Rn. 84
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Nach § 17 Abs. 2 AktG wird von einem in Mehrheitsbesitz stehenden UN vermutet, dass es von dem an ihm mit Mehrheit beteiligten UN abhängig ist. Die Vermutung greift sowohl bei Kap.- als auch Stimmrechtsmehrheit. Bei der Feststellung der Mehrheiten sind die Zurechnungsregelungen des § 16 Abs. 4 AktG zu beachten. Die Vermutung basiert auf der Leitidee des § 17 Abs. 1 AktG, wonach ein in Mehrheitsbesitz stehendes UN i. A. in der Lage ist, auf das in Mehrheitsbesitz stehende UN einen beherrschenden Einfluss auszuüben, sei es durch entsprechende Besetzung der Aufsichts- und Verwaltungsorgane oder auf andere Weise außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Regelungen.
Rn. 85
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die Abhängigkeitsvermutung kann widerlegt werden. Damit wird bezweckt, die Unbestimmtheit des Abhängigkeitstatbestands zu kompensieren und dadurch eine erhöhte Rechtssicherheit zu schaffen (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 17, Rn. 17). Mit der Möglichkeit der Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung "soll atypischen Sondersituationen, die in der Praxis in verschiedener Hinsicht auftreten, Rechnung getragen werden können" (MünchKomm. AktG (2019), § 17, Rn. 86). Als Beispiele werden in diesem Zusammenhang genannt: Kap.-Mehrheiten, die überwiegend aus Vorzugsaktien ohne Stimmrecht bestehen, so dass die bloße Kap.-Mehrheit für sich allein keinen beherrschenden Einfluss vermittelt, die internationale Gemeinschaftsgründung sowie das Familien-UN mit vertraglicher Beschränkung der Stimmrechtsausübung (vgl. MünchKomm. AktG (2019), § 17, Rn. 86). Ausgeschlossen ist die Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung allerdings im Falle einer wechselseitigen Beteiligung (vgl. HdR-E, AktG §§ 15–19, Rn. 136ff.); die in § 19 Abs. 2f. AktG an die Mehrheitsbeteiligung geknüpften Vermutungen sind nicht widerlegbar (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 17, Rn. 17).
Rn. 86
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Zur Widerlegung der Abhängigkeit muss der Nachweis geführt werden, dass das mit Mehrheit beteiligte UN keinen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Der Nachweis, dass ein beherrschender Einfluss nicht ausgeübt wird, obwohl das herrschende UN hierzu in der Lage wäre, ist unzureichend, denn für die Abhängigkeit kommt es nicht darauf an, dass von der Möglichkeit der Beherrschung tatsächlich Gebrauch gemacht wird (vgl. WP-HB (2021), Rn. C 116; HB-GesR (2020/IV), § 69, Rn. 59). Darüber hinaus muss die Unabhängigkeit des in Mehrheitsbesitz stehenden UN rechtlich abgesichert sein, d. h., es bedarf einer gesellschaftsrechtlichen oder vertraglichen Grundlage, denn "tatsächliche Verhältnisse genügen für sich allein nicht zur Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung" (WP-HB (2021), Rn. C 118; vgl. so auch Emmerich/Habersack (2020), § 3, Rn. 44). Auch die bloße Zusage, eine Herrschaftsmacht nicht auszuüben, genügt nicht (vgl. MünchKomm. AktG (2019), § 17, Rn. 94). Nur unter ganz besonderen Umständen sollen tatsächliche Verhältnisse für sich allein zur Widerlegung in Betracht kommen, z. B. dann, wenn durch politische Einflüsse die Ausübung der Beherrschungsmacht über eine ausländische Gesellschaft nicht möglich ist, weil die Regierung am Sitz des ausländischen UN auf dessen Geschäftsführung aus wirtschaftspolitischen oder anderen Gründen maßgebenden Einfluss nimmt. "Allein aufgrund dieser tatsächlichen Umstände wäre die Abhängigkeitsvermutung widerlegt" (ADS (1997), § 17 AktG, Rn. 102).
Rn. 87
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Eine bloße Kap.-Mehrheit, mit der nicht gleichzeitig eine entsprechende Stimmenmehrheit verbunden ist, wird i. d. R. für sich allein keinen beherrschenden Einfluss mit sich bringen. Strittig ist, ob die Tatsache, dass das mit Mehrheit beteiligte UN nicht in der Lage ist, die Aufsichts- und Geschäftsorgane zu besetzen, für die Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung ausreicht, oder ob auch das Fehlen sonstiger Beherrschungsmittel unter Beweis gestellt werden muss (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 17, Rn. 19, m. w. N.). Nach Gessler sollte hier der Hinweis auf den Charakter der Mehrheitsbeteiligung als bloße Kap.-Mehrheitsbeteiligung genügen (vgl. MünchKomm. AktG (1973), § 17, Rn. 97). Dieser Auffassung wird jedoch heute überwiegend nicht mehr gefolgt, zumal sie die gesetzliche Regelung konterkariert, die die Abhängigkeitsvermutung ihrerseits gleichermaßen auch an Kap.-Mehrheiten knüpft (vgl. HB-GesR (2020/IV), § 69, Rn. 60; ebenso Hüffer-AktG (2022), § 17, Rn. 19). So ist es gerade im Falle einer bloßen Kap.-Mehrheit naheliegend, dass ein beherrschender Einfluss im Wege einer kombinierten Beherrschung ausgeübt wird; insoweit wäre stets zu prüfen, ob Anhaltspunkte für andere Beherrschungsmöglichkeiten bestehen (vgl. so auch ADS (1997), § 17 AktG, Rn. 99). Zur Widerlegung der Abhängigkeit in diesen Fällen schlägt Bayer ein zweistufiges Vorgehen vor: "Zunächst hat das Mehrheitsaktionärs-Unternehmen uneingeschränkt seine fehlende Stimmrechtsmehrheit nachzuweisen (1. Stufe). Ist dieser Nachweis gelungen und wird darüber hinaus ausführlich dargelegt, dass wei...