Ergebnis ausgegangen. Denn es hat auf Seite 6 des Urteils ausgeführt, die Anschaffungskosten gingen "aufgrund von Art und Güte über die rein berufliche Zweckbestimmung hinaus".
2. Handelt es sich bei Arbeitsmitteln i.S. des § 9 Abs.1 Nr.6 EStG um Wirtschaftsgüter, deren Nutzung sich erfahrungsgemäß über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt, so sind deren Anschaffungskosten nach dieser Vorschrift i.V.m. § 9 Abs.1 Nr.7 und § 7 Abs.1 EStG in Höhe der jährlichen AfA abziehbar (vgl. BFH-Urteile vom 8.November 1964 VI 43/63 U, BFHE 78, 96, BStBl III 1964, 36; vom 8.Februar 1974 VI R 326/70, BFHE 111, 341, BStBl II 1974, 306, und in BFHE 121, 444, BStBl II 1977, 464). Der Streitfall betrifft solche Wirtschaftsgüter. Denn Schreibtisch und Sessel wurden angeschafft, um über Jahre hinaus der Klägerin als Arbeitsmittel zu dienen.
AfA sind allerdings bei körperlichen Gegenständen nur möglich und denkbar, wenn diese abnutzbar sind (vgl. z.B. Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 4.Aufl., § 7 Anm.2). Schreibtisch und Sessel unterliegen grundsätzlich einer technischen Abnutzung. Auch wenn man im Streitfall davon ausgehen sollte, daß die streitbefangenen, über 100 Jahre alten Möbelstücke Antiquitäten darstellen und wirtschaftlich an Wert nicht verlieren sollten, so unterliegen sie doch --ebenso wie ein neu angefertigter Schreibtisch nebst Sessel-- bei ständigem Gebrauch in der Regel einer technischen Abnutzung. Insofern können diese Umstände eine AfA rechtfertigen, auch wenn durch Zeitablauf wirtschaftlich ein Wertverzehr nicht eintreten sollte. Die Steuerpflichtigen haben die Möglichkeit, eine technische oder eine wirtschaftliche AfA unabhängig voneinander geltend zu machen. Sie können sich auf eine technische AfA berufen, auch wenn wirtschaftlich kein Wertverzehr eintritt --wie etwa bei Herstellungskosten eines Gebäudes, das in den vergangenen 20 Jahren oft wirtschaftlich nicht an Wert verloren hat-- (vgl. BFH-Urteil vom 2.Dezember 1977 III R 58/75, BFHE 124, 172, BStBl II 1978, 164, Abschn.2 b am Ende der Entscheidungsgründe), wie sie auch den Abzug einer wirtschaftlichen AfA begehren können, wenn das Wirtschaftsgut technisch sich bisher kaum abgenutzt hat (so etwa nach Anschaffung einer Maschine, die kurze Zeit später durch neue Fertigungsmethoden wirtschaftlich wertlos geworden ist).
Der Senat setzt sich mit dieser Entscheidung nicht in Widerspruch zu der vorgenannten Entscheidung in BFHE 124, 172, BStBl II 1978, 164. Denn dieses Urteil betraf einen anderen Sachverhalt. Dort hatte der BFH betont, Gemälde eines anerkannten Meisters, die in den Praxisräumen eines Rechtsanwalts aufgehängt waren, seien keine abnutzbaren Wirtschaftsgüter. Dies beruhte auf der Erwägung, daß bei solchen Kunstwerken eine technische Abnutzung sich in so großen Zeiträumen und dementsprechend im jeweiligen Veranlagungszeitraum nur in einem so geringfügigen Maße vollzieht, daß die AfA steuerlich vernachlässigt werden kann. Dieser Gesichtspunkt kommt bei Möbelstücken nur ausnahmsweise zum Tragen, so etwa wenn sie nicht oder kaum einer Gebrauchsabnutzung unterliegen.
3. Der Berücksichtigung der AfA für den Schreibtisch und den Sessel als Werbungskosten steht nicht der Umstand entgegen, daß die Kläger diese über 100 Jahre alten Möbelstücke deshalb zu einem Preis von 7 000 DM für den Schreibtisch und 4 000 DM für den Sessel angeschafft haben, weil sie dem Stil nach zu ihrer bereits vorhandenen Wohnungseinrichtung passen.
Wie der Senat im Urteil vom 15.Mai 1981 VI R 66/78 (BFHE 133, 516, BStBl II 1981, 735) hervorgehoben hat, sind Aufwendungen eines Arbeitnehmers für ein Arbeitsmittel auch dann als Werbungskosten abziehbar, wenn sie ungewöhnlich hoch sind und Fragen der Lebensführung nicht berührt werden. Ist ein Wirtschaftsgut als Arbeitsmittel anzuerkennen, weil es unmittelbar und so gut wie ausschließlich nur der Erledigung beruflicher Aufgaben dient, so ist es nach der vorgenannten Entscheidung unerheblich, ob die Aufwendungen nach objektiven Gesichtspunkten üblich, notwendig oder zweckmäßig waren.
Von diesen Grundsätzen ist auch im Streitfall auszugehen. Der Umstand, daß ein Schreibtisch und Sessel auch der persönlichen Annehmlichkeit bei der täglichen Nutzung dienen können, steht der Anerkennung solcher Möbelstücke als Arbeitsmittel nicht entgegen, da letztlich jedes Arbeitsmittel vom Benutzer nach Gesichtspunkten der individuellen Ingebrauchnahme ausgesucht zu werden pflegt. Der Preis von 7 000 DM für den Schreibtisch und von 4 000 DM für den Schreibtischsessel ist nach Ansicht des Senats nicht so hoch, daß deswegen Kosten der allgemeinen Lebensführung berührt werden könnten. Der Umstand, daß es sich um über 100 Jahre alte Möbelstücke handelt, die zur vorhandenen Möbeleinrichtung passen, fällt nach Ansicht des Senats nicht entscheidend ins Gewicht, weil Schreibtisch und Sessel im steuerlich anerkannten Arbeitszimmer der Klägerin stehen. Wie zu entscheiden wäre, wenn diese Möbelstücke nicht in einem steuerlich anerkannten Arbeitszimmer, sondern z.B. im Wohnzimmer stehen würden, kann dahingestellt bleiben.
4. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da sie den vorgenannten Rechtsgrundsätzen nicht entspricht. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen, damit es Feststellungen dazu trifft, ob die von den Klägern begehrte technische AfA für die Streitjahre 1976 und 1977 von jeweils 450 DM für den Schreibtisch und von 200 DM für den Sessel als angemessen anzusehen ist, was einer Nutzungsdauer für den Schreibtisch von ca.15 Jahren und für den Sessel von 20 Jahren entspricht. Je nach Zustand, handwerklicher Verarbeitung und Art der Benutzung kann unter Umständen auch eine längere Nutzungsdauer in Betracht kommen.
Fundstellen
Haufe-Index 61382 |
BStBl II 1986, 355 |
BFHE 146, 76 |
BFHE 1986, 76 |
BB 1986, 716-717 (ST) |
DB 1986, 949-950 (ST) |
DStR 1986, 306-307 (ST) |
DStZ, Beihefter zu Nr 21/1986 (S) |